"Dies ist die Schrift, an der nicht zu zweifeln ist, geoffenbart als Rechtleitung für die Gottesfürchtigen, die an das Übersinnliche glauben, das Gebet verrichten und von dem, was wir ihnen an Gut beschert haben, Spenden geben, und die an das glauben, was auf dich und vor dir herabgesandt wurde, und die mit dem Jenseits fest rechnen. Sie sind von ihrem Herrn rechtgeleitet, und ihnen wird es wohl ergehen."
Eigentlich beginnt der Koran erst richtig mit Sure zwei. Sie ist so etwas wie der gesamte Koran im Kleinen. Ihre Verse 2 bis 5 wiederum skizzieren die Perspektiven des neuen Glaubens. Sie sind fast eine Zusammenschau dessen, was vom neuen Gläubigen erwartet wird.
Der neue Glaube basiert demnach auf einem Buch, das einen leitet. Das Wort für Leitung im Koran ist zentral für das Verständnis von Erlösung. Erlösung erfolgt durch die Leitung zum rechten Pfad, durch die Anleitung zur rechten Verhaltensweise.
In einer Umwelt, so groß wie Indien oder ganz Europa, entfaltet Arabien eine gewaltige Ausdehnung, eine Angst einflößende, endlose, hügelige, trockene Ausdehnung. Hier seinen Weg zu verlieren, bedeutet den Tod. Hier verloren zu gehen, ist eine Ur-Angst. Geleitet zu sein indes, heißt hier, gerettet zu sein, den Weg gezeigt zu bekommen. Dieses neue Buch weist den Weg.
Die neuen Gläubigen sind Menschen mit Ängsten. Ihre Frömmigkeit zeigen sie durch Zurückhaltung und Furcht vor ihrem neuen Herrn. Sie glauben auch dann noch, wenn sie alleine sind. Bei der Einsamkeit ihrer Seelen beten sie und spenden von ihrem Wohlstand.
Die neuen Gläubigen glauben an das, was "herabgesandt wurde auf dich" – damit ist Mohammed gemeint. Und nicht nur das. Sie glauben auch an das, was "vor dir herabgesandt wurde" - damit sind Moses und Jesus gemeint.
Ferner vertrauen die neuen Gläubigen auf das Leben nach dem Tod, auf die Welt, die da kommen wird. Für Heiden war das zweifelsohne am schwersten zu akzeptieren. Wiederauferstehung war für sie eine kindische Vorstellung und eine Beleidigung ihres Verstandes. Schließlich ist noch niemand vom Tod zurückgekehrt. Der Tod ist das Ende.
In dieser im Grunde eindeutigen Koranpassage möchte ich dennoch einen Satzteil hervorheben. In Vers 3 übersetzt Rudi Paret: "die an das Übersinnliche glauben."
Die Übersetzung ist problematisch. Sie nimmt eine spätere Bedeutungserweiterung des arabischen Wortes "ghayb" und projiziert sie zeitlich zurück auf den Korantext.
Das Wort "ghayb" entwickelte sich im Laufe der Zeit zum vorherrschenden Terminus für die unsichtbare Welt, sprich jene Welt, die wir nicht nachweisen können: Engel, Himmel, Hölle, Gott selbst. Es bezeichnet also all das, um das es beim "Glauben" geht. Man glaubt schließlich an Dinge, die nicht beweisbar sind.
Tatsächlich aber bezeichnet der Begriff "ghayb" im Koran den Zustand, auch dann noch gläubig zu sein, wenn man alleine ist, wenn einen niemand mehr beobachtet.
Die Koranauslegung war stets in der Lage, eine philologische und eine spirituelle Lesart zu präsentieren. Spirituelle, eher theologisch beeinflusste Bedeutungen hatten es allerdings immer einfacher, Verbreitung zu finden. Für die philologischen Bedeutungen musste man nämlich erst tief in alten Büchern graben.