"Ihr seid die beste Gemeinschaft, die jemals für die Menschen geschaffen wurde."
al-Râghib al-Isfahânî - gestorben 1108 - war ein muslimischer Koran- und Arabisch-Gelehrter. Das Wort "umma" - hier mit Gemeinschaft übersetzt - kennzeichnet ihm zufolge allgemein eine Gruppierung, die durch etwas Bestimmtes geeint wird: eine Religion, ein Zeitraum, ein Ort.
Im Koran wird "umma" in mehreren Bedeutungen benutzt: für eine Gruppe von Menschen (Sure 2:134, 141; 5:66; 28:23), eine Religion (2:213; 10:19; 42:3), einen Führer, der zum Vorbild wird (16:120), eine Gattung von Gottes Geschöpfen (6:38) und die Anhänger des Propheten Mohammed (2:143; 3:110).
"Umma" als Bezeichnung für letztere kommt in Versen vor, die in Medina offenbart wurden. Mohammed hatte zunächst versucht, in Mekka eine Gemeinde aufzubauen, und scheiterte am Widerstand der Stammesführer. Als er 620 seinen Onkel Abû Tâlib und seine Ehefrau Khadîdscha verlor, die ihn besonders verteidigt hatten, wurde sein Los noch härter. Mekkas Anführer schmiedeten einen Plan für seine Ermordung.
Die Ausgangslage brachte Mohammed dazu, sich einen neuen Rückzugsort für seine Mission zu suchen. Medina schien ideal zu sein. Die Stadt litt unter Stammeskonflikten und die Bewohner erwarteten die Ankunft eines Heilsbringers.
Mohammed trat als guter Vermittler auf und wurde allmählich zum starken Anführer. Er konnte seine Gemeinschaft der Gläubigen erfolgreich in der Stadt etablieren. Daher passt das Wort "umma" mit Hinweis auf eine Glaubensgemeinschaft gut zu dem Umstand, dass sich in Medina eine "islamische" Gesellschaftsordnung durchzusetzen begann.
Der Vers nennt Muslime ausdrücklich die "beste Gemeinschaft". Die Frage ist nun: Ist diese Charakterisierung eine universelle Eigenschaft der Muslime zu jeder Zeit und ohne Bedingungen? Oder beschreibt die Formulierung nur den Zustand der Muslime zum Zeitpunkt der Offenbarung des Verses?
Abû al-Hasan al-Wâhidî, gestorben 1075, war ein Pionier auf dem Gebiet der "asbâb al-nuzûl". Das heißt, er befasste sich als einer der ersten mit der Frage nach den Anlässen für die Offenbarung einzelner Koranverse.
al-Wâhidî berichtet, zwei Juden seien in Medina zu Mohammeds Gefährten gegangen und hätten gesagt, das Judentum sei die bessere Religion. Um diesen Anspruch zurückzuweisen und die Muslime darin zu bestätigen, dass ihre Gemeinschaft in Wahrheit die beste sei, sei der eingangs zitierte Vers offenbart worden.
Bei Muslimen kann er ein Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Religionen auslösen. Sure 2 Vers 143 scheint dies zu bekräftigen: "Und so machten wir euch zu einer Gemeinde, die in der Mitte steht, auf dass ihr Zeugen für die (anderen) Menschen seid."
Manche muslimische Koran-Exegeten behaupten, die Bezeichnung "beste Gemeinschaft" beziehe sich auf die Muslime zu Lebzeiten Mohammeds. Sie hatten sich zum neuen zentralen Akteur aufgeschwungen, während die anderen Religionsgruppen bereits Verfallserscheinungen zeigten. Diese Interpretation basiert unter anderem auf der koranischen Vorstellung vom Islam als wahre Religion Gottes, von den Juden als verdorben und den Christen als fehlgeleitet.
Andere wiederum lehnten eine solche bedingungslose Festlegung ab. Der Gelehrte Muhammad ʿAbduh etwa, ein 1905 gestorbener ägyptischer Reformer, behauptete, Muslime seien aufgrund ihrer Eigenschaften "die beste Gemeinschaft": Sie unterließen Feindseligkeit und machten sich Brüderschaft zu eigen. Sie hielten sich an Gottes Gebote, hätten sich nicht spalten lassen und mieden sektiererischen Fanatismus. Sie seien in der Lage, sich selbst zu verbessern, gebieten das Rechte und verbieten das Schlechte.
Diese Bedingungen werden im weiteren Verlauf des Verses und in vorangegangen Versen erwähnt. Mit anderen Worten: Nach Muhammad ʿAbduh ist die Behauptung, die "beste Gemeinschaft" zu sein, ohne solche Bedingungen Blödsinn.
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