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Sure 3 Vers 79
Trennung von Staat und Religion

Zu den heute meistdiskutierten Themen beim Islam gehört die Trennung von Staat und Religion. Und in der Tat besagt der Koran, der Mensch sei zu launenhaft, um gerecht zu regieren. Die Gemeinschaft brauche eine geistige Leitung, die von einer Art Rabbiner des Islams getragen werde. Das jedenfalls besagt Sure 3 Vers 79.

Von Prof. Dr. Wael B. Hallaq, Columbia University, New York, USA |
    "Keiner, dem Gott das Buch, die weise Urteilskraft und das Prophetentum gegeben hat, wird zu den anderen Menschen sagen: 'Betet mich anstelle von Gott an!' Er wird eher sagen: 'Seid Gottesanhänger [rabbâniyyûn] aufgrund des Buches, um das ihr wisst, und des Studiums, das ihr betrieben habt!'"
    Das ist einer der wichtigsten Verse des Korans. Er läuft auf ein Grundprinzip des islamischen Staatsrechts hinaus. Im Kern geht es um die böse Natur der Menschen, die nach Launen regieren oder nach Launen über andere herrschen.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Gott fordert in dem Vers, sobald einer Gemeinschaft ein göttlicher Wille offenbart wurde, muss diese auf menschliches Handeln - inklusive politisches Handeln - als gesetzgebende Macht verzichten. Das "Gesetz" und seine Durchsetzung, egal ob weltlich oder nicht, ist allein Gottes Angelegenheit.
    Der eingangs zitierte Vers verknüpft menschliches Wissen und Handeln mit rechtsstaatlichen Strukturen. Der Mensch selbst ist eine unzulässige Mittelsperson für Gottes Willen. Er soll durch eine geistige Leitung ersetzt werden, die für die irdische Welt eine Regierung der Gerechtigkeit herstellt.
    Professor Wael Hallaq
    Wael Hallaq gehört zu den renommiertesten Vertreterm seines Fachs. Er hat mit diversen Studien weltweit diskutierte Thesen aufgestellt. (priv.)
    Statt einzelnen Menschen das Recht beizumessen, dass viele andere ihnen gehorchen sollen, verlangt der Koran hier die Übernahme des Prinzips der sogenannten rabbâniyya.
    Ein Vertreter dieses Prinzips heißt im Arabischen rabbânî, mehrere heißen rabbâniyyûn. Der Begriff "rabbâniyyûn", im Vers mit "Gottesanhänger" übersetzt, ist in seiner Bedeutung ziemlich nah an der hebräischen Entsprechung: Rabbiner. Nach weitgehendem Konsens der Gelehrten - inklusive der frühesten Koran-Interpretatoren - wird der Begriff so verstanden, dass damit die "ulamâ’ oder "fuqahâ’" gemeint sind.
    "Ulamâ’ oder "fuqahâ’" bilden eine Gruppe fachkundiger Menschen, die Kenntnis von den göttlichen Rechtsurteilen (hukm) und den religiösen Schriften haben. Diese Kenntnisse erlauben es ihnen, die Allgemeinheit zu unterrichten. Als Lehrer, sprich als Wegweiser bilden sie eine Führungsschicht (wulât al-amr) in der Gemeinschaft aller Muslime. Mit Blick auf die Erkenntnistheorie und die Politik verfügen sie über die höchste Stellung.
    Ihr Wissen ist nicht auf das begrenzt, was man normalerweise mit dem Wort "Kenntnis" meint. Ihr Wissen ist ein Spiegelbild der göttlichen Rechtsurteile. Damit haben sie die Fähigkeit, die Belange der Öffentlichkeit zu handhaben und die weltlichen sowie religiösen Angelegenheit der Menschen zu überwachen.
    Der große Koran-Interpretator al-Tabarî fasst die Vorstellung stellvertretend für die Mehrheit der Korankommentatoren mit seiner Definition von "rabbâniyyûn" zusammen. Sie lautet: "Die ‚rabbâniyyûn‘ sind die Stütze der Menschen in Angelegenheiten des göttlichen Rechts (fiqh) und des göttlichen Wissens (‘ilm) sowie bei religiösen und weltlichen Fragen. Ein rabbânî ist jemand, der das religiöse Wissen und das religiöse Recht anreichert mit feinem Gespür für Verwaltung und Ordnung. Zudem beaufsichtigt er die Angelegenheiten der Untertanen, indem er sich darum kümmert, was in Bezug auf religiöse und weltliche Dinge in ihrem Interesse liegt."
    "Kenntnis" ist in diesem Kontext nicht allein theoretisch, sondern auch praktisch zu verstehen. Die Krönung des weitreichenden Bedeutungsspektrums von Sure 3 Vers 79 ist Folgendes: Die Aufforderung, rabbâniyyûn zu sein, gründet unmittelbar auf Lernen und Unterrichten (dars).
    Das Studium, also die Kenntnis des Korans ermöglicht das Unterrichten. Und erst die erworbenen Kenntnisse und die Kompetenz, diese zu lehren, schaffen die nötigen und hinreichenden Bedingungen dafür, Menschen zu guten, tief moralischen Handlungen anzuleiten.