"Jesus, Sohn der Maria, sagte: ‚Gott, unser Herr! Sende uns einen Tisch vom Himmel herab, so dass es ein Festtag für uns alle ist - für den ersten wie für den letzten – als auch ein Zeichen von dir. Und ernähre uns, denn du bist doch der beste Ernährer!"
Die fünfte Sure des Korans heißt "Surat al-Ma’idah", was häufig mit "Die Sure des Tisches" übersetzt wird. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass sich der Name von der beschriebenen Szene zum Ende der Sure ableitet: Gott sendet ein Mahl für Jesus und seine Jünger herab. Der Name "al-Ma’idah" bezieht sich also nicht einfach nur auf einen Tisch, sondern auf das Abendmahl, um das es in diesem Vers geht.
Die koranische Darstellung Jesu nimmt sich vieler christlicher Begriffe und Konzepte an. Sie werden allerdings in der Regel mit anderen Bedeutungen verknüpft und uminterpretiert. So geschieht das auch im Fall des Abendmahls.
Das ist an sich nichts Neues. Schon die Evangelien haben es so gemacht. Sie wandelten einst den jüdischen Ritus des Sederabends zur Grundlage für die christliche Kommunion um.
Jesus war als gläubiger Jude zu Pessach nach Jerusalem gegangen. Das Mahl, das er am Sederabend mit seinen Jüngern teilte, war ein heiliges Mahl. Juden danken dabei Gott, weil er sie in Ägypten aus der Sklaverei errettet und ins gelobte Land geführt hat.
Laut Evangelien macht Jesus aus diesem Ritus nun ein Symbol dafür, dass er sich für die Sünden seiner Anhänger aufopfert. Wein steht dabei für sein Blut, das er bei seinem Tod vergießen wird, Brot für sein Fleisch. Die Kirche baute darauf das zentrale Sakrament der Eucharistie auf.
Im Koran wird das Abendmahl wieder neu interpretiert. Die Jünger bilden hier jene kleine Gruppe Getreuer, die die Botschaft Jesu angenommen hat (Sure 5 Vers 111). Das entspricht dem Muster koranischer Berichte über Propheten: Stets folgt ihnen nur eine begrenzte Zahl an Gläubigen, die überwiegende Mehrheit eines Volkes lehnt ihre Botschaft ab.
Die Jünger fragen Jesus nach einem Zeichen. In den Versen, die unserem heute zu besprechenden vorangehen, heißt es (Sure 5 Verse 112-113): "Als die Jünger sagten: ‚Jesus, Sohn Maria‘s! Kann dein Herr uns einen Tisch vom Himmel herabsenden?’ Er sagte: ‘Fürchtet Gott, wenn ihr wirklich an ihn glaubt!’ Sie sprachen: ‚Wir wollen davon essen, damit unsere Herzen beschwichtigt sind und wir damit wissen, dass du die Wahrheit gesprochen hast und wir dieses Wunder Gottes bezeugen.’"
Nachdem Jesus dann, wie der eingangs zitierte Vers berichtet, Gott um dieses Wunder bittet, geschieht es, wie der nachfolgende Vers wissen lässt (Sure 5 Vers 115): "Gott sprach: ‚Ich sende es euch hinab. Wer danach noch ungläubig ist, den werde ich so qualvoll bestrafen wie sonst noch keinen.‘"
Das Wunder des Fests für Jesus und seine Jünger hat zwei Facetten: Es versichert den Gläubigen, dass sie der wahren Botschaft Gottes folgen, so wie von Jesus überbracht. Zugleich ist es ein Test, um Nichtgläubige zu erkennen. Und wer leugnet, den wird Gottes Zorn treffen.
Diese faszinierende Geschichte verbindet Judentum, Christentum und Islam, auch wenn sie in allen drei Traditionen anders interpretiert wird. Sie ist eine von mehreren Beispielen dafür, dass christliche Texte und Konzepte eine wichtige Rolle im Koran spielen
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