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Symposium in Karlsruhe
Urbane Klanginstallationen und auditives Geocaching

Selbstregulierung akustischer Schwärme, Geolokalisierung, Geocaching bei Soundwalks, digitale Schnitzeljagden – manches ist Zukunftsmusik, vieles auch bereits Alltag. Was Künstler aus akustischen Technolgietrends machen, wurde beim Symposium "My City, My Sounds" in Karlsruhe vorgestellt und diskutiert.

Von Peter Backof |
    "Wir sind jetzt im Stadtzentrum, hören viel Verkehr, haben auf einem Beamer dann so eine Art Darstellung, ebenfalls der Stadtkarte. Und die Klänge, wenn die aktiviert sind, die hüpfen so ein bisschen auf, sodass ich sehen kann, um welchen Klang es sich handelt."
    Manchmal hüpften vier Dutzend Klangsymbole gleichzeitig wie Gummibälle, auf der großen Stadtplan-Projektion. Ich bin mit Ludger Brümmer, dem Leiter des Instituts für Musik und Akustik, nicht wirklich in der Karlsruher Innenstadt, sondern im "Klangdom" des Zentrums für Kunst und Medientechnologie. Der Klangdom – ein technisch und nüchtern ausgestatteter Konzertsaal macht mit seinen 47 einzeln ansteuerbaren Lautsprechern perfekt illusionistischen Surround-Sound möglich, und ich fühle mich, Augen zu, wie gebeamt, an eine Straßenecke, einen Park, in diesem Testlauf von "My City, My Sounds", einer interaktiven Stadtklangcollage für Handys mit Stadtplan-App.
    Der Clou ist, dass die Teilnehmer mit Handys ausgestattet werden und selber diese Gummiball-Symbole hüpfen und klingen lassen können. Dadurch werden voraufgezeichnete Klänge Personen zugeordnet, die jetzt in Echtzeit damit spielen. Als Orchester der Stadtklänge.
    Ludger Brümmer: "Natürlich, wenn da dreißig, vierzig, fünfzig Leute sitzen, dann muss man schauen, wie man die kanalisiert. Und ich glaube: Gerade bei längeren Prozessen machen das die Menschen selber. Es gibt ja so eine Interaktivität, dass auch so eine Gruppe in sich erst mal drauf los handelt, und dann auch sieht, was ihr Handeln bewirkt und dann, glaub ich, reagiert auf das, was sie da tut."
    Klangsegment "Badische Backstub"
    Gewagte These: Selbstregulierung akustischer Schwärme: Und wenn man genau hinhört, merkt man: Im Kern geht es hier gar nicht so sehr um Illusion oder Beamen von Klängen, sondern um einen sozialen Prozess: Allmählich beginnen die Teilnehmer aufeinander zu hören und improvisieren zusammen wie Jazzmusiker. Ist das Klangsegment "Badische Backstub" nicht merklich leiser geworden, seit auch die "Ecke Commerzbank" und die "Venus Bar" tönen?
    Ludger Brümmer: "Ich als Komponist würde noch mal ne andere Frage stellen: Wie gehen wir hier überhaupt mit Klang um, haben wir einen Mehrwert?"
    Sprich: Neue Technologie schön und gut, aber was ist ihr künstlerischer Wert? Das wurde das ganze Wochenende diskutiert im Rahmen des Symposiums "My City, My Sounds": Wie verändert sich die urbane Wirklichkeit durch digitale und mobile Technik, wenn diese längst auch schon Wirklichkeit ist? Bernd Lintermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZKM, zum Beispiel, stellte in seinem Vortrag "Augmented Reality" vor.
    Bernd Lintermann: "Augmented Reality mischt die Realität mit der Virtualität - "augmented" kommt aus dem Englischen, bedeutet "anreichern".
    Schlichtes Beispiel wäre eine App, die dem Smartphone-User, der in der City allzu sehr mit seinem Screen beschäftigt ist, davon abhält, unfreiwillig gegen einen Poller zu laufen. Entweder durch perfektes Scannen des Stadtraums oder im nächsten Schritt durch Poller, die von sich aus Warnungen senden.
    Bernd Lintermann: "Dieses Versprechen von Augmented Reality ist, dass es sehr einfach zu benutzen ist. Man braucht nur zu gucken und sieht dann schon, was man sehen möchte, was einen interessiert. Und deswegen wird gesagt: Das ist die neue Form des Internets."
    Metatrend "Augmented Reality"
    Kinder wackeln im Werbespot für einen Tablet-PC mit diesem herum, doch das Bild bleibt perfekt in der Waagrechte wie ein Wasserspiegel. Oder bei einem Stadtspaziergang werden einem - das wäre dann der Schritt zum "Soundwalk" - Informationen zu Gebäuden auf den Kopfhörer gespielt, wenn man diese passiert. Für Bernd Lintermann ist "Augmented Reality" der Metatrend: Realität und Virtualität werden zusammendriften. Wobei die technische Entwicklung rasant und unüberschaubar voranschreitet, sagt er: Wird man in zehn Jahren als Schnittstelle zwischen realer und virtueller Welt etwas Brillenartiges aufsetzen oder doch schon winzige Projektoren haben, die die Bilder direkt auf die Netzhaut im Auge senden? Künstler, Wissenschaftler, Programmierer stellten am Karlsruher ZKM eine Fülle von Geräten und Programmen vor.
    Allenfalls der Preis mancher Geräte ist da noch eine Schranke für die meisten, aber es gibt sie längst. Es ist natürlich schon allein ästhetisch reizvoll, wenn man wie ein Cyborg die Welt durchschreitet und einem Text und Klang als Hologramme zugespielt werden . Beeindruckt hat mich das "Archiv der zukünftigen Ereignisse" des Kölner Künstlerduos Hofmann und Lindholm: Minihörspiele über wahrscheinlich bald - oder so bald nicht - eintretende Ereignisse: der Neubau des Kölner Stadtarchivs, die Beerdigung von Helmut Schmidt, der 1. FC Köln im Endspiel der Champions League, mit originalem Kommentar von Sportreporter Manni Breuckmann. Das tönt dann bei einem Soundwalk, einer Fahrt im Taxi. Gestrickt wie damals Orson Welles´ "Krieg der Welten": fast Wirklichkeit. "My City, My Sounds", das war aber nicht Science Fiction, es hieß eher: Es ist reizvoller, sich die Welt in drei Jahren vorzustellen, als die in fünfzig!Informativ aber vor allem fantasieanregend!