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Tagung "Die Welt. Ein Haushalt"
Neuer Blick aufs globale Wirtschaften

Wissenschaftler und Künstler diskutieren in Dessau über das globale Wirtschaften und betrachten dabei alles unter der Vogelperspektive des privaten Haushalts. Im Haushalt sei ganz viel eingelagert, was eigentlich nicht in der national-ökonomischen Rechnung aufgehe, sagte Regina Bittner, Kuratorin der Tagung, im Deutschlandfunk.

Regina Bittner im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Putzende Frau am Küchentisch
    Alles kehrt an den heimischen Küchentisch zurück. (picture alliance / Lehtikuva)
    Doris Schäfer-Noske: Mit 37 Prozent sind Single-Haushalte inzwischen der häufigste Haushaltstyp in Deutschland. Etwa zwei von fünf Haushalten werden also von nur einer Person bewohnt. Der Abschied von der Großfamilie, die unter einem Dach zusammenlebt, ist längst vollzogenen. Andererseits sind die Haushalte aber heute durch die Globalisierung und den Klimawandel viel enger miteinander verbunden als früher. Jedes Problem kommt irgendwann an den Küchentisch zurück, könnte man sagen.
    Diese Entwicklung hat die Akademie der Bauhaus-Stiftung Dessau nun auf die Idee zu einer Tagung gebracht, die jetzt am Wochenende stattgefunden hat. Und zwar unter dem Titel "Die Welt. Ein Haushalt".
    - Frage an die Kuratorin der Tagung, Regina Bittner: Frau Bittner, welche Erkenntnisse bringt denn dieser Wechsel in die Vogelperspektive, also wenn man die Welt als einen Haushalt betrachtet?
    Regina Bittner: Ja, im Grunde zeigt das ganz gut auf, wie tief unsere Haushaltspraxis verwoben ist mit dem, was sozusagen international passiert. Wir müssen darüber nachdenken, wo das Essen herkommt, welches Ackerland umgepflügt wird, wo die Energie herstammt. Das haben sich wahrscheinlich historisch die Meister - denn die Tagung hat auf dem Gelände der historischen Meisterhäuser stattgefunden - in den 20er-Jahren nicht so wirklich überlegt, denn da galt noch alles das, was aus dem Haushalt outgesourct wurde, sprich die moderne effiziente, ökonomisch gestaltete Küche, als ein Fortschrittsversprechen. Es betraf sowohl den Energiezufluss als auch natürlich die schon industrialisierte Essensproduktion. Das galt damals als großer Progress, ist aber heute unter veränderten Vorzeichen von Klimawandel und Ressourcenmangel doch plötzlich wieder ein großes Problem geworden.
    Schäfer-Noske: Haushalt hat etwas mit Haushalten zu tun, wobei das weltweite Haushalten - Sie haben es schon angedeutet - ja so aussieht: Die einen leben im Überfluss und verbrauchen zu viel und die anderen haben nicht, was sie dringend bräuchten. Welche politischen Ansätze lassen sich denn aus Ihrem Denkmodell, die Welt als einen Haushalt zu sehen, ableiten?
    Bittner: Der Haushalt stellt ja auf eine ganz interessante Weise ein ziemlich komplexes Phänomen dar, denn da finden ja viele ökonomische Praktiken gleichzeitig statt. Vieles, was wir da machen, ist unbezahlte Arbeit, vieles hat auch was damit zu tun, dass man an die Familienmitglieder etwas weitergibt, dass man teilt, dass man das Geld anders aufteilt, dass man Routinen hat, die man auch an die nächste Generation weiterträgt. Im Haushalt ist ganz viel eingelagert, was eigentlich nicht in der national-ökonomischen Rechnung aufgeht. Und vor dem Hintergrund des Haushaltens als einer anderen ökonomischen Praxis kann man viel heute auch noch mal darüber nachdenken, wie wir eigentlich wirtschaften und was als wirtschaftlich bezeichnet wird, als ökonomisch und was eben nicht als wirtschaftlich betrachtet wird. Da ist ganz viel Arbeit dabei, Begriffe von Arbeit, Verständnis von Wirtschaft, die es eigentlich wert sind, viel stärker in den Blick zu nehmen. Wir hatten zum Beispiel Gäste aus Brasilien da, die noch mal über die Solidar-Ökonomie gesprochen haben. Da werden neue Modelle von gemeinschaftlichem Handeln und Wirtschaften vorgestellt, die eigentlich aus dem Haushalt stammen. Und von da aus im Grunde auch eine andere Perspektive auf eine andere Lebensweise deutlich machen.
    Schäfer-Noske: Könnten Sie da mal ein Beispiel nennen für eine Idee, die aus dem Haushalt kommt und die eine andere Lebensweise deutlich macht?
    Bittner: Es gibt heute sehr viele Modelle von Co-Housing, wo mehrere, im Grunde Einzelpaare, Singles oder auch Familien gemeinsam eine Küche teilen. Auch, weil natürlich die Mieten immer höher werden, aber eben auch, weil man gemeinsam zusammenleben möchte, aber auch auf eine andere Weise Ressourcen teilen möchte. Aber eben auch, weil dann ein Bewusstsein dafür da ist, dass der Platz, den wir haben, und die Ressourcen, die wir haben, immer knapper werden. Und vor dem Hintergrund gerade auch neue Modelle des Zusammenwohnens gerade in großen Städten praktiziert werden. Und das findet international statt, natürlich auch in Städten wie München oder Berlin.
    Schäfer-Noske: Und das wäre eine Form des Haushaltens, die man möglicherweise auch auf einer übernationalen Ebene diskutieren könnte, also die man weiter ausdehnen könnte?
    Bittner: Ja, auf jeden Fall. Und ich denke, dazu gab es auch - und deswegen macht es auch Sinn, das an einem so historischen Ort wie auf dem Gelände der historischen Meisterhäuser zu machen -, es gab schon in den 20er-Jahren viele Überlegungen, andere Modelle des Co-Housings, des kollektiven Wohnens, des kollektiven Wirtschaftens zu entwickeln vor dem Hintergrund der Mangelwirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg. Und mit dem Blick der Gegenwart unserer Sorgen um Ressourcen und Klimawandel schauen wir heute eben auch wieder anders auf die Experimente, die in den 1920er-Jahren unter anderem auch durch das Bauhaus entwickelt worden sind.
    Schäfer-Noske: Haushalten war in Deutschland - Sie haben es schon angesprochen - lange Zeit die unbezahlte und daher auch schlecht angesehene Arbeit von Frauen. Ist es das zum Teil auch heute noch, oder inwieweit hat sich da was verändert?
    Bittner: Es gibt natürlich immer noch eine Menge unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit. Die wird aber auch viel durch Migrantinnen und Migranten getätigt. Wir hatten unter anderem einen sehr interessanten Vortrag einer amerikanischen Soziologin und Ökonomin, Maliha Safri, die über den Begriff des globalen Haushaltes referiert hat und gezeigt hat, wenn Menschen aus den Philippinen in den USA jetzt sich um Haushalte kümmern, gleichzeitig aber das Geld zurückfließt in die Haushalte in den Philippinen, wie plötzlich über Kontinente, wenn man so will sogar Ozeane hinweg Geldtransfers laufen und trotz alledem Haushalt aufrecht erhalten wird. Das heißt, unsere Vorstellung, dass Haushalt an einen konkreten Ort gebunden ist und quasi von Menschen, die dort auch bleiben über Generationen hinweg, diese löst sich auf. Zugleich wird aber trotzdem ein bestimmtes Verhältnis des Haushaltens weiterhin aufrecht erhalten, und sei es eben über solche großen Zeit- und räumlichen Distanzen.
    Schäfer-Noske: Das war Regina Bittner, Kuratorin der Tagung "Die Welt. Ein Haushalt" in Dessau.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.