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Tagung "Über das Sehen"
Bilder können trügerisch sein

Nicht alles, was wir sehen, ist real. Bilder können lügen oder Sinnestäuschungen hervorrufen. Auf der internationalen Tagung "Ansichtssachen. Über das Sehen" diskutierten Soziologen, Kulturwissenschaftler, Psychologen und Physiker über die Wirkung von Bildern, den Kampf um die richtige Optik und die Kulturgeschichte des bösen Blicks.

Von Cornelius Wüllenkemper |
    Staars- und Regierungschefs vieler Länder kamen nach Paris, um der Toten der Anschläge zu Gedenken.
    Was nach einem Solidaritätszug hochrangiger internationaler Politiker aussehen sollte, war ein bis ins letzte Detail durchchoreografiertes Regiestück. (picture alliance / EPA / Julien Warnand)
    Wolfgang Einhäuser-Treyer, Physikprofessor an der Technischen Universität Chemnitz stellte klar: Ein Großteil dessen, was wir zu sehen meinen, ist pure Konstruktion. Welches Bild wir aus den unendlichen Kombinationsmöglichkeiten visueller Signale zusammensetzen, ist ein Prozess der ständigen unbewussten Entscheidung.
    "Wir haben keinen eindeutigen Zugang zu den Quellen, zu dem objektiven Signal da draußen. Sondern wir müssen aus der Kombination aus Erfahrung und der sensorischen Evidenz die bestmögliche Schätzung über die Welt da draußen machen. Und das machen wir ja nicht, weil wir die Welt erkennen wollen, sondern weil wir in der Welt handeln wollen. Das ist der zweite wichtige Punkt, dass unsere Wahrnehmung nicht darauf optimiert ist, ein möglichst wahrheitsgetreues Bild der Welt zu kriegen, sondern effizient in der Welt handeln zu können."
    Film- und Fotoaufnahmen der "Marche Républicaine"
    Das Sehen selbst ist also Ansichtssache, und das gilt auch und vor allem auf dem politischen Parkett. Der Historiker und Philosoph Martin Schaad schaute ganz genau hin. Schaad analysierte die Film- und Fotoaufnahmen der "Marche Républicaine" nach den Pariser Terroranschlägen von 2015. Was nach einem Solidaritätszug hochrangiger internationaler Politiker aussehen sollte, war ein bis ins letzte Detail durchchoreografiertes Regiestück. Der dafür abgestellte Protokollchef des Französischen Präsidenten bestimmt, wo François Hollande und Angela Merkel, wo Mahmud Abbas und Benjamin Netanjahu zu positionieren sind. Dabei genügt ein Sekundenausschnitt, um die Ansicht zu erhalten - und zu verbreiten, die den eigenen Interessen entspricht, meint Martin Schaad.
    "Bilder gewinnen natürlich enorm an Macht, wenn eine Interpretation schon gleich mitgeliefert wird. Das Sehen bringt uns dazu, leichtgläubiger demgegenüber zu sein, was wir hören."
    Sinnestäuschung in der Zauberkunst
    Dass Bilder höchst trügerisch sind, kam auf der Tagung im Potsdamer Einstein Forumforum wiederholt zur Sprache. Der Psychologe Peter Lamont von der Universität Edinburgh befasste sich mit der bewussten Sinnestäuschung in der Zauberkunst. Während der heutigetechnologische Standard unseren Vorfahren vermutlich als pure Zauberei erschienen wäre, sind wir im Gegenzug immer noch fasziniert, wenn Münzen verschwinden, Menschen zersägt oder Karten blind aufgedeckt werden.
    "Der Effekt der Täuschung ist immer der gleiche, nur was hinter dem Effekt vor sich geht, was wir nicht sehen, ändert sich ständig. Denn auch was das Publikum als unmöglich oder als normal ansieht, was es erwartet und annimmt, ändert sich mit der Zeit. Und darauf muss der Zauberer reagieren. Genau das ist das Problem der Zauberkunst: Sie gilt als trivial, weil es eben nicht um etwas Reales geht. Und dabei wird ihre tiefe Bedeutung als Quelle von Wundern und Unerklärlichem oft übersehen. Der Zauberer muss erst eine scheinbare Realität herstellen, damit seine Zauberei als eine Kunstform erkannt wird."
    Der böse Blick
    Die Geschichte der optischen Täuschung ist Teil unserer Kulturgeschichte. Das gilt auch für den "bösen Blick", mit dem sich der Berliner Kulturwissenschaftler Christian Breuer beschäftigte. Die obskure Macht des Blicks führte Breuer an der Trennung zwischen Auge und Blick vor. Auch wenn uns niemand anschaut, fühlen wir uns beobachtet, angeblickt, etwa beim nächtlichen Spaziergang durch den Wald. Auch ein halbes Jahrtausend nach der Widerlegung der sogenannten Strahlentheorie, nach der Augen Strahlen aussenden, um die Umwelt abzutasten, herrscht weiterhin die Vorstellung von einer invasiven Kraft das Blicks, so Breuer.
    "Nichtsdestotrotz hat das den magischen Aspekten des Auges und dem Glauben, dass das Auge auch Manifestes aussenden kann, keinen Abbruch getan. Diese Erfahrung kann man ja auch in der U-Bahn machen, wenn man über Gebühr zu lange angeblickt wird. Das kann sehr sehr unangenehm werden. Auch in unserem mitteleuropäischen, nicht abergläubischen Kulturkreis."
    Sehen ist im Wortsinn "Ansichtssache", denn von der Verarbeitung sensorischer Reize bis hin zur intellektuellen Einordnung des Bildes spielt die aktive Sinnkonstruktion eine zentrale Rolle. Bilder sind höchst manipulativ, und oft sieht man einfach nur das, was man sehen möchte. Man muss also schon genau hinsehen. Als Auftakt zu einer Kritik der visuellen Vernunft gab die Tagung im Potsdamer Einstein Forumforum erkenntnisreiche Impulse.