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Taliban-Vormarsch
"Endgültigen Abzug aus Afghanistan diskutieren"

Die Internationale Gemeinschaft müsse entscheiden, ob der Einsatz in Afghanistan Anfang 2016 wirklich beendet werde, sagte Franz-Josef Jung (CDU), ehemaliger Bundesverteidigungsminister im DLF. Es müsse das Ziel sein, Afghanistan auf Dauer zu stabilisieren.

Franz-Josef Jung im Gespräch mit Matthias von Hellfeld |
    Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sitzt am 22.07.2013 zu Beginn der Zeugenvernehmung im Drohnen-Untersuchungsausschuss des Bundestags im Paul-Löbe-Haus in Berlin im Sitzungssaal.
    Ex-Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Matthias von Hellfeld: Die Taliban haben, wie wir eben gehört haben, Kundus ins Visier genommen, dort, wo lange Zeit die Bundeswehr stationiert war. 55 Soldaten sind bei dem Einsatz in Afghanistan ums Leben gekommen. Derzeit ist geplant, im nächsten Jahr, also 2016, alle noch verbliebenen Truppen aus den unterschiedlichen Regionen des Landes zurückzuziehen und in Kabul zu stationieren. Dazu ist jetzt der ehemalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung zugeschaltet. Guten Abend!
    Franz-Josef Jung: Guten Abend!
    von Hellfeld: Ist die Mission "Andauernde Freiheit", also "Enduring Freedom", in Afghanistan gescheitert oder nicht?
    Jung: Nein, die ist nicht gescheitert. Aber Tatsache ist, dass leider gestern das Opferfest der Muslime von Seiten der Taliban ausgenutzt wurde, um hier Kundus zu überrennen, und deshalb kann ich auch nur hoffen und wünschen, dass jetzt die Gegenoffensive, die ja gestartet worden ist und die auch läuft, die, wie ich höre, auch durchaus erfolgreich läuft, generell zum Erfolg führt, um die Lage dort wieder zu stabilisieren. Denn eins ist wahr: Es kann nicht wahr sein, dass wir ein solches Engagement vor Ort geleistet haben, mit Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten, und nachher gegebenenfalls die Taliban wieder in der Lage sind, Städte zurückzuerobern.
    von Hellfeld: Angesichts der eben von Ihnen geschilderten Lage haben Sie vorgeschlagen, Bundeswehrsoldaten möglicherweise länger als bis zum nächsten Jahr in Afghanistan zu belassen. Was erhoffen Sie sich genau davon?
    Jung: Tatsache ist ja, dass im Einsatz in Afghanistan von Seiten der Bundeswehr 55 Soldaten gefallen sind, und es kann nicht sein, dass wir einen solchen Blutzoll sozusagen bezahlt haben und nachher die Taliban doch wieder hier in die Machtposition kommen. Es ist auch im Interesse unserer Sicherheit, dass wir Afghanistan so stabilisieren, dass es dauerhaft hier sicher ist und nicht wieder zurückfällt in die Hand der Taliban. Deshalb muss, denke ich, auch darüber diskutiert werden, auch im Rahmen der internationalen Gemeinschaft, ob es klug und richtig ist, hier gegebenenfalls die Präsenz bereits 2016 zu beenden. Denn eins ist auch wahr und das sehen wir im Irak: Zu frühes Abziehen hat teilweise zu katastrophalen Folgen geführt und wir müssen ein Interesse haben, dass Afghanistan auf Dauer stabilisiert wird.
    Afghanische Armee muss weiter ausgebildet werden
    von Hellfeld: Was muss anders laufen als bei dem Einsatz bisher?
    Jung: Ich denke, der Einsatz bisher war in Ordnung. Es ging nur darum, dass hier entsprechend weiterhin natürlich die afghanische Armee ausgebildet und ertüchtigt werden muss, dass sie auch in Zukunft allein in der Lage ist, einen solchen Angriff beispielsweise, wie er jetzt in Kundus passiert ist, entsprechend abzuwehren. Aber ich sage noch einmal: Es war offensichtlich auch eine besondere Situation, dass das Opferfest, was vergleichbar ist bei den Christen mit Weihnachten, wo viele offensichtlich der afghanischen Armee zuhause waren, hier entsprechend ausgenutzt wurde vonseiten der Taliban. Aber deshalb ist es notwendig, dass man dort in Zukunft etwas sorgfältiger darauf achtet und dass eine solche Situation nicht mehr eintritt, und ich kann nur hoffen und wünschen, dass die Gegenoffensive alsbald auch entsprechend zu dem Erfolg führt, dass die Lage wieder stabilisiert wird.
    von Hellfeld: Eine möglicherweise Verlängerung des Einsatzes oder eine Neuauflage des Einsatzes in Afghanistan geht ja nicht ohne Einverständnis der Regierung in Kabul. Wissen Sie, wie die auf diese Ideen und Gedankenspiele reagiert?
    Jung: Die Regierung in Kabul ist natürlich in enger Abstimmung mit der internationalen Gemeinschaft und wie gesagt, wir müssen jetzt erst einmal schauen, genauer hinschauen auch, wie zügig die Gegenoffensive zum Erfolg kommt und inwiefern es notwendig ist, dass auf Dauer hier die afghanische Armee noch weiter stabilisiert wird. Denn das ist unser Ziel immer gewesen, dass Afghanistan allein in der Lage ist, für seine Sicherheit zu sorgen. Aber diese Voraussetzungen müssen auch geschaffen sein und es kann nicht eine Lage eintreten, wie sie gestern in Kundus passiert ist. Wenn ich sehe, dass die Taliban beispielsweise in unserem Lager, was wir dort aufgebaut haben, hier entsprechend agieren, dann ist das genau das Gegenteil von dem, was wir dort erreichen wollten.
    Einsatz muss zur dauerhaften Sicherheit im Lande führen
    von Hellfeld: Angesichts der Ereignisse in Afghanistan, wie wir sie jetzt gerade diskutiert haben, welche Rückschlüsse würden Sie ziehen für Einsätze der Bundeswehr in anderen Ländern in ferner Zukunft?
    Jung: Vom Grundsatz her, dass man einen derartigen Auftrag auch langfristig sehen muss. Ich sage beispielsweise, wir sind im Kosovo immer noch mit Bundeswehrsoldaten, um letztlich die Lage hier mit zu stabilisieren. Es darf nicht sein, dass ein zu frühzeitiger Abzug, der gegebenenfalls aus politischen Gründen erwogen wird, dann dazu führt, dass hier wieder die Terroristen in eine Machtposition kommen, sondern ein entsprechender Auftrag muss dann auch so zu Ende geführt werden, dass die Sicherheit auf Dauer in diesem Land gewährleistet ist.
    von Hellfeld: Soweit der ehemalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, mit dem ich vor dieser Sendung gesprochen habe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.