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Teilhabepaket
"Worauf man zielen sollte, ist eine Haltungsänderung"

Dass das Teilhabepaket nur sehr selten in Anspruch genommen werde, liege unter anderem an zu viel Bürokratie und einem Gefühl der Diskriminierung, sagte Holger Noltze, Sprecher des Rats für Kulturelle Bildung im DLF. Die Chance, ästhetische Erfahrungen zu machen, sollte in Deutschland als Grundrecht einfach dazugehören. Nicht nur für jene, die finanziell gut dastehen.

Holger Noltze im Gespräch mit Mike Herbstreuth |
    Der deutsche Autor, Univ.-Prof. Dr. phil. Holger Noltze, aufgenommen am 14.03.2013 in Leipzig (Sachsen) auf der Buchmesse. Foto: Marc Tirl | Verwendung weltweit
    Dass das Teilhabepaket so wenig in Anspruch genommen wird, liege auch an der hohen bürokratischen Hürde, sagt der deutsche Autor und Sprecher des Rats für Kulture Bildung, Holger Noltze. (dpa-Zentralbild)
    Mike Herbstreuth:!! Als Flop wurde es eben in unserem Beitrag auch bezeichnet, und Kritik am Teilhabepaket kommt aktuell auch vom Rat für Kulturelle Bildung, ein Sachverständigengremium, hinter dem mehrere Stiftungen stehen. Holger Noltze ist Sprecher des Rats für Kulturelle Bildung. Herr Noltze, Bürokratie und schlechte Information – lassen sich die Probleme des Teilhabepakets auf diesen Nenner bringen?
    Holger Noltze: Das sind jedenfalls sehr zentrale Gründe dafür, dass das nicht in dem Maße genutzt wird, nicht in dem Maße abgerufen wird, wie es möglich wäre. Wir sind uns sicher einig, dass zehn Euro für kulturelle Bildung inklusive Sport nicht viel Geld sind, da kann man keine großen Sprünge mit machen, aber wenn man sieht, wie wenig das in Anspruch genommen wird, dann kann man eigentlich nur von einem Scheitern sprechen an dem Punkt. Und dafür ist sicher die hohe bürokratische Hürde verantwortlich, jedenfalls mitverantwortlich – es ist zu viel Bürokratie. Es gibt noch einen anderen Aspekt, der vielleicht da eine Rolle spielt, nämlich es kann durchaus diskriminierend sein, wenn man so einem dann kompliziert beantragten Papiergutschein losgeht, um seinen Beitrag zu leisten bei der Musikschule oder beim Sportverein oder was immer das ist, und sich damit als Hartz-IV-Empfänger oder Kind einkommensschwacher Eltern outet, dann ist es nicht gerade angenehm. Also da fehlt ein bisschen sozusagen die Fantasie und das Gefühl für die Realität, glaube ich, bei denen, die das konzipiert haben.
    Es gibt, was diesen Punkt angeht, andere Beispiele. Ein paar Gemeinden in Nordrhein-Westfalen – Münster, Steinfurt, ich glaube auch Stuttgart –, haben so ein Kartensystem eingeführt, wo man das dann anonymisiert machen kann. Also man kann dann mit der Karte bezahlen, und man weiß eigentlich gar nicht, woher das jetzt da kommt. Das hat datenschutzrechtliche Probleme, ist aber zumindest, scheint es, irgendwie diese Hürde ein bisschen zu nehmen, denn die Abrufzahlen in diesen Orten sind deutlich höher. Da haben wir da sicher einen Punkt, wo man was ändern könnte, bis es besser funktioniert.
    Noltze: Grundversorgung für kulturelle Bildung herstellen
    Herbstreuth: Wobei diese Abrufzahlen dann auch nur bis in die 50 Prozent gehen derjenigen, die eigentlich Anrecht darauf hätten, was jetzt ja auch zwar ein bisschen besser ist, aber auch nicht so richtig viel. Wie kann man das denn generell noch erhöhen?
    Noltze: Der Rat für Kulturelle Bildung, der, wie Sie gesagt haben, ein unabhängiges Gremium ist, wir sind ja sowieso der Meinung, dass es zu wenig ist und dass es darauf ankommt, in diesem Land, in dieser Gesellschaft so was wie eine Grundversorgung für kulturelle Bildung herzustellen. Da ist ja so ein Bildungs- und Teilhabe-Zehn-Euro-Gutschein ((besser: Zehn-Euro-Gutschein für Bildung und Teilhabe)) wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn wir das Thema Bildung, das Thema Kultur, kulturelle Bildung ernst nehmen, dann müsste man das deutlich höher hängen. Und was sozusagen ein Punkt unserer ewigen Kritik ist, dass es zwar gerne sozusagen in Sonntagsreden herausgehängt wird, wie wichtig das ist für unser Zusammenleben, auch gerade jetzt, und immer wichtiger, aber wenn es dann in die Realität geht, sieht das Bild dann oft anders aus. Da regiert dann doch viel Halbherzigkeit und mehr gut gemeint als wirklich gut gemacht.
    Herbstreuth: Was für eine Summe schwebt Ihnen denn da vor?
    Noltze: Das ist, glaube ich, irgendwie schwer zu sagen. Wenn ich jetzt sagen würde, das müsste ja mindestens das Doppelte sein, dann hätten wir 20 Euro. Große Sprünge kann man damit auch nicht machen. Ich glaube, worauf man zielen sollte, ist so ein bisschen eine Haltungsänderung, das Kulturelle eben nicht als das schöne Sahnehäubchen noch obendrauf zu begreifen, sondern als die Grundlage dessen, wie wir in diesem Land leben wollen. Und da gehört die Chance, ästhetische Erfahrungen zu machen – wenn ich's mal ganz hochgestochen sagen darf –, als Grundrecht einfach dazu. Und wir können nicht akzeptieren, dass es sozusagen nur für die da ist, die ökonomisch bessergestellt sind oder bildungsmäßig bessergestellt. Gerade die, die am Rand stehen, die auch sonst oft genug ausgeschlossen werden, und gerade eben Kinder einkommensschwacher Eltern müssen wir hier in besonderer Weise stimulieren, gute Impulse geben und das dann eben auch ermöglichen.
    "Man müsste deutlicher kommunizieren, was man da kriegen kann"
    Herbstreuth: Und vielleicht noch mal ein kleines bisschen konkreter: Müsste man mehr Werbung für dieses Paket machen und vielleicht auch den Papierkram minimieren, und dann würden die Zahlen steigen?
    Noltze: Da bin ich vollkommen sicher. Man müsste deutlicher kommunizieren, was man da kriegen kann, was das bedeutet, und man muss gleichzeitig natürlich diesen Bürokratieaufwand irgendwie minimieren, was ja doch sehr gut möglich sein kann. Wenn Sie sehen, dass die Kosten für Verwaltung, also bis diese zehn Euro dann tatsächlich beim Anspruchsberechtigten angekommen sind, annähernd so hoch sind wie die Summe tatsächlich, die dann ausgezahlt wird – also wir haben es mal ausgerechnet: Um 28 Millionen zu verteilen, muss ich 25 Millionen aufwenden. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Da ist dringend Vereinfachung geboten, und alles andere macht keinen Sinn.
    Herbstreuth: Fordert Holger Noltze vom Rat für Kulturelle Bildung, damit mehr Kinder aus einkommensschwachen Haushalten vom Bildungs- und Teilhabepaket profitieren können. Nach neusten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit tun das bislang nur zehn Prozent der Kinder von Hartz-IV-Empfängern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.