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Telefonseelsorge
Das Ohr am Volk

Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge spüren die viel zitierten Ängste und Nöte der Deutschen. Es dominieren zwar private Probleme wie Einsamkeit und Krankheit, aber der gesellschaftliche Klimawandel ist hörbar. Vor allem das Gefühl, übersehen zu werden, kommt zur Sprache. Tenor: Warum bekommen die Flüchtlinge so viel Aufmerksamkeit und wir so wenig?

Von Matthias Bertsch |
    Ein abgelegter Telefonhörer
    Das Thema "Zuwanderung" bei der Telefonseelsorge: der gesellschaftliche Klimawandel ist hörbar. (dpa / picture-alliance / Rolf Vennenbernd)
    "'Sind die Flüchtlinge wichtiger als wir?', das höre ich schon, 'Es gibt doch auch noch uns!' Es sind Ängste, zu kurz zu kommen, weil die Flüchtlinge 'alles' in Anspruch nehmen und sich 'alles' um sie drehen würde. Dazu kommen Ängste vor der Gewalt, die von ihnen ausgehe. Trotz dieser besorgten Anrufer weiß ich nicht, ob es ratsam ist, das auch noch medial zu 'bearbeiten'. Wird es dadurch vielleicht noch verschärft?"
    "Am Anfang meiner Telefonseelsorgearbeit war es für mich sehr überraschend, dass die 'großen' gesellschaftlichen Themen eine so geringe Rolle während der Telefonate spielen. Wenn, dann sind es häufig Verschwörungstheoretiker, die querulatorisch drauf sind und Krawall machen wollen. Die anderen Anrufer, die wirklich in der persönlichen Krise stecken, wollen keine gesellschaftlichen Großdiskurse, sondern Zuhörer, manchmal auch Ratgeber."
    "Nach meinen Erfahrungen der letzten Monate hat sich wenig geändert. Zwar hat das Thema 'Zuwanderung' etwas mehr eine Rolle gespielt, letztendlich war dies aber stets Trigger für eigene Themen der Anrufer. Ein zur Angst neigender Mensch wird überall Grund zur Angst finden. Da das Thema in den Medien eine übergroße Rolle spielt, taucht es auch in den Gesprächen auf."
    Der gesellschaftliche Klimawandel ist hörbar
    Rund 8.000 Ehrenamtliche arbeiten bei der Telefonseelsorge in Deutschland. Gut 30 von ihnen haben wir per Mail nach ihren Eindrücken befragt, ob sie die Sorgen und Nöte spüren, von denen in der Diskussion um die Flüchtlingspolitik oft die Rede ist. Die Antworten sind sehr unterschiedlich, aber eins scheint klar: die Menschen, die die Nummer des Krisentelefons wählen, wollen meist nicht über Zuwanderung, Flüchtlinge oder eine Spaltung der Gesellschaft reden, sondern über Einsamkeit, Trennung oder Krankheit. Und doch ist der gesellschaftliche Klimawandel hörbar. Der Leiter der Kirchlichen Telefonseelsorge Berlin, Uwe Müller, erzählt:
    Eine alte Frau sitzt einsam in ihrer Wohnung vor einer Flasche Alkohol
    Die Menschen am Krisentelefon wollen meist nicht über Flüchtlinge reden, sondern über Einsamkeit, Trennung oder Krankheit. (dpa / picture alliance / Ingo Wagner)
    "Wir haben ja das Ohr am Volke, wie man so schön sagt, was die Menschen bewegt. Jetzt aktuell die ganzen Flüchtlingsgeschichten mit den Ängsten, die da so eine Rolle spielen, wo es in den allermeisten Fällen, ich sag's mal in Anführungsstrichen, nur um 'Besitzstandswahrung' geht und um Angst vor dem Unbekannten. Aber wir können uns die Themen nicht aussuchen, die Leute rufen uns an mit den Themen, die unter den Nägeln brennen."
    Nicht mehr so das Land, wo man sich wohlfühlt
    Wie sich diese Gespräche entwickeln können, schildern Lothar und Manfred, die wie alle Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge aus Gründen der Anonymität hier nur mit Vornamen genannt werden.
    "Man kommt nicht gleich zum Thema, sondern man spricht von den Nachbarn, man spricht, dass es laut ist im Haus, man spricht von Gerüchen, die man nicht kennt. Und erst durch ein näheres Herantasten erfährt man als Telefonseelsorger, um was es eigentlich geht: Es geht um die Fremden, und zwar nicht nur um die Fremden, die jetzt neu dazu kommen, übers Mittelmeer oder über die Balkanroute, sondern es gibt auch die Überfremdung, die schon hier lebende Muslime oder auch andere Personengruppen aus anderen Religionen, anderen Ländern, also dazu beitragen, dass es manchen Anrufern damit nicht gut geht."
    "Der bis oben hin voll vor Wut über die Ausländer seiende Anrufer, das ist nicht unser täglich Brot. Täglich Brot ist der mit seinem Verzweifelt-Sein über die Einsamkeit, mit der Krankheit, mit dem Partner. Und Mobbing ist ein Riesenthema. Und dann kann das, wenn man ein großes Ohr dafür hat, dann auf einmal, ja, ach, es ist auch nicht mehr so das Land, was ich kenne, wo ich mich wohlfühle."
    Manchmal braucht man allerdings auch kein feines Ohr, ergänzt Emma.
    "Die Leute rufen an mit einem Problem, es kann eines aus dem Haus sein, es kann aber auch ein Familienproblem sein. Dann hat man das Gefühl, man kommt etwas ins Plaudern. Dann ist plötzlich dieses Thema ganz abrupt da. Und zwar ist das eigentlich die Angst und es ist die Wut. Oft die Wut der Menschen, die glauben, sie sind jetzt benachteiligt und die Fremden, die kommen, nehmen es uns weg."
    Thema zwischen den Zeilen
    Auch wenn sie angesichts der jährlich rund zwei Millionen Gespräche bei der Telefonseelsorge statistisch keine große Rolle spielen, diese Anrufe haben zugenommen, sagt Uwe Müller.
    "Es gibt ganze viele Themen, was letztlich relativ schnell bei den Flüchtlingen landet. Thema Wohnungen, die Flüchtlinge nehmen uns die Wohnungen weg. Thema Ämter, die Ämter haben ja keine Zeit mehr, weil die Mitarbeiter in den Ämtern in Berlin werden ja alle für die Flüchtlingsarbeit abgestellt. Ich kriege keinen Termin für den Pass, weil die Bearbeiter alle mit der Flüchtlingsgeschichte zu tun haben. Vorher hatten wir das Thema Flüchtlinge nicht, da war der Ärger dann auf die Behörde, aber inzwischen wird der Ärger umgeleitet auf das Thema Flüchtlinge."
    Flüchtlinge in Berlin vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (07.12.2015).
    Ich kriege keinen Termin für den Pass, weil die Bearbeiter alle mit der Flüchtlingsgeschichte zu tun haben. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    "Wir können jetzt nicht sagen, dass es in der Telefonseelsorge so massiv auftaucht, wie es zum Beispiel in der Öffentlichkeit, in den Medien auftaucht. Also da wabert die Angst mehr als es bei uns am Telefon passiert. Das Thema kommt aber vor, manchmal zwischen den Zeilen oder am Rande eines Gespräches, es taucht auf, aber es ist nicht ständig präsent."
    Nur um Frust loszuwerden
    Stefan Schumacher ist Leiter der Telefonseelsorge Hagen-Mark im Ruhrgebiet. Auch er sieht weniger ein quantitatives Problem in den Anrufen zum Thema Flüchtlinge und Politikverdrossenheit als ein qualitatives: davon zumindest berichteten die Ehrenamtlichen.
    "Gerade die, die lang dabei sind, sagen, es ändert sich atmosphärisch was an der Stelle. Das ist früher auch vorgekommen, aber eher in Ausnahmefällen, und das gibt es jetzt nicht so selten, dass eben das Anliegen gar nicht ist, ein Gespräch zu führen, dass ich auch eigentlich keine Möglichkeit habe, da zu intervenieren, sondern es ist wirklich das Gefühl, da wollte jemand was loswerden und eine Wirkung erreichen: Aber es geht um keinen Kontakt und keine Beziehung."
    Auch Melanie hat solche Anrufe schon gehabt:
    "Unheimlich aggressiv sind die Menschen und schimpfen auf die Flüchtlinge. Ich sage da gar nichts zu, weil es wird dann so ein gesellschaftlicher Abriss politisch, also die ganze Welt, alles zusammen wird dann beurteilt und vernichtet und wie die Zeiten sind. Also es macht einen mundtot im Grunde genommen. Es dient dann nur zur Entlastung, um den Frust loszuwerden. Dann sagt auch manchmal der Anrufer: Sie sagen ja gar nichts dazu! Sage ich: Na ja, es ist nicht Aufgabe der Telefonseelsorge jetzt, dass wir auf die Welt gemeinsam schimpfen. Ich lasse mich dann auf diese Diskussion nicht ein, aber dieses Hasserfüllte, das spürt man schon sehr, und es ist sehr unangenehm."
    Die Gerechtigkeitsfrage
    Also eher ein Shitstorm als ein Gespräch? Ja, es gibt diese Anrufe, sagen viele Mitarbeiter der Telefonseelsorge. Häufiger aber rufen die Verunsicherten, die Verzagten und die Verbitterten an.
    "Also die Anrufer teilen mir etwas mit oder übermitteln etwas von, also so was Abgewendetes, also gehöre ich eigentlich jetzt noch dazu, oder auch sogar ganz extrem, was kann denn aus mir als deutschem Mann hier noch werden eigentlich?"
    Erzählt Helga. Und Stefan Schumacher ergänzt:
    "Es gibt Menschen, die rufen an: ich mach mir Sorgen, wohin das alles gehen soll. Und es gibt Menschen, die sagen, ich fühl mich nicht wahrgenommen, nicht gehört, mit meinen Anliegen. Das ist ja eine Gerechtigkeitsfrage, die da drin steht. Ich glaube, bei der ganzen Frage, was kriegt die Telefonseelsorge so mit, ich mache mir manchmal Gedanken, bei diesen Fragen, die da auftauchen: Wie gerecht ist eigentlich unser gesellschaftliches System im Moment? Wieso taucht das Thema Verteilung so häufig auf? Das taucht ja auch bei den Flüchtlingen auf: Wird mir was weggenommen?"
    Im Osten: Erinnerung an den Fall der Mauer
    Chemnitz, in Sachsen. Hagen ist 500 Kilometer entfernt, doch die Ängste mancher Anrufer sind ähnlich, sagt die Leiterin der hiesigen Telefonseelsorge, Iris Ciesielski.
    "Es ist häufig zu merken, dass diese Ängste, die oberflächlich benannt werden, dann etwas ganz Tiefes im Menschen treffen, was sowieso schon da ist, und das ist zum Beispiel vielleicht die Angst, nicht gesehen zu werden. Die Angst, ich werde selbst völlig übersehen. Da kommen mit einem Mal so viele Fremde und die werden gesehen und über die reden alle. Und über mich, über meine Situation, über meine psychische Erkrankung, darüber redet keiner. Und das sind meine Ängste, die ich habe. Und das ist möglicherweise im Osten tatsächlich stärker da als vielleicht im Ruhrgebiet."
    Und noch etwas könnte die Situation im Osten von der im Westen unterscheiden. Nicht die Zahl der Anrufe zum Thema Flüchtlinge und Zuwanderung - sie ist auch in Sachsen nicht sehr groß - sondern der gesellschaftliche Erfahrungsboden, auf dem das Krisentelefon tätig ist. Bei manchen Ostdeutschen, so die Leiterin der Telefonseelsorge Vogtland, Tabea Waldmann, weckte die Entscheidung Angela Merkels im letzten Sommer, die Grenze für Flüchtlinge zu öffnen, Erinnerungen an den Fall der Mauer.
    Großer Andrang von Bürgern aus der DDR am Grenzübergang Checkpoint Charlie in Berlin am 10.11.1989.
    Die Grenze für Flüchtlinge zu öffnen, weckt im Osten Erinnerungen an den Fall der Mauer. (picture alliance/dpa)
    "Das ist natürlich meine subjektive Meinung, dass ich schon denke, es passiert etwas, und die Leute, es bricht über sie herein, ohne dass sie erst mal angemessen was tun können. Also ihre gesellschaftlichen, politischen bisherigen Strukturen, an denen wird gerüttelt. Vielleicht fällt auch was auseinander, die Grenze geht auf oder zu, jetzt wieder, es kommt was rein. Und die Leute wissen nicht so richtig, was kann ich denn da jetzt machen, wie kann ich damit umgehen? Und vielleicht hat unsere Politik das ein Stück verpasst, eben manche Regionen, Bürger, Menschen hier bei uns gerade im Vogtland mitzunehmen."
    Fortbildung für Telefonseelsorger zum Thema Flucht
    Andere Bewegungen und Parteien dagegen versprechen den Menschen Halt und Sicherheit, indem sie die Flüchtlinge oder "die da oben" für die gesellschaftlichen Veränderungen verantwortlich machen. Positionen, die nicht nur bei Anrufenden der Telefonseelsorge auf fruchtbaren Boden fallen können, sondern auch bei den Angerufenen.
    "Es gibt ja auch Telefonseelsorger, ehrenamtliche Mitarbeiter, die vielleicht nicht so in abgesicherten Verhältnissen leben oder die Erfahrungen haben mit randständigen, mit Tabu-Themen in der Gesellschaft. Wenn die merken, mein Thema, was ich habe, wird nicht gesehen. Und dann kommt ein Anrufer und sagt, das liegt daran, weil die Gesellschaft sowieso verkehrt ist und weil zu viele Fremde und für die wird alles Mögliche getan. Da wird ja auch bei dem Telefonseelsorger selber was angerührt."
    Die Verantwortlichen der Telefonseelsorge Chemnitz, Zwickau und Vogtland haben darauf reagiert und Fortbildungen zum Thema Flucht und Migration angeboten. In den Fortbildungen ging es um Informationen zu Herkunftsländern und Fluchtursachen, aber auch um die eigene Positionsbestimmung der Ehrenamtlichen.
    "Welche Haltung hab ich denn, welche Meinung, kann ich offen sein für das Fremde? Bin ich neugierig, was könnte es für mich vielleicht auch an Erweiterungen bringen? Angst verfestigt sich ja, wenn Sie sozusagen im Angstkreislauf sind, ein schlimmer Gedanke jagt den nächsten, man kommt da schwer raus. Vielleicht gibt es auch Seelsorger, die sich Sorgen gemacht haben. So ein Stück kann die Weiterbildung helfen, das abzubauen und mal kritisch anzuschauen."
    Neue Impulse oder Überfremdung – Polarisierung auch bei der Telefonseelsorge
    Anders als am Telefon, wo die Anrufenden im Schutz der Anonymität erst einmal jede Meinung äußern dürfen, stand bei den Fortbildungen die Frage im Raum: Wie ehrlich darf ich eigentlich sein, wenn es um Flüchtlinge oder Zuwanderung geht?
    "Wenn ich kritisch bin, sagt dann mein befreundeter Seelsorger: ja, du bist rechts, stempelt mich ab. Und darf ich als Christ in dieser Gesellschaft trotzdem kritisch sein und meine Bedenken äußern und meine Sorge? Ist das möglich, gehen wir so fair miteinander um, dass das stehen bleiben kann? Wenn auch jemand Kritik hat oder Schwierigkeiten benennt und die sieht, darf ich meine Meinung so äußern, wie ich sie denke?"
    Die Polarisierung erreicht auch die Telefonseelsorge - und das nicht nur in Ostdeutschland. Zugleich gibt es die Hoffnung, dass es schon hilft, wenn Ängste ausgesprochen und nicht gleich bewertet werden. Diese Erfahrung hat zumindest Helga gemacht, die in Berlin als Telefonseelsorgerin arbeitet. Über Flüchtlinge wurde in ihrer Ausbildungsgruppe zunächst nicht geredet, doch dann kamen die Anschläge von Paris und plötzlich wurden ganz unterschiedliche Reaktionen deutlich.
    Ein Mitarbeiter der Telefonseelsorge Sylt telefoniert am 14.06.2012 in Westerland auf der Nordseeinsel Sylt. Seit 1986 gibt es die nördlichste und wohl kleinste Telefonseelsorge Deutschlands mit momentan gut 30 Mitarbeitern.
    Telefonseelsorger am Hörer: die Hoffnung, dass es schon hilft, wenn Ängste ausgesprochen und nicht gleich bewertet werden (picture alliance / dpa / Angelika Warmuth)
    "Das ist letztendlich auch ein Abbild der Gesellschaft und dessen, was wir am Telefon erleben können. Also die einen nehmen das positiv wahr, natürlich nicht die Bedrohung, sondern einfach Flüchtlinge als irgendwie neue Impulse oder wie auch immer man das bezeichnen will. Und andere haben Angst vor dem Auseinanderbrechen der Gesellschaft oder was weiß ich, was es alles für Worte gibt, Überfremdung und sonst wie was. Da sind wir in der Gruppe auch ein Abbild. Und es ist gut, sich dem zu stellen."
    Telefon Doweria - die russischsprachige Telefonseelsorge
    Auch bei Telefon Doweria, der russischsprachigen Telefonseelsorge in Berlin, muss man sich dem Problem stellen. Die meisten rufen zwar wegen persönlicher oder familiärer Krisen an, betont Leiterin Tatjana Michalak, aber die Politik lässt sich nicht draußen halten.
    "Diese Themen sind gerade sehr aktuell bei den Menschen auch im russischsprachigen Raum. Die Leute, einige haben Angst vor der Situation. Wird Deutschland jetzt muslimisches Land, werden Mehrheit Muslime mit der Einwanderung von syrische Flüchtlinge oder wie wird das weitergehen?"
    Der Leiter der Kirchlichen Telefonseelsorge Berlin, Uwe Müller, der Telefon Doweria vor 17 Jahren gegründet hat, macht aus seinem kritischen Blick auf die russischsprachige Community keinen Hehl.
    "Da erleb ich das noch viel verschärfter eigentlich, so Positionierungen, der Islam hat in Europa nix zu suche. Gerade so bei denen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, die hier in Deutschland leben, sie sind auch meist vor Krieg und wirtschaftlicher Not hier nach Deutschland gekommen. Aber sie sind der Meinung, jetzt ist mal gut. Und sie vermissen es vielfach, dass die deutsche Politik nicht so eine harte Kante zeigt wie ihr lieber Herr Putin, den sie ja immer noch zutiefst verehren."
    Viele russische Migranten hätten kein Problem mit dem Islam, hält Michalak dem entgegen, schließlich sei die Sowjetunion ein Vielvölkerstaat gewesen. Und doch sei es wichtig gewesen, das Thema in der gemeinsamen Supervision aufzugreifen.
    "Es gab einige Mitarbeiter von uns, die auch Ängste gezeigt haben, was das Thema betrifft, Flüchtlinge in Deutschland oder Muslime in Deutschland. Wir haben das so abgearbeitet, dass wir uns an unsere Anfangszeiten unserer Migration erinnert haben."
    So wie Muslime heute manchmal pauschal als Terroristen verdächtigt würden, seien damals die russischen Zuwanderer als Mafiosi bezeichnet worden. Es brauche Zeit und Begegnung, bis sich diese Ängste und Klischees legten.
    "Die Integration braucht nun mal sieben bis zehn Jahre, bis die Leute sich eingelebt haben und integriert haben in der Gesellschaft. Und dann werden diese Ängste auch in der Gesellschaft gelindert. Genauso führen wir die Gespräche auch mit unseren Anrufern zu diesem Thema."
    MuTeS - Telefonseelsorge für Muslime
    "Herzlich Willkommen und Salem Aleikum beim Muslimischen Seelsorge-Telefon. Zurzeit sind unsere Seelsorger im Gespräch, daher bitten wir Sie, etwas später anzurufen. Alles Gute und Salem Aleikum."
    Die Anrufer von MuTeS dagegen, der muslimischen Telefonseelsorge, äußern andere Sorgen. Meist sind sie privater Natur. Aber das gesellschaftliche Klima spielt bei manchem Anruf mit rein, sagt Yassir, der seit sieben Jahren bei MuTeS arbeitet.
    "Auch in Berlin sind die Leute ein bisschen unsicher, und die Angst ist natürlich gestiegen, dass man da halt selber nicht ein Opfer wird, oder in irgendeiner Weise benachteiligt wird. Dass das Klima sich geändert hat, ich glaube, das ist sehr deutlich. Das sieht man über die Medien, das sieht man auch teilweise in der Gesellschaft."
    Obwohl sich MuTeS an alle in Deutschland lebenden Muslime wendet, rufen muslimische Flüchtlinge bislang kaum an. Neben der Sprachbarriere - die meisten Gespräche finden auf Deutsch statt - liegt das auch daran, dass "Seelsorge" ein christlich geprägter Begriff ist.
    "Wenn eine Person ein Problem hat, dann bespricht man das in der Regel mit einer Vertrauensperson. In der Regel ist das die Familie. Oder wenn man zur Moschee geht, dann ist es der Imam Die Seelsorge, so wie man das in Deutschland kennt, ist bei uns so nicht bekannt. Die findet statt, aber halt in einem anderen Kontext."
    "Ich höre dich. Aber das möchte ich nicht hören"
    Um Flüchtlinge zu erreichen, will die Kirchliche Telefonseelsorge Berlin Anfang nächsten Jahres ein Pilotprojekt starten. Das geplante Krisentelefon soll eine Anlaufstelle für Traumatisierte sein, aber auch über Hilfsangebote und Dienstleistungen für Geflüchtete informieren - auf Arabisch und Englisch.
    ARCHIV - Ein Asylbewerber aus Pakistan telefoniert am 03.07.2013 in Altglashütten (Baden-Württemberg) in einer Asylbewerberunterkunft in seinem Zimmer. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann hat dem neuen Präsidenten des Landkreistags versprochen, die sogenannte Einmalpauschale, die das Land den Kreisen für die Unterbringung von Asylbewerbern zahlt, prüfen zu lassen. Foto: Felix Kästle/dpa (zu dpa «Was kostet ein Flüchtling?» vom 16.10.2013) | Verwendung weltweit
    Die Kirchliche Telefonseelsorge Berlin will Anfang 2017 ein Krisentelefon für Geflüchtete erproben - auf Arabisch und Englisch (dpa / Felix Kästle)
    Die klassische Telefonseelsorge dagegen will ihrem Motto jetzt, da die Formulierung "Sorgen und Nöte" in aller Munde ist, erst recht treu bleiben. Es lautet: "Sorgen kann man teilen". Für Markus, der seit fünf Jahren als Telefonseelsorger arbeitet, heißt das: Ängste, auch wenn man sie selbst für unbegründet oder gefährlich hält, ernst zu nehmen.
    "Das zunächst einmal stehen lassen können. Das heißt zu vermitteln, dass das, was an Gefühl gerade beim Anrufer, bei der Anruferin da ist, per se erst einmal richtig ist und gesehen wird und akzeptiert werden kann. Und dann zu gucken, was macht denn dieses Gefühl und dann aber auch möglicherweise sich Fakten anzugucken und nicht bei dem Gefühl zu bleiben."
    Darin liegt unsere Chance, sagt Iris Ciesielski von der Telefonseelsorge Chemnitz.
    "Das mag ein bisschen hochtrabend klingen, aber dort können wir ein bisschen zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen Zum einen wirklich dieses Angebot, ich höre dich, ich höre dir zu, du kannst hier landen mit deinen Sorgen, aber auch die Grenze, die ich an einer bestimmten Stelle setzen kann, und sagen kann: das möchte ich nicht hören, das möchte ich so nicht stehen lassen, das kann ich so nicht stehen lassen, weil es so nicht stimmt. Auch das hat Platz in einem Gespräch."