Die amerikanische Regierung habe sich vergleichsweise zurückhaltend beziehungsweise maßvoll zum Einsatz gegen die IS geäußert. Es gehe den Amerikanern aktuell nicht darum, die Terrorgruppe "als militärische Kraft vollständig auszuschalten", sagte Kaim. Die Amerikaner wollten gegenwärtig nur eine Bedrohung für die USA selbst eindämmen. Inzwischen habe die IS aber Ballungszentren besetzt, sodass es "nicht mehr nur mit Luftschlägen getan sein wird", sagte er.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Es war erneut ein grausiges Video, das am Wochenende für Aufsehen gesorgt hat, ein Video der Terrororganisation Islamischer Staat. Zu sehen ist auf den Bildern die Enthauptung des britischen Entwicklungshelfers Haines, und es ist das erste Mal, dass Großbritannien beziehungsweise ein britischer Bürger so ins Fadenkreuz der Terroristen gerät. Entsprechend hitzig wird jetzt die Debatte in Großbritannien geführt. Markus Kaim ist Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Kaim!
Markus Kaim: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Kaim, hat David Cameron in Großbritannien jetzt gar keine andere Wahl, als mitzumachen bei den Luftschlägen gegen die Terroristen des Islamischen Staats?
Kaim: Bisher hält er sich in dieser Frage noch etwas bedeckt, aber der Druck auf ihn steigt und es ist eine ganz andere Situation als im September 2013, als in Großbritannien ja zum letzten Mal Luftschläge diskutiert worden sind. Damals war die Situation so, dass der britische Ministerpräsident dafür war, als Antwort auf die Giftgasangriffe in Syrien das syrische Regime zu bestrafen und vor das Parlament gegangen ist und eine herbe Niederlage erlitten hat und seitdem sehr, sehr zurückhaltend geworden ist mit militärischen Engagements. Jetzt haben wir es genau umgekehrt, ein Ministerpräsident, der eher zurückhaltend bisher gewesen ist, und eine Öffentlichkeit und ein Parlament, was ihn genau in diese Richtung zu drängen scheint, und jetzt müssen wir mal abwarten in den nächsten Tagen - heute ist ein großes Treffen in Paris -, wie diese Koalition gegen IS sich formiert.
Armbrüster: Ist denn genau das möglicherweise ein Ziel dieser Terrororganisation, westliche Staaten weiter in einen solchen Konflikt reinzuziehen?
IS hat staatliche Funktionen aufgebaut
Kaim: Soweit würde ich nicht gehen. Letztlich, glaube ich, gibt es zwei Motive dieser terroristischen Gruppierung. Erstens: Wie immer - das ist ja das Wesen von terroristischen Gruppierungen - Schrecken zu verbreiten und damit ihre Macht zu demonstrieren. Und zum zweiten - ich würde eher das Argument umdrehen wollen -, westliche Staaten vom Engagement in Syrien und im Irak eher abzuhalten, weil bisher ist es der IS ja gerade in den letzten Monaten vergleichsweise unbestritten gelungen, eine Art Staat aufzubauen, in Syrien und im Irak gleichermaßen quasi staatliche Funktionen aufzubauen. Und das Letzte, was diese Gruppierung möchte, ist ein westliches Engagement, unter wessen Führung auch immer, und mit Militärschlägen behelligt zu werden, wenn ich das so sagen darf.
Armbrüster: Gerade ein solches Engagement, das formiert sich allerdings in diesen Tagen. Wir haben darüber berichtet, dass die USA zurzeit eine Allianz schmieden. Da ist dann wie gesagt von Luftschlägen gegen die Terroristen im Irak, aber möglicherweise auch in Syrien die Rede. Dazu die Waffenlieferungen auch aus Deutschland. Kann eine solche Kombination aus Luftschlägen und Waffenlieferungen an Kurden etwa, kann so eine Kombination den Vormarsch der IS-Milizen im Irak und in Syrien stoppen?
Kaim: Die entscheidende Frage ist: Was möchte man denn mit einem militärischen Engagement erreichen? Das kann ja nur zur Durchsetzung eines politischen Ziels dienen. Und der amerikanische Präsident oder die amerikanische Regierung, die ja versucht, diese Koalition jetzt zusammenzubekommen, hat sich ja vergleichsweise zurückhaltend oder sehr maßvoll geäußert. Es ging nicht darum, oder es geht nicht darum, die IS als politische oder militärische Kraft vollständig auszuschalten. Das hieße nämlich wahrscheinlich in der Konsequenz dann auch die Entsendung von Bodentruppen - etwas, was nicht nur die USA umgehen möchten, sondern viele westliche Staaten gleichermaßen. Sondern man hat eher etwas losere Formulierungen gewählt, Einhegung, Eindämmung, sodass die IS keine Bedrohung für die Alliierten der USA im Nahen Osten wären, keine Bedrohung für die USA selber. Das heißt, es ist ein vergleichsweise wages, aber maßvolles politisches Ziel. Ob das letztlich ohne Bodentruppen abgehen wird, das wird man dann sehen.
Bodentruppen sind wahrscheinlich
Armbrüster: Was ist denn Ihre Einschätzung? Werden wir Bodentruppen in einem dieser beiden Länder oder in beiden sehen?
Kaim: Ich glaube, ja, weil wir dürfen uns ja nichts vormachen. Vor wenigen Monaten oder Anfang dieses Jahres hat es sich vielleicht noch um eine Terrorgruppierung gehandelt, die in der Wüste operiert hat. Mittlerweile durch den erheblichen Vormarsch von IS - gerade im Sommer dieses Jahres hat IS urbane Ballungszentren besetzt. Mit reinen Luftschlägen auf Zelte in der Wüste, auf Lagerstätten und anderes mehr wird es nicht mehr getan sein, und Luftschläge in zivilen Ballungszentren hätten zivile Opfer zur Folge und das werden viele Nationen zu vermeiden suchen. Das heißt, wenn man IS wirklich als politische und militärische Kraft dauerhaft besiegen will, dann, fürchte ich, wird man um Bodentruppen nicht umhinkommen.
Armbrüster: Markus Kaim war das, Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Besten Dank für diese Einschätzungen und Informationen.
Kaim: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.