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Theaterprojekt "Top Secret International"
Überwachungsstaat erfahrbar machen

Die Geheimdienste und ihre Macht sind das Thema des Theaterprojekts "Top Secret International", das gerade in München Premiere gefeiert hat. Zu sehen ist es nicht etwa im mitproduzierenden Münchner Kammerspiel, sondern im Antikenmuseum der Stadt, der Glyptothek. Die Produktion ist der erste Teil einer umfassenden Tetralogie über "Phänomene der Postdemokratie".

Von Rosemarie Bölts |
    Eine Überwachungskamera
    Eine Überwachungskamera (dpa / Patrick Seeger)
    Kammerspiele 2.0. Hier und jetzt: Kopfhörer auf, Notizblock und Bleistift in die Hand, und via Computerstimme geht’s los im Münchner Antikenmuseum mit den Jahrtausende alten römischen und griechischen Skulpturen:
    "Da bist du ja. Herzlich willkommen. Schau dich ruhig erst mal richtig um … Das System hat dich geortet."
    Rimini Protokoll interaktiv. Trotz der anderen Besucher, trotz des soziokulturellen Ortes Glyptothek, trotz des Versprechens auf die Kunstform Theater gilt ab jetzt die totale Isolation für das entpersonalisierte "Du". Dafür sorgt die Überwachungstechnik des Smartphones, das in dem Notizblock eingebaut ist und auf einen aufpasst. Wenn man zu schnell von einem Raum in den nächsten wechselt, ohne die Aufgaben ausgeführt zu haben, also die Anweisung der Navi-Stimme nicht befolgt, wird man sofort zurückbeordert.
    Es funktioniert. Blinder Gehorsam und ständiges Misstrauen werden zur Norm. Bloß keine Fragen. Nur keine Reaktion oder gar Emotion zeigen, cool bleiben. Und schon ist man drin im Agentensystem:
    "Gut machst du das!"
    Spannendster Teil: Interview mit Ex-Spionen
    Kammerspiele outgesourct. Es ist wirklich kein "Theaterabend", dem man sich mit allen Sinnen hingeben kann. Es fehlt das Gemeinschaftserlebnis, es fehlen die Schauspieler, es fehlt der Applaus. Man hört die Stimmen, erfährt, wie Geheimdienste funktionieren, sieht aber niemanden, der spricht. Man ist also ständig im Kopf und damit Teil "des Systems". Bei der Konzeptprojektgruppe Rimini Protokoll geht es wie immer ganz klar um diese Kopfarbeit, die man als "interaktiv beteiligter" Zuhörer leisten muss.
    Auf der einen Seite ist es die persönliche Erfahrung, dass ein digitales Medium wie das Smartphone die totale Überwachung jedes Individuums möglich macht. Auf der anderen Seite ist es die Erkenntnis, dass dank der Digitalisierung Geheimdienste zu nicht kontrollierbaren Machtapparaten außerhalb des Regelwerks von Demokratien geworden sind.
    Der spannendste Teil der Audiotour resultiert denn auch aus den Interviews, die in zweijähriger Vorarbeit mit Geheimdienstmitarbeitern, Whistleblowern und Politikern geführt wurden. Da überrascht die Offenheit der im Programmflyer als auch im Audioguide namentlich genannten Protagonisten dieser Dunkelwelt. Der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor:
    "Also, Geheimdienste sind immer die Grundlage des Krieges. Ohne Geheimdienste gibt es keinen Krieg."
    Wissen sorgt für Betroffenheit
    Secret life systemimmanent. "14,99 Euro" nur kostet die "Spy-Software" bei Amazon, mit deren Hilfe man privat Freund und Feind ausspionieren kann. Ein Schnäppchen angesichts des technischen Aufwands, den Geheimdienste betreiben und der auch dieses "Stück" auszeichnet. Nerds stehen in jeder Museumsecke bereit, "das System" wieder richtig zu programmieren, wenn man die Kopfhörer ab- und es damit außer Kraft setzt, weil einen vielleicht der Sound-Teppich unter den Texten in den Ohren nervt. Geheimdienste arbeiten noch geheimer, erklärt der stellvertretende Vorsitzende des parlamentarischen Kontrollgremiums, der Bundestagsabgeordnete André Hahn:
    "Wir sollen einschätzen, ob der Bundesnachrichtendienst seine Aufgaben erfüllt oder darüber hinausgeht und sich verselbstständigt. Und kennen aber den Auftrag des BND nicht. Der ist als streng geheim eingestuft gewesen und ist uns immer vorenthalten worden. Inzwischen wissen wir, was darin steht. Wir wissen es aber nur dank eines CIA-Spions, der unter anderem dieses Auftragsprofil und auch die Namen der BND-Mitarbeiter geklaut hat und an die Amerikaner weitergab. Viele Dokumente, die wir hier sehen, haben eine Sperrfrist bis zum Jahr 2076."
    Gruseltheater. Wenn man mitspielt. Dann sind die Berichte über das Funktionieren von Spionage im besten Sinn Aufklärung. In der interaktiven Umsetzung als Museumsparcours durch die Münchner Glyptothek jedoch hakt das Konzept. Da fragt sich der Besucher schon mal, welchen Bezug das Gehörte zu den Ägineten oder zu dem "barberinischen Faun" hat.
    Und welche Epoche und welches Schicksal im "Saal der Köpfe" hinter diesen steinernen Porträts stehen, vor denen man "ein stoneface machen" soll. Und überhaupt: macht es sich Rimini Protokoll hier nicht doch ein bisschen zu einfach, den Theaterbegriff so zu strapazieren, dass der Zuschauer die Rolle des Schauspielers übernimmt und gleichzeitig als Publikum sich selbst beurteilen soll? Das Ergebnis: 1.124 Schritte getan und 84 files gehört. Wissen sorgt hier zwar für viel Betroffenheit, lässt einen aber auch in totaler Ohnmacht zurück.