Das Meer zwischen der Türkei und Griechenland sei so gut gesichert, wie man Seegrenzen eben sichern könne, sagte das griechische Syriza-Mitglied Theodoros Paraskevopoulos im DLF. Man könne die Asylsuchenden nicht mit Gewalt davon abhalten, nach Europa zu kommen. Dies würde ja bedeuten, sie im Meer zu ertränken. Es gebe aber die Rettungspflicht auf See, betonte Paraskevopoulos. Wenn die greichische Küstenwache Flüchtlingsboote aufbringe, dann müsse sie die Menschen auch in Sicherheit bringen. Vielleicht verstünden die Innenminister von Deutschland und Österreich, Thomas de Maizière und Johanna Mikl-Leitner, ja einfach nicht genug vom Meer, fügte der Syriza-Politiker hinzu.
Türkei soll Visa für Nordafrikaner einführen
Paraskevopoulos gab die Vorwürfe der EU an die Türkei weiter. Unter den Flüchtlingen seien viele, die aus Marokko und Tunesien nach Istanbul flögen, dann mit dem Bus zur Küste reisten und dort in die Boote stiegen. "Das könnte unterbunden werden, wenn beispielsweise die Türkei eine Visapflicht für marokkanische und algerische Staatsangehörige einführen würde", sagte der Syriza-Politiker. Dann könne der Flüchtlingsstrom eingeschränkt werden. Paraskevopoulos fügte hinzu, Griechenland habe bereits mehrfach versucht, im Meer aufgebrachte Flüchtlinge wieder an die Türkei zurückzugeben. Doch Ankara weigere sich.
Keine ausreichende Hilfe von der EU
Paraskevopoulos verteidigte sein Land auch gegen den Vorwurf, Hilfsangebote der Europäischen Union nicht anzunehmen. Das Gegenteil sei der Fall: Die Hilfe komme nicht im nötigen Maße an, argumentierte er. So habe Griechenland um 780 Agenten der europäischen Grenzsicherungsagentur Frontex gebeten. Gekommen seien aber viel weniger. Paraskevopoulos sagte, die EU versage auch bei der Aufgabe, den Flüchtlingsstrom zu lenken und die Maßnahmen der Einzelstaaten besser zu koordinieren. Erfolglos sei die EU zudem bei den Verhandlungen um einen Frieden für Syrien.
Das komplette Interview zum Nachhören:
Dirk-Oliver Heckmann: Eine Zeit lang sah es so aus, als würde die Zahl derjenigen, die von der Türkei über Österreich nach Europa kommen, sinken. Doch das ist kaum mehr der Fall. Im Gegenteil: Die Zahl der Flüchtlinge steigt aktuell wieder an. Grund genug für die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, den Griechen einen Rauswurf aus der Schengen-Zone anzudrohen, wenn sie nicht endlich dazu bereit sind, ihre Grenzen zu sichern. Und auch Thomas de Maizière, der deutsche Innenminister, erhöhte den Druck:
O-Ton Thomas de Maizière: "Kritisch ist zu sehen, dass noch nicht bei allen Mitgliedsstaaten der Ernst der Lage erkannt worden ist. Falls aber Schengen zusammenbräche, sind alle betroffen."
O-Ton Johanna Mikl-Leitner: "Ich glaube, es ist klar, wenn es nicht gelingt, die europäische Außengrenze, sprich die griechisch-türkische Grenze zu sichern, dann wird sich die Schengen-Außengrenze in Richtung Mitteleuropa bewegen."
Heckmann: Johanna Mikl-Leitner und der deutsche Innenminister Thomas de Maizière.
- Telefonisch zugeschaltet ist uns dazu jetzt Theodoros Paraskevopoulos von der linken Regierungspartei Syriza in Griechenland. Er hat die Arbeit der Syriza-Partei im griechischen Parlament koordiniert, ist jetzt Sonderbeauftragter des Arbeitsministeriums. Schönen guten Tag!
Theodoros Paraskevopoulos: Guten Tag.
Heckmann: Innenminister Thomas de Maizière, der hat zwar gesagt, öffentlicher Druck auf Athen sei kontraproduktiv. Aber er hat auch gesagt, Athen soll seine Hausaufgaben machen. Wie gefallen Ihnen solche Äußerungen?
Paraskevopoulos: Rettungspflicht auf See ist absolut
Paraskevopoulos: Ich müsste wissen, was Herr de Maizière und die österreichische Innenministerin meinen. Meinen sie, wir sollten Flüchtlinge ertränken? Denn was heißt sicher? Die türkisch-griechische Seegrenze ist sicher, soweit Seegrenzen sicher sein können. Und die einzige Möglichkeit, die Flüchtlinge daran zu hindern, nach Griechenland rüberzukommen, das heißt in die Europäische Union, wäre, sie mit Gewalt davon abzuhalten. Das heißt aber, auf See zu ertränken. Und das ist nicht möglich, sowohl aus humanitären Gründen, das machen wir nicht. Und zweitens ist es auch absolut verboten. Die Rettungspflicht auf See, die ist absolut!
Heckmann: Das würden sicherlich die beiden Innenminister zurückweisen, dass man davon ausgeht, dass die Flüchtlinge ertränkt werden sollen.
Paraskevopoulos: Vielleicht verstehen die beiden Innenminister nichts von der See, vom Meer.
Heckmann: Sie sagen, die Flüchtlinge müssen gerettet werden. Das heißt aber doch noch lange nicht, sie auch nach Europa weiterziehen zu lassen.
Paraskevopoulos: Nein, nein. Es geht darum, in zwei Kategorien zu trennen. Erstens: Sind das Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, aus dem Sudan? Und zweitens: Sind das Migranten hauptsächlich aus Marokko und Algerien? Diese Menschen aus Marokko und Algerien, die nehmen einen Billigflug von Algier oder von Casablanca nach Istanbul und dann fahren sie mit dem Bus zur Küste und dann mit dem Boot rüber. Das könnte unterbunden werden, wenn beispielsweise die Türkei eine Visapflicht für marokkanische und algerische Staatsangehörige einführen würde. Das wäre nicht absolut zu verhindern, aber doch einzuschränken.
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, Sie finden sich damit ab, dass die griechischen Grenzen eigentlich überhaupt gar nicht zu sichern sind? Die österreichische Ministerin, die Frau Mikl-Leitner, die sprach von einem Mythos.
Paraskevopoulos: Ja, aber sie sagte dabei auch etwas von der griechischen Kriegsmarine, dass die griechische Kriegsmarine diese Aufgabe übernehmen soll. Und das ist eben keine Aufgabe von Kriegsschiffen, weil Kriegsschiffe andere Schiffe versenken. Das ist eine Aufgabe der Küstenwache, die die Flüchtlingsboote aufbringt, und natürlich muss man dann die Menschen retten. Und nicht nur die Küstenwache, sondern es sind sehr viele freiwillige Helfer. Sie wissen vielleicht, dass die griechische Inselbevölkerung mit über 300.000 Unterschriften zum Friedensnobelpreis vorgeschlagen ist wegen ihrer Arbeit zur Flüchtlingsrettung. Aber dann müssen auch die sehr vielen freiwilligen Helfer aus anderen europäischen Ländern, auch aus der Bundesrepublik erwähnt werden, die sehr opferbereit da mitarbeiten und Menschenleben retten.
Heckmann: Dass die Menschenleben gerettet werden müssen, ich denke, darüber besteht Konsens auch im Kreise der Innenminister.
Paraskevopoulos: Das weiß ich nicht. Das was ich gehört habe, überzeugt mich nicht ganz.
Heckmann: Aber die Vorstellung geht wahrscheinlich eher in die Richtung, dass man erwartet, dass die griechische Marine diese Flüchtlingsboote aufbringt und die Flüchtlinge wieder zurück in die Türkei bringt.
Paraskevopoulos: Ja, das kann man nur machen, wenn die Türkei sie wieder aufnimmt. Wenn die Türkei sich weigert, kann man das nicht machen.
Heckmann: Haben Sie es denn schon probiert?
Paraskevopoulos: Ja natürlich.
Heckmann: In wie vielen Fällen?
Paraskevopoulos: Türkei weigert sich, Flüchtlinge zurückzunehmen
Paraskevopoulos: In sehr vielen Fällen. Fragen Sie mich nicht, in wie vielen Fällen. Es sind über 800.000 Menschen aus der Türkei nach Griechenland gekommen und da fragen Sie mich nicht, bei wie vielen, in wie vielen Fällen. Es ist versucht worden und die Türkei weigert sich. Aber darum geht es nicht. Es geht darum: Sehen Sie, die Schwierigkeitsländer in dieser Frage sind der Libanon, Jordanien und die Türkei. Die ächzen tatsächlich unter der Last von Millionen Flüchtlingen. Europa hat beschlossen, zu helfen. Diese Hilfe muss gewährt werden.
Heckmann: Ja eben! Die EU-Kommission, auch einzelne EU-Länder haben Hilfe angeboten, auch Griechenland Hilfe angeboten bei der Sicherung der Grenzen. Weshalb nimmt Athen diese Hilfe nicht an?
Paraskevopoulos: Griechenland hatte um 780 Frontex-Agenten gebeten. Es sind gerade 350 angekommen. Athen nimmt die Hilfe an. Die wird nicht geleistet.
Heckmann: Das heißt, die Mitgliedsländer, die europäischen Mitgliedsländer, die kommen ihren Verpflichtungen nicht nach aus Ihrer Sicht?
Paraskevopoulos: Nein! Aber vor allem gegenüber der Türkei, dem Libanon und Jordanien. Diesen Ländern muss geholfen werden, natürlich unter Aufsicht. Aber es muss denen geholfen werden. Nur so kann der Flüchtlingsstrom gestoppt werden, indem man vor Ort dafür sorgt.
Heckmann: Wer ist aus Ihrer Sicht verantwortlich dafür, dass die Entwicklung sich so entwickelt hat, wie sie sich entwickelt hat, dass der Flüchtlingsstrom nicht versiegt und die Menschen weiterhin kommen?
Paraskevopoulos: Der Krieg.
Heckmann: Trägt da die deutsche Bundeskanzlerin aus Ihrer Sicht eine hohe Verantwortung dadurch, dass sie gesagt hat, die syrischen Flüchtlinge sind willkommen in Deutschland?
Paraskevopoulos: Internationales Recht gestattet keine Obergrenze
Paraskevopoulos: Sehen Sie, bei der Flüchtlingsaufnahme gestattet das internationale Recht keine Obergrenzen. Flüchtlinge müssen aufgenommen werden, überall, bei allen Ländern, die die entsprechenden Verträge unterschrieben haben. Natürlich muss man da zwischen Flüchtlingen und Nichtflüchtlingen unterscheiden. Natürlich kann man bestimmte Auflagen setzen, weil der Flüchtlingsstrom zu groß ist. Aber es führt kein Weg daran vorbei an einer solidarischen Aufteilung der Flüchtlinge in den europäischen Ländern. Frau Merkel hat Recht und Herr Schäuble hat Recht, wenn er sagt, man muss vor Ort helfen, man muss Geld vor Ort bringen. Ich finde auch seinen Vorschlag sehr vernünftig, einen Aufschlag auf den Benzinpreis zu erheben europaweit. Irgendwie muss man das ja bezahlen.
Heckmann: Aus Ihrer Perspektive ganz kurz noch: Versagt Europa bei diesem Problem?
Paraskevopoulos: Europa versagt dabei, sich zu koordinieren und bei der Koordinierung, diesem Flüchtlingsstrom zu begegnen, versagt dabei, den Ländern zu helfen, die dieses Problem vor sich haben. Und versagt bisher bei den Friedensverhandlungen in Syrien.
Heckmann: Theodoros Paraskevopoulos war das von der linken Regierungspartei Syriza, live hier im Deutschlandfunk. Wir haben gesprochen über den Streit um das Schengen-Abkommen und die Grenzsicherung in Griechenland. Schönen Dank für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag.
Paraskevopoulos: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.