Archiv

Thüringen
"Kämpfe des Kalten Krieges beendet"

25 Jahre nach dem Fall der Mauer auch auf Landesebene wieder das Sagen zu haben, sei ein "gewaltiges Ereignis", sagte der Fraktionsvize im Bundestag, Dietmar Bartsch (Die Linke), im DLF mit Blick auf Thüringens neuen Regierungschef. Dass ein Abgeordneter der Regierung im ersten Wahlgang Ramelow die Stimme verweigerte, sei "keine Heldentat".

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Der Direktkandidat der Partei Die Linke, Dietmar Bartsch, sitzt in seinem Wahlbüro in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern)
    Parteivize der Linkspartei, Dietmar Bartsch (dpa/Jens Büttner)
    Das Drei-Parteien-Bündnis aus Linkspartei mit den Junior-Koalitionspartnern SPD und Grünen könne mit einer Stimme Mehrheit jetzt stabil regieren, sagte Bartsch im Deutschlandfunk. "Ich glaube, dass jetzt, nachdem Bodo Ramelow gewählt ist, die Kämpfe des Kalten Krieges, die noch mal aufgelebt sind, beendet sind", sagte er weiter. Bodo Ramelow werde mit seinem Team eine solide Politik ohne Schulden machen und alle Möglichkeiten des Haushalts nutzen. Es sei festgelegt, dass es in Thüringen jährlich 500 Lehrer mehr geben werde und ein kostenloses Kita-Jahr. "Das ist alles finanzierbar, da bin ich zuversichtlich, man muss Veränderungen im Haushalt vornehmen", sagte Bartsch.
    "Wer hätte das geglaubt, als sich damals, im Jahr 1990, die PDS auf den Weg gemacht hat - nach all den Verwerfungen", sagte Bartsch. "Da hatten wir in Thüringen ein einstelliges Ergebnis (...), heute stellen wir den Ministerpräsidenten: Also da bin ich auch stolz drauf, auf den Weg, den viele in der Linken gegangen sind bis zu diesem Tag."
    Mitte-Links-Bündnis für Europa besser
    Bartsch befürwortete auf lange Sicht ein Mitte-Links-Bündnis auch im Bund. Direkte Auswirkungen werde das Thüringer Wahlergebnis aber erst mal nicht in Berlin haben. "Ich will regieren, ich will ein Mitte-Links-Bündnis für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland", sagte Bartsch. Es dürften nicht mehr Banken gerettet werden. "Ein Mitte-Links-Bündnis ist für Europa besser", sagte er weiter. Zu klären sei mit der SPD und den Grünen, ob sie eine Bürgerversicherung wollen. "Vielleicht werden wir die Vorbehalte abbauen können."
    Auf die Frage, warum sich die Linkspartei auf Bundesebene beim Thema Unrechtsstaat weiterhin nicht bewege, sagte Bartsch, dass diese Frage für die Menschen im Land nicht wichtig sei. "Die CDU wirft damit einen Spaltpilz zwischen die Parteien". Es gehe heute um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme.

    Lesen Sie hier eine Transkription des Interviews mit Dietmar Bartsch:
    Sandra Schulz: Von einem "Tag der Schande für das wiedervereinigte Deutschland" sprach gestern CSU-Generalsekretär Scheuer, von einem "großen, schönen Tag" war dagegen beim Linken-Fraktionschef Gregor Gysi die Rede. Ein spannender Vormittag war es jedenfalls, denn Bodo Ramelow brauchte im Thüringer Landtag jede Stimme aus dem rot-rot-grünen Lager, und bekommen hat er sie erst im zweiten Anlauf. Jetzt stellt die Partei Die Linke also zum ersten mal einen Ministerpräsidenten, und darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen mit Dietmar Bartsch. Er ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag. Guten Morgen!
    Dietmar Bartsch: Guten Morgen, ich grüße Sie!
    Schulz: Das war ja schon wackelig gestern. Wie stabil ist die Koalition denn in Erfurt?
    Bartsch: Es war ja nach dem Wahlergebnis klar, dass die Koalition nur eine Stimme Mehrheit haben wird. Dafür war mit dem zweiten Wahlgang eine frühe Entscheidung da. Frau Lieberknecht hatte mit viel mehr Stimmen vor fünf Jahren einen dritten Wahlgang benötigt. Jetzt ist das durch. Nach diesem ganzen Umfeld, nach diesen Anschuldigungen, nach den Dingen, die dort gelaufen sind, finde ich, ist es dann doch ganz glatt gelaufen. Und jetzt werden die Ärmel hochgekrempelt und Thüringen sozial und ökologisch umgestaltet.
    Schulz: Ja, aber Christine Lieberknecht, da haben auch nicht drei Parteien zusammengearbeitet. Ist denn klar, dass die Koalitionspartner sich aufeinander verlassen können, wenn irgendjemand gestern das aus den Reihen der Koalition schon so spannend machen wollte?
    Bartsch: Ich glaube, man wird sich aufeinander verlassen können. Das Votum der Parteien ist sehr eindeutig gewesen, sowohl bei den Grünen als auch bei der SPD als auch bei uns. Es steht jetzt eine gute Mannschaft. Und das werden wir am konkreten Regierungshandeln sehen. Man sieht ja in Niedersachsen, bei Herrn Weil fällt das überhaupt nicht auf, dass es nur eine Stimme Mehrheit ist. Ich glaube, dass jetzt, nachdem Bodo Ramelow gewählt ist, die Kämpfe des Kalten Krieges, die noch einmal aufgelebt sind, beendet sind, und dass es wirklich nun um Thüringen geht. Und da wünsche ich mir natürlich auch eine konstruktive Opposition, weil nur die kann das Land auch mit voranbringen.
    "Keine Heldentat"
    Schulz: Was wollte der Abgeordnete, der im ersten Wahlgang nicht mitgemacht hat, Bodo Ramelow denn sagen?
    Bartsch: Wissen Sie, wenn ich das wüsste. Ich finde das ja auch nicht sonderlich eine Heldentat, aber das kann ich nicht nachvollziehen, will ich auch gar nicht nachvollziehen. Wichtig ist, dass er gewählt ist, und wichtig ist, dass es jetzt an die Arbeit geht.
    Schulz: Gregor Gysi, Ihr Fraktionschef im Bundestag hat gestern gesagt, die Wahl Bodo Ramelows sei ein Signal auch für die Bundesebene. Was meint er damit?
    Bartsch: Zunächst mal ist das ja wirklich ein gewaltiges Ereignis. Wer hätte das geglaubt, als sich damals, im Jahr 1990, die PDS auf den Weg gemacht hat - nach all den Verwerfungen. Da hatten wir in Thüringen ein einstelliges Ergebnis, neun-Komma [Anmerkung der Redaktion: 9,7 Prozent]. Heute stellen wir den Ministerpräsidenten. Also, da bin ich auch stolz drauf, auf den Weg, den viele in der Linken gegangen sind bis zu diesem Tag. Für die Bundesebene, da teile ich die Auffassung von Gregor Gysi, hat das keine direkten Auswirkungen. Es ist so, dass wir auch im Deutschen Bundestag eine Mehrheit jenseits der Union haben. SPD, Linke und Grüne stellen die Mehrheit der Abgeordneten. Die SPD hat sich anders entschieden. Und da ist unsere Aufgabe, jetzt die Oppositionsführerschaft weiter auszufüllen. Was 2017 ist, ist noch so weit weg. Jetzt geht es erst mal darum, dass dieses Land nicht mehr wie bisher, in dem ersten Jahr, mit ruhiger Hand regiert wird, sondern dass wirklich die notwendigen Reformschritte angegangen werden. Also: Das ist ein guter Tag, man sieht, das Rot-Rot-Grün funktionieren kann. Wir werden sehen, ob das auf kommunaler und Landesebene an anderer Stelle geht. Für '17 hat das zunächst keine Auswirkungen.
    Linke will NATO umwandeln
    Schulz: Wir sprechen ja jetzt über die Bundesebene. Es bleibt ja dabei, dass SPD und Grüne Sie, die Linke, nicht für regierungsfähig halten. Ist und bleibt das nicht ein Problem?
    Bartsch: Wissen Sie, das ist die Einschätzung, die die beiden Parteien hin und wieder haben. Ich teile sie ausdrücklich nicht. Wenn die Sozialdemokraten meinen, dass sie nur mit einem Vizekanzler-Kandidaten in die Wahl gehen sollen, dann müssen sie das machen. Ich glaube, da wird noch viel Wasser die vielen Flüsse Deutschlands hinabfließen. Da werden wir mal schauen, wo wir uns dann hinbewegen. Dass die jetzt, nach dieser Wahl, etwas zurückhaltend sind, na gut, das kann ich verstehen. Ich möchte, dass an der Sache entschieden wird. Und da ist eine Frage, wollen denn SPD und Grüne zum Beispiel eine Bürgerversicherung im Gesundheitswesen oder nicht, und viele Fragen, die zu beantworten sind. Und dann werden wir auch diese Vorbehalte, die es gibt, vielleicht abbauen können. Wir arbeiten hier und da auch in der Sache vernünftig zusammen, auch jetzt auf der Bundesebene. Ich finde, die Emotionalität muss da raus. In Thüringen wurde der Untergang des Abendlandes prophezeit. Alle werden sehen, es wird nicht untergehen, und auch auf der Bundesebene werden wir irgendwann über Optionen reden müssen. Für mich ist ganz klar, ich will strategisch –
    Schulz: Herr Bartsch, sagen Sie doch mal, wie die Emotionalität da rauskommen soll, wenn die Linke an den Forderungen festhält, NATO-Austritt, Ende aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, jetzt die Haltung zu Russland und zu Putin. Wie soll die Emotionalität denn da aus dem Thema rauskommen?
    Bartsch: Die Linke fordert nicht den NATO-Austritt, sondern wir wollen die NATO umwandeln. Das ist ja – da werden teilweise Vorurteile versucht, zu schüren. Ich sage noch mal: Wenn wir genauso werden wie SPD und Grüne, dann braucht es die Linke nicht. Wir haben eigenständige Positionen. Ja, wir setzen in der Außenpolitik deutlich andere Akzente. Wir finden es falsch, dass in elf Ländern über 5.000 deutsche Soldaten sind. Das bleibt unsere Meinung. Aber ich bin sicher, dass in dieser Frage auch viele Abgeordnete der SPD und der Grünen schon jetzt eher diese Position einnehmen. Also da sage ich, man führt dann Gespräche, um dann zu Ergebnissen zu kommen. Ich glaube, man kann natürlich mit dem Schild "Das geht alles nicht" durch das Land laufen – damit bedient man nur die Interessen der CDU. Die will dauerhaft die Kanzlerschaft für Frau Merkel sichern oder zumindest noch eine Legislatur. Wenn man etwas anderes will, dann muss man auch miteinander intensiver reden. Ich bin da aber ganz ruhig. Das ist keine Aufgabe, die aktuell steht. Wie gesagt, wir haben jetzt erst mal als Oppositionsführerin diese Große Koalition anzutreiben, damit nicht Mehltau über das Land gelegt wird.
    "Ich will ein Mitte-Links-Bündnis"
    Schulz: Also regieren wollen Sie auch überhaupt nicht?
    Bartsch: Das ist überhaupt nicht wahr. Also natürlich, um das klar und deutlich zu sagen ...
    Schulz: So verstehe ich Sie.
    Bartsch: Ich will regieren, ich will ein Mitte-Links-Bündnis in Deutschland, weil es besser fürs Land ist, weil es notwendig ist, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, endlich die Umverteilung von oben nach unten anzuschieben. Nicht mehr Banken zu retten, sondern etwas für Rentnerinnen und Rentner zu machen. Natürlich will ich regieren, das ist überhaupt – also, dass Sie das mich fragen –, mir wird das ja eher vorgeworfen. Ein Mitte-Links-Bündnis ist fürs Land und für Europa besser. Ganz klar. Aber da muss es auch einen Politikwechsel geben. Das ist doch das Entscheidende. Es geht doch nicht nur darum, irgendwie an die Macht zu kommen und MinisterInnenposten zu besetzen. Nein. Ein Politikwechsel in unserem Land und in Europa ist dringend erforderlich.
    Schulz: Aber warum schafft die Linke im Bund denn das nicht, was Thüringen und was die Linke dort jetzt gemacht hat. Zum Beispiel an einem Thema, das ein wichtiges Symbolthema ist, das Wort Unrechtsstaat. Das steht in der Präambel zum Koalitionsvertrag. Die Linke im Bund hat sich nicht bewegt, wird sich absehbar auch nicht bewegen – wie sollen denn SPD und Grüne so mit Ihnen zusammenarbeiten.
    Bartsch: Schauen Sie, das ist sicherlich eine interessante Frage, wie man die DDR bewertet. Die linke ist eine Partei mit deutlich mehr Wurzeln, aber was die Menschen im Land interessiert und nicht das politische Raumschiff Berlin, das sind wirklich die Aufgaben, die heute anstehen. Wir haben doch so viele vor uns liegende Aufgaben. Die sozialen Sicherungssysteme. Wir haben eine Million Langzeitarbeitslose, und, und, und. Das sind die Themen, die stehen. Über die soll man reden. Das andere, ich sage das noch mal, damit wird eine Strategie der CDU bedient, die den Spaltpilz insbesondere zwischen diese Parteien werfen will und eine Zusammenarbeit unmöglich machen will. Entweder, man widmet sich diesen politischen Fragen, oder wir sind wirklich bei dem Thema, wie denn irgendwann im Jahre 1812 die Auseinandersetzung war. Nein, das ist nicht wichtig. Die Zukunftsfragen sind die entscheidenden.
    Thüringen muss Landeshaushalt verändern
    Schulz: Und die hat sich Bodo Ramelow und seine rot-rot-grüne Koalition jetzt natürlich auch vorgenommen. Problem ist nur, dass die allermeisten Vorhaben ja unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen und die Schuldenbremse ja gilt, auch in Thüringen. Wie hart wird da der Aufprall in der Realität?
    Bartsch: Ich glaube, dass in Thüringen sehr viel bewegbar ist. Die bisherige Regierung war die, die die meisten Ermittlungsverfahren, die größten Skandale hatte. Ich will nur an den Verfassungsschutz Thüringen erinnern. Wir werden hier eine solide Politik machen. Es ist vereinbart, dass keine neuen Schulden gemacht werden. Und wir werden die Möglichkeiten, die im Landeshaushalt sind, nutzen. Ich glaube, die sind reichlich. Es ist festgelegt, dass es 500 Lehrer jährlich neu geben wird. Es ist festgelegt, dass es ein kostenloses Kita-Jahr geben wird. Das alles ist finanzierbar. Da muss man allerdings auch einiges im Haushalt verändern. Ich bin da sehr zuversichtlich. Nur, es wird einerseits uns immer vorgeworfen, na ja, wir werden hart aufprallen. Auf der anderen Seite geht das Abendland unter. Nein. Ich bin ganz sicher, dass Bodo Ramelow und seine Mannschaft einen Weg gehen wird, der mit Aufmerksamkeit betrachtet wird, der Veränderungen für die Thüringerinnen und Thüringer bringen wird, und der letztlich das Land voranbringt. Die CDU ist nach 25 Jahren ausgelaugt und wird gut daran tun, in der Opposition sich jetzt zu erneuern.
    Schulz: Dietmar Bartsch, der Vize-Fraktionschef der Partei Die Linke im Bundestag und heute hier in den Informationen am Morgen. Danke Ihnen!
    Bartsch: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.