Erstaunlich ruhig begann heute morgen der lang erwartete Prozess gegen Wolfgang P. Umfangreiche Einlasskontrollen sorgten für eine kleine Besucherschlange vor dem Nürnberger Justizgebäude, beobachtet von zahlreichen Sicherheitskräften. Ansonsten: Gelassenheit. Keine Demonstration, keine Unterstützung von Gleichgesinnten für den als Reichsbürger bekannt gewordenen 49-Jährigen, dem die Staatsanwaltschaft Mord und dreifachen versuchten Mord vorwirft.
Arrogant, von sich überzeugt, so tritt der Angeklagte am ersten Prozesstag auf - in dem historischen Schwurgerichtssaal, wo während der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg über die Nazi-Elite des Dritten Reichs gerichtet wurde. Kein Symbol, heißt es vom Landgericht Nürnberg, sondern für sie ein ganz normaler Gerichtssaal.
Der Angeklagte erkennt die Bundesrepublik nicht an
Der Eindruck: Hier steht ein Mann vor Gericht, der dieses nicht anerkennt, sondern verachtet, so wie unter Reichsbürgern üblich. Zu Prozessauftakt weigert sich Wolfgang P., seine vor Gericht verpflichtend anzugebenden Personalien persönlich zu bestätigen. Seinen Personalausweis hatte er bereits vor geraumer Zeit bei seiner Gemeinde abgegeben – weil er die Bundesrepublik nicht anerkennt. In einem solchen Fall nutzt die Justiz das sogenannte freie Beweisverfahren, indem die Daten aus Personalausweis oder Reisepass vorgelesen werden. In Nürnberg, einer Hochburg der bayerischen Reichsbürgerszene, ein mittlerweile gängiges Verfahren, wenn die Angeklagten jede Kooperation mit dem Gericht verweigern.
"Also wir haben in kleineren Bereichen immer wieder mit Menschen zu tun, die die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen, die die Gesetze nicht anerkennen. Die Justiz ist da mittlerweile gut aufgestellt, wir haben Schulungen für unsere Mitarbeiter."
Michael Wörthmüller, Leiter der forensischen Klinik Erlangen, beschreibt als erster Zeuge den Angeklagten wie folgt: Er sei ein sozialer Mensch, zwei Kinder, Eigenheimbesitzer, Betreiber einer kleinen Kampfkunstschule. In den 90er-Jahren habe er als Versicherungsmakler einen gewissen Reichtum und Ansehen in seiner Geburtsstadt Georgensgmünd erreicht und sei durch einen schweren Verkehrsunfall vor 16 Jahren physisch und psychisch aus der Bahn geworfen worden. Der Wahn, sich jederzeit mit Waffen verteidigen zu können, soll laut Gutachter bereits in den 1990er-Jahren begonnen haben. Der Sportschütze gilt als versierter Kenner unterschiedlichster Waffentypen.
Der Gutachter beschreibt ihn als durchweg interessierten Mann
Spätestens nach dem Sprengstoffattentat von Ansbach und der Messerattacke in Würzburg soll der spätere Todesschütze mit Vorbereitungen für den von ihm vermuteten Krisenfall begonnen haben. Legte Essensvorräte an, recherchierte im Internet zu Verschwörungstheorien. Gutachter Wörthmüller beschreibt den Angeklagten als einen durchweg interessierten Mann, der zuletzt obdachlose Freunde in seiner Einliegerwohnung aufnahm und sich Sorgen um die Zukunft mache.
Die Sprecherin der zwei Nebenklägerinnen, Angehörige des getöteten und eines verletzten Polizisten wehren sich denn auch gegen diese aus ihrer Sicht positive Darstellung:
"Also aus meiner Sicht ist es so, dass er sich natürlich auf diesen Prozess vorbereitet hat, er weiß was er tut, er weiß wie man rüberkommen muss, also auch da kann man sicher eine gewisse Taktik vermuten."
Fakt ist: Der Angeklagte erschoss bei einer Razzia im mittelfränkischen Georgensgmünd im Oktober 2016 einen Beamten des Spezialeinsatzkommandos SEK und verletzte zwei weitere Polizisten. Er habe nur seine Mitbewohner schützen wollen und nicht gewusst, dass die von ihm als Einbrecher angesehenen vermummten Männer Polizisten seien, erklärt der Gutachter die Verteidigungsstrategie. Lärm, zersplitternde Scheiben und das Geschrei seiner Mitbewohner hätten ihn zu der Waffe greifen lassen. Warum er gleich elf Mal kurz hintereinander durch die geschlossene Tür feuerte, muss nun im Verfahren herausgefunden werden.
Die Richterin setzt auf Gelassenheit
Nach Ansicht der Verteidigung sei der SEK-Einsatz morgens um sechs Uhr absolut überzogen und unnötig gewesen. Ihr Mandant sei nicht der von den Medien dargestellte menschenscheue Reichsbürger, sondern als Chef einer Kampfsportschule sozial sehr gut eingebunden in seinem Heimatort, so Verteidigerin Susanne Koller.
"Der Einsatz war schlicht und einfach unnötig, weil auf falschen Informationen beruhend. Wir werden herausfinden müssen, wer denn die falschen Informationen überhaupt lanciert hat, die sind davon ausgegangen, dass er nicht mehr das Haus verlässt, aber sie hätten nur ins Internet schauen müssen, da stehen die Kurse drin, die er hält, da wussten sie, wann er das Haus verlässt und das hat er regelmäßig getan."
Er sei bereit gewesen, seine 30 angemeldeten Waffen abzugeben, erzählt auch der Gutachter.
Allerdings nur, um sie dann wieder zurückzufordern. Dass er sein Haus mit einem gelben Streifen umgeben hat und sich als Selbstverwalter bezeichnet, war im Ort immer als Marotte angesehen worden, nicht als bedrohend.
Tatsächlich verwundert die Verteidigung, warum die Zeugenaussagen eines beteiligten SEK-Beamten für das Gericht und auch die Staatsanwaltschaft nachträglich geschwärzt wurden. Man berufe sich auf Verschwiegenheit, was genaue Einsatztaktiken betrifft, so die offizielle Erklärung an das Gericht.
Richterin Barbara Richter-Zeininger setzt dann auch auf Gelassenheit. Man werde alle offenen Fragen genau prüfen. 43 Zeugen sind geladen, so Friedrich Weidner, Sprecher des Landgerichts Nürnberg-Fürth. Der Prozess ist bis 18. Oktober terminiert.