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Tote im Kühllaster
Prozess gegen Schlepper beginnt in Ungarn

Im August 2015 erstickten 71 Menschen in einen Lkw. Schlepper hatten den Kühllaster in einer Pannenbucht auf der A4 in Österreich einfach stehen gelassen. Heute, knapp zwei Jahre später, beginnt im ungarischen Kecskemet der Prozess gegen insgesamt elf Personen.

Von Andrea Beer |
    Der Lkw, in dem 71 tote Flüchtlinge entdeckt wurden, steht am 27. August 2015 auf der A4 zwischen Parndorf and Neusiedl in Österreich. Die Flüchtlinge sind laut Polizeiberichten erstickt.
    Die toten Flüchtlinge wurden 2015 in einem Lkw entdeckt. (APA)
    Allein der Gedanke an ihren Tod macht ihn fast verrückt. Yussef Chaikh aus Dair Alzour in Syrien hat in dem Lkw vier Angehörige verloren. Für den 40-Jährigen ist der Prozess in Kecskemet sehr wichtig.
    "Ich möchte die Wahrheit wissen, denn ich glaube, da ist doch noch etwas, was keiner weiß. Mein Leben ist seit ihrem Tod nur noch Stress."
    Bis zu drei Stunden kann der qualvolle Erstickungstod seines Bruders Mohammed und dessen Familie gedauert haben. Am 26. August 2015 soll der Fahrer ihr Schreien gehört und ignoriert haben. Als die tödliche Ruhe herrscht, lässt er den Transporter auf der A4 südlich von Wien einfach stehen. Als die österreichische Polizei einen Tag später die Türe öffnet, findet sie verrenkte, ineinander verkeilte Leichen, die in der brütenden Sommerhitze bereits verwesen.
    Die Spuren des Verbrechens
    Bis auf einen etwa 30-jährigen Mann sind alle Opfer identifiziert. 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder aus Syrien, dem Iran, dem Irak und Afghanistan. Die Ermittlungsakten sind auf fast 60.000 Seiten angewachsen und außer Dokumenten wie Pässen gaben die Handys der Toten viele wertvolle Informationen preis. Die Ermittler in Österreich und Ungarn haben auch SMS oder letzte Anrufe ausgewertet - so wie bei diesem Iraker:
    "Wenn wir Deutschland glücklich erreichen, kostet es 1.600, bis Österreich 1.400 Euro. Wenn sie uns in Ungarn erwischen, bekommen wir unser Geld zurück."
    Alle Menschen in dem Lkw starben laut Gerichtsmedizin, als der Wagen noch durch Ungarn fuhr. Deswegen beginnt der Prozess nicht in Österreich, sondern im südungarischen Kecskemet.
    Die Vorwürfe lauten auf Schlepperei und Mord
    Hinter der schweren Türe des Bezirksgerichts geht es hinauf in den Gerichtssaal. Zehn Bulgaren und ein Afghane müssen sich ab heute hier verantworten. Gegen einen von ihnen wird in Abwesenheit verhandelt. Er ist noch auf der Flucht. In 26 Anklagepunkten wirft ihnen die Staatsanwaltschaft organisierte Schlepperei vor, im Rahmen einer kriminellen Vereinigung. Zwischen Februar und Ende August 2015 schleusten die elf Männer laut Anklage 1.130 Menschen und nahmen dafür im Schnitt 1.500 Euro von jedem. Ein Millionengeschäft. Vier der Angeklagten müssen sich außerdem wegen Mordes verantworten.
    Darunter der 30-jährige Afghane Lahoo S. aus Dschalalabad, den die Anklage für den Kopf der Gruppe hält. Rund 300.000 Euro soll er verdient haben. Er war bekannt, sagt Zoltan Borosch von der ungarischen Polizei: "Dieser Hauptorganisator kam am 12. März 2013 ohne Papiere über die grüne Grenze nach Ungarn. Und die Polizei hatte ihn mehrfach im Visier."
    Die Schlepper wurden in Ungarn bereits überwacht
    Hätte die Tat verhindert werden können? Ungarische Ermittler hatten Telefongespräche der Gruppe schon knapp zwei Wochen vor der Todesfahrt abgehört, ohne sie zu stoppen. Das zeigen Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung". Die Gespräche seien nicht rechtzeitig ausgewertet worden, so die Vermutung. Die ungarischen Behörden wiesen den Vorwurf zurück. Immer mehr Menschen auf der Flucht riskierten im Sommer 2015 in den viel zu kleinen Autos alles. Sauerstoffmangel, Unfall und Verletzungsgefahr waren laut Anklage eine große Bedrohung für ihr Leben. Regelmäßig wurden Flüchtlinge ohnmächtig oder brachen in heller Panik die Türen der Transporter auf, regelmäßig ignorierten die Angeklagten ihr Schreien und Klopfen und nahmen damit den möglichen Tod der Menschen in Kauf.
    Bei einer Verurteilung müssen die Angeklagten mit lebenslänglich oder Freiheitsstrafen bis zu 20 Jahren rechnen. Der Angehörige Yussef Chaikh lebt inzwischen in Nordrhein-Westfalen. Zum Prozessauftakt könne er nicht anreisen, bedauert er. Doch es zieht ihn nach Kecskemet. Denn er sucht eine Antwort auf die Frage, die ihn am meisten quält: Ihr habt meine Familie doch schreien gehört, warum habt ihr die Türe nicht geöffnet?"