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Transitzonen für Flüchtlinge
"Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit"

Transitzonen für Flüchtlinge sind nach Ansicht des früheren Bundesinnenministers Gerhart Baum rechtlich bedenklich. Wer die hohe Zahl neuer Flüchtlinge mindern wolle, müsse außenpolitisch aktiv werden, sagte Baum im Deutschlandfunk. "Plötzlich erreicht uns die globale Flüchtlingswelle, vor der wir lange Jahre die Augen verschlossen haben."

Gerhart Baum im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerhart Baum wartet am 07.07.2015 im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Baden-Württemberg) auf den Beginn der mündlichen Verhandlung zum BKA-Gesetz
    Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    Gerd Breker: Unbeeindruckt von den Querschüssen aus Bayern versucht Merkels neuer Koordinator für die Flüchtlingspolitik, Peter Altmaier, so etwas wie einen Plan, eine Struktur in die Flüchtlingspolitik zu bringen. Ein immer wieder betontes Element ist die beschleunigte Abschiebung derer, die keine Aussicht auf Anerkennung als Asylsuchende haben. Das belebt die Idee von sogenannten Transitzonen, die an den Grenzen errichtet werden sollen; Zonen also, die abgegrenzt sind und in denen quasi als exterritoriales Gebiet darüber entschieden wird, wer rein darf und wer draußen bleiben muss und dann abgeschoben wird. Da wird so manch einem Verfassungsrechtler die Augenbraue nach oben gezogen.
    Am Telefon begrüße ich nun den ehemaligen Bundesinnenminister, Gerhart Rudolf baum von der FDP. Guten Tag, Herr Baum.
    Gerhart Baum: Guten Tag, Herr Breker.
    Breker: Beginnen wir mit dieser Idee der Transitzonen. Die sind angeblich mit EU-Recht vereinbar. Aber wir haben es gerade gehört: Der Innenminister von NRW hat verfassungsrechtliche Bedenken. Wie sehen Sie das? Sind Transitzonen mit dem Grundgesetz grundsätzlich vereinbar?
    Baum: Ja das kommt auf die Ausgestaltung an. Aber zunächst muss man fragen: Sind sie denn überhaupt wirksam? Denn diejenigen, die wir aufnehmen, die Syrer, die Afghanen und die Iraker, sind die große Mehrzahl und für diese Menschen brauchen wir keine Transitlager. Da müssen wir ein geordnetes Verfahren haben. Da würde man Erstaufnahmestellen, wie sie ja schon angedacht sind und durchgeführt werden, für richtig halten. Also für die große Zahl derjenigen, die kommen, sind solche Transitlager einfach überflüssig. Und die anderen, die kein Asylrecht hier beanspruchen können, übrigens immer nach individueller Prüfung, die werden sich sagen, warum sollen wir uns denn in die Nähe solcher Lager bringen, wo wir inhaftiert werden praktisch, wo ein Zaun darum steht. Sie werden durch die Wälder kommen, über die Autobahn oder wie auch immer. Da ist es wirkungsvoller, die Anreize zu vermindern. Das ist ja geschehen. Da ist es wirkungsvoller, abzuschieben. Das ist schwieriger, aber das muss konsequent gemacht werden. Und im Grunde verstehe ich, dass die Politiker jetzt nach Lösungsmöglichkeiten suchen, aber die Lösungsmöglichkeiten liegen in der Außenpolitik. Die liegen darin, dass endlich die Flüchtlingslager in Libyen, im Libanon und in der Türkei vernünftig finanziell ausgestattet werden, damit die Menschen dort ein halbwegs menschenwürdiges Leben haben. Also eine Maßnahme, die nicht sehr viel beitragen wird und - jetzt komme ich zu Ihrer Frage - die auch rechtlich bedenklich ist. Sie wird gleichgesetzt jetzt mit dem Flughafenasyl. Das ist eine ganz andere Situation. Da kommen wenige Leute, die im Flughafen festgehalten werden. Asylsuchende sozusagen in Lagern festzuhalten, halte ich für nicht grundrechtskonform.
    Breker: Die CSU und die CDU wollen sich bis Ende der Woche auf ein konkretes Konzept einigen. Die Bundesregierung und die bayerische Landesregierung sind davon überzeugt, dass sie das hinbekommen. Das heißt, wir müssen damit rechnen. Nur: Wie soll man sich das in der Praxis vorstellen, Herr Baum? Sie haben es schon gesagt, es müsste ein Zaun gebaut werden, sie müssen eingegrenzt werden. Da sind zahlreiche Menschen dann in einem Lager.
    Baum: Ja.
    Breker: Das ist doch ein merkwürdiges Bild für dieses Land?
    "Das sind ganz unterschiedliche Kategorien von Menschen"
    Baum: Ja, das ist ein merkwürdiges Bild. Es muss alles gewährleistet werden, es müssen Anwälte da sein. Es gibt eine besondere Kategorie von Menschen, die schutzbedürftig sind, also traumatisierte, vergewaltigte Frauen, alleinreisende Kinder. Das sind ganz unterschiedliche Kategorien von Menschen. Und natürlich kann man sagen, wir werden alles versuchen, den Missbrauch des Asyls abzustellen, denn wir sind natürlich an der Grenze der Überforderung. Aber was ist die Alternative? Die Flüchtlinge kommen über die Autobahn, in großen Mengen laufen sie, laufen durch die Wälder. Will jemand schießen? Wollen wir um Europa einen großen Zaun bauen? Das ist alles jetzt Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit. Plötzlich erreicht uns die globale Flüchtlingswelle, vor der wir lange Jahre die Augen verschlossen haben.
    Breker: Viele, vor allen Dingen Politiker aus der CSU, hätten gerne eine Obergrenze, eine Zahl, um die Dimension des Problems zu begrenzen. Nur kann es rechtlich so eine Obergrenze überhaupt geben?
    Baum: Nein, kann es nicht geben. Das hat Herr Altmaier ja auch vor Zeugen gesagt. 100.000 kommen aus Syrien, nehmen wir mal an, und beim 100.001. wird gesagt, nein, Dich nehmen wir nicht, Du kannst jetzt zurückgehen. Das geht nicht! Das Asylrecht ist zwar ausgehöhlt, aber immer noch ein Individualrecht. Natürlich müssen wir uns fragen, wo endet das. Jeder Mensch fragt sich hier, wo endet das. Auf der anderen Seite finde ich überhaupt nicht eine Zahl in der Diskussion, die ich dauernd von den Arbeitsämtern, von den Wirtschaftsverbänden höre, wir brauchen 300 bis 400.000 Neuzugänge auf dem Arbeitsmarkt pro Jahr. Das ist natürlich ein anderer Zugang als der, der jetzt stattfindet, aber wir sind ein Land, das in einer demographischen Krise sich befindet. Alles muss zueinander gebracht werden, das ist sehr, sehr schwer und fordert große Anstrengungen, aber da müssen wir durch. Ich glaube, Frau Merkel verdient Respekt, überhaupt dass eine Politikerin mal ihr politisches Schicksal an eine solche Frage bindet. Das nötigt mir schon Respekt ab.
    Breker: Nun hat Horst Seehofer der Bundesregierung damit gedroht, in Karlsruhe zu klagen, weil die Politik dieser Bundeskanzlerin der bayerischen Landesregierung die Möglichkeit nähme, souverän zu entscheiden. Welche Chancen hat denn so eine Klage?
    Baum: Das sehe ich nicht, dass er hier den Bund sozusagen in die Pflicht nehmen kann, die Grenzen zu sichern, angesichts der Situation. Karlsruhe wird auch nicht die Augen vor der Situation schließen können. Nein, Herr Seehofer macht Politik und das Ergebnis ist, dass in den Umfragen die CSU ständig absackt und die AfD gewinnt. Das muss er sich auch mal fragen, was er damit bezweckt. Dass er Sorgen hat, dass er ein Grenzland ist, das unmittelbar konfrontiert ist mit den Flüchtlingen, das nehme ich ihm ja alles ab, und da ist er im Einzelnen auch sehr konstruktiv. Aber er erweckt den Eindruck, als hätte er die Lösung in der Tasche. Die hat niemand! Eine Patentlösung hat niemand.
    Breker: Eine Patentlösung nicht, aber er hat mit Notwehr gedroht. Welche Möglichkeit der Notwehr hat denn ein Bundesland?
    "Die CSU beansprucht Notwehr gegen die CDU"
    Baum: In dieser Situation keine. Was heißt hier Notwehr? Im Grunde ist es ja schon sehr merkwürdig. Die CSU beansprucht Notwehr gegen die CDU. Das ist ja parteipolitisch schon interessant. Aber rechtlich gibt es das nicht. Nein, das gibt es nicht.
    Breker: Wir müssen einfach realisieren, Herr Baum, dass die Probleme der Welt näher gerückt sind zu uns, nähergekommen sind, nicht zuletzt durchs Smartphone, denn über Smartphones haben ja offenbar die Flüchtlinge erfahren, dass Deutschland ein Aufnahmeland ist.
    Baum: So ist es! Und wenn man den Millionen in den Lagern, die ich erwähnt habe, an der Grenze zu Syrien die Lebensmittelration halbiert, dann hat man unverantwortlich gehandelt. Es ist kein Geld da gewesen. Jetzt hat die EU plötzlich Geld, um die Lager auszustatten und den Menschen dort zu helfen. Das ist ein Ansatzpunkt. Und ich meine, wir müssen uns auch vor Augen führen, das sind Menschen, die das nackte Leben retten zum Teil und die unerträglich in der Wüste in Zelten sitzen seit zwei oder drei Jahren, ohne Entwicklungsmöglichkeiten, ohne Schulmöglichkeiten für die Kinder. Dort muss man auch ansetzen.
    Breker: Und ohne die Möglichkeit zurückzukehren nach Syrien, denn da hat die Weltgemeinschaft ja versagt, den Bürgerkrieg zu beenden.
    Baum: Total versagt, und man braucht sich jetzt nur vor Augen zu führen, was da täglich an Bomben niedergeht. Da werden die letzten bewohnbaren Häuser auch noch zerbombt.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das Gerhart Rudolf Baum, unser ehemaliger Innenminister. Herr Baum, ich danke für dieses Gespräch.
    Baum: Herr Breker, Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.