Am 21. März trat Christophe Castaner in Paris vor die Mikrofone. Castaner ist Vorsitzender der Partei "La République en Marche". "Ja, unser Ziel ist einfach: Wir wollen die Wahlen gewinnen, in Frankreich und in Europa".
Im März 2018 also läutete die Partei, die als Sammlungsbewegung Emmanuel Macron ins Amt des Staatspräsidenten gebracht hatte, den Europawahlkampf ein. Gewählt wird im Mai 2019. Das deutsch-französische Verhältnis sei für die Zukunft Europas zentral, unterstrich Castaner bei dieser Gelegenheit. Manchmal gebe es Momente totaler Übereinstimmung. Aber manchmal eben auch Differenzen. Etwa bei der Frage, ob es für diese anstehenden Europawahlen transnationale Listen geben solle oder nicht.
"Was die transnationalen Listen angeht, ist die Bundeskanzlerin näher an der konservativen Fraktion im EP, als an der Position von Emmanuel Macron, aber das ist nicht schlimm, wir reden, wir tauschen uns aus."
Eine Reaktion auf den Brexit
Europaweite Kandidatenlisten für die Europawahlen. Abgeordnete im Straßburger Parlament von Sozialdemokraten, Grünen und Linken hatten sich für eine solche Wahlrechtsreform stark gemacht, den Verfassungsausschuss wussten sie hinter sich und nicht zuletzt diesen Mann, der schon die französische Parteienlandschaft aufgewühlt hatte, Emmanuel Macron. In seiner inzwischen berühmt gewordenen Rede vor der Sorbonne hatte der französische Staatspräsident im September 2017 gesagt: "Die Briten haben entschieden, uns zu verlassen. Sie machen 73 Posten von Europaabgeordneten frei."
Die Wahl, die jetzt zu treffen sei, sei einfach, betonte Macron. Weitermachen, als wäre nichts gewesen. Oder aber entscheiden, dass die Nachfolger genau dieser Abgeordneten die Antwort der Europäer auf den Brexit sein müssen. Kandidaten einer transnationalen Wahlliste, d.h. in jedem EU-Land würde über dieselben Personen abgestimmt werden. "Chiche!", feuerte Macron die Zuhörer an, "Trauen wir uns!".
Macron erhielt Beifall für seinen Vorstoß von vielen Seiten, aber eben auch Gegenwind. Nicht zuletzt von den Konservativen im Europaparlament, französischen, aber auch deutschen, also von den Parteifreunden Angela Merkels.
"Ein Sündenfall gegen den Föderalismus"
"Transnationale Listen sind ein Sündenfall gegen den Föderalismus", sagte Elmar Brok, Abgeordneter für die CDU im Europaparlament. Macron wolle das EP schwächen, unterstrich er in der Debatte des 7. Februar, bevor eine Mehrheit die transnationalen Listen ablehnte.
"Ich möchte nicht auf einer Liste von Helsinki bis Lissabon gewählt werden, wo kein Bürger mich als sein Ansprechpartner sieht. Ich möchte als Abgeordneter zuhause in Ostwestfalen-Lippe gewählt werden, Legitimation entsteht durch Bürgernähe und nicht durch Ferne." Im Übrigen glaube er, so Brok damals, dass der französische Staatspräsident mit seinem Vorstoß nur davon ablenken wolle, dass er wiederum gegen das Instrument von Spitzenkandidaten sei, mit dessen Hilfe zuletzt der Kommissionspräsident bestimmt wurde.
Die Fronten schienen klar. Doch jetzt kommt womöglich Bewegung in diese Debatte, denn in ihrem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in der Angela Merkel erstmals detailliert und ausführlich ihre Europavorstellungen skizzierte, sagte sie zum Streit um transnationale Listen und die Kür der Spitzenkandidaten: "Die Aufstellung von europäischen Spitzenkandidaten hat sich etabliert. Doch auf Dauer wird das nur funktionieren, wenn der Spitzenkandidat auf einer transnationalen Liste steht, also wirklich in allen Ländern gewählt werden kann."
Rezeptur mit zwei Zutaten
Die Gegner der transnationalen Listen im Europaparlament hatten Macron unterstellt, er sei gegen Spitzenkandidaten, weil er für Hinterzimmer-Diplomatie sei. In Paris wiederum war zu hören, Macron sei so lange gegen das Modell "Spitzenkandidat", solange es keine transnationalen Listen gebe.
Beide Zutaten flossen nun also in der Rezeptur, die Angela Merkel mit dem FAS-Interview anrührte, zusammen. Damit ist jedoch weder der interne Widerstand in Unionskreisen gegenüber länderübergreifenden Listen vom Tisch, noch die Skepsis, die auch in osteuropäischen EU-Staaten in dieser Hinsicht herrscht. In Paris hieß es, ein Anfang sei gemacht.