Kathrin Hondl: Lena Blanken ist Volkswirtin bei der Verbraucherorganisation Foodwatch. "Die Essensretter" - so nennt sich Foodwatch auch. Und ich habe Lena Blanken gefragt, ist unser Essen denn noch zu retten, nach dem, was jetzt bekannt geworden ist, nach den TTIP-Leaks von Greenpeace?
Lena Blanken: Es ist erst mal sehr positiv, dass diese Dokumente geleakt wurden, denn wir behandeln das Thema schon sehr lange. Aber diese Information, was dann tatsächlich wirklich auf dem Tisch liegt, die bekommen wir leider immer nur, wenn irgendwer etwas leakt. Diese Leaks haben gezeigt, dass es tatsächlich gerechtfertigt ist, dass kritisiert wird, dass Verbraucher, Umwelt- oder Gesundheitsstandards durch TTIP ausgehebelt werden können. Es ist aber nicht so, dass das alles ausschließlich auf Druck der USA passiert, so wie es jetzt im Zuge der Leaks oft behauptet wird. Denn die EU hat im Prinzip freiwillig schon vor Beginn der Verhandlungen ein wichtiges Prinzip, und zwar das Vorsorgeprinzip, aus der Hand gegeben.
Hondl: Das haben Sie ja sofort auch kritisiert nach den TTIP-Leaks, dass es da gar nicht so sehr um den US-amerikanischen Druck ginge, sondern eben um die Europäer, die dieses Vorsorgeprinzip schon von vornherein ausgehebelt haben. Worum geht es da genau?
Blanken: Das Vorsorgeprinzip ist ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Umwelt- und Gesundheitsrechts, und es sagt aus, dass Schaden schon im Voraus vermieden werden muss, noch bevor er eintritt. Das bedeutet beispielsweise bei Chemikalien, dass, bevor eine Chemikalie auf den Markt kommt, bewiesen werden muss, dass sie unschädlich ist.
"In den USA darf erstmal jedes Produkt auf den Markt"
Hondl: Das heißt, dass Dinge, von denen man nicht weiß, ob sie gesundheitsschädlich sind oder nicht, dass die vorsorglich auf den Index kommen?
Blanken: Genau richtig. Das ist der vorsorgende Gesundheitsschutz, dass erst geprüft werden muss, ist da eine Gefahr oder nicht. In den USA läuft das ganz anders. Da darf dann erst mal jedes Produkt auf den Markt kommen, und wenn dann im Nachhinein festgestellt wird, dass das gefährlich ist, dann muss es erst vom Markt genommen werden. Und das ist für uns viel zu spät.
Hondl: Das wäre so das amerikanische Risikoprinzip im Kontrast zum Vorsorgeprinzip in Europa. Aber gerade bei Lebensmitteln scheinen ja Amerikaner und Europäer wirklich sowieso schon mal Welten zu trennen. Stichwort, es wird oft genannt im Zusammenhang mit TTIP, Chlorhühnchen. Für Amerikaner ist das ja – und das wäre ja schon fast eine Art Vorsorgeprinzip amerikanischer Art –, nämlich für Amerikaner sind Chlorhühnchen ein wirkungsvoller Schutz vor Salmonellenerkrankungen. In Europa sind sie verboten. Schimmelkäse wiederum ist ein No-Go in den USA, in Europa eine Delikatesse. Ist da denn, Frau Blanken, überhaupt eine Einigung vorstellbar? Und wie müsste die nach Ansicht von Food Watch aussehen?
Blanken: In einigen Bereichen, gerade im Lebensmittelbereich, sind tatsächlich sehr große Differenzen, was die Standards angeht. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die europäischen Standards besser seien, das keineswegs. Die große Gefahr, die wir sehen bei TTIP und auch bei dem Abkommen mit Kanada, CETA, ist nicht, dass Standards unmittelbar sofort abgesenkt werden, sondern dass eine zukünftige Verbesserung, die dringend notwendig ist, nur noch schwierig oder gar nicht mehr zu erreichen ist.
Hondl: Nun hat ja der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt jetzt in einem Fernsehinterview beteuert, die Standards der Lebensmittelsicherheit in Europa seien nicht verhandelbar. Hat Sie das überzeugt?
Blanken: Das überzeugt uns keineswegs, denn wie gesagt, das Vorsorgeprinzip wurde bereits freiwillig von der EU aufgegeben. Das bedeutet, dass viele Standards, die wir haben, tatsächlich untergangen werden können. Das heißt, dieses Versprechen von Herrn Schmidt, das kann nicht dadurch bestätigt werden, was wir dann tatsächlich vorliegen haben.
Hondl: Aber muss man nicht auch fragen, Frau Blanken, ob es bei den TTIP-Verhandlungen nicht letztlich weniger um irgendwelche nationalstaatlichen Interessen geht, also Amerikaner gegen Europäer, als vielmehr um die Interessen der großen Konzerne weltweit? Die machen ja auch offenbar, besonders die amerikanische Agrar- und Lebensmittelindustrie, sehr intensive Lobbyarbeit bei den TTIP-Verhandlungen, und Lobbyarbeit, das wäre doch jetzt auch Ihr Job als Verbraucherschützer. Sind Sie, ist eine Organisation wie Foodwatch nicht stark genug, um als Lobbyisten auf die TTIP-Verhandlungen wirklich einzuwirken?
"Wichtige Regulierungen könnten verhindert werden"
Blanken: Wir als Verbraucherorganisation stehen da einer Lobby gegenüber, der Lebensmittellobby, der Industrielobby, die natürlich riesig groß ist, personell, aber auch finanziell. Da können wir natürlich absolut nicht gegen an. Und die haben ein natürliches Interesse daran, dass TTIP und CETA durchgesetzt werden, denn mit diesen beiden Abkommen hätten sie dann zukünftig mehr Einfluss und auch früher auf die Gesetzgebung, und das passt denen natürlich sehr gut, weil man kann schon sagen, dass allgemein Unternehmen eher kein Freund von Regulierung sind. Und wären diese beiden Abkommen da, könnten sie garantiert wichtige Regulierungen, die wir als Verbraucher wollen, verhindern oder abschwächen.
Hondl: Und wie soll es nun weitergehen? Die EU-Kommission hat ja die Aufregung um die TTIP-Leaks als Sturm im Wasserglas ein bisschen kleingeredet. Ich nehme an, Sie sehen das anders.
Blanken: Ja, wir bewerten das natürlich positiv, dass es dieses Leak jetzt gab, und auch, dass jetzt viel über TTIP diskutiert wird. Das ist richtig und wichtig. Was man aber nicht vergessen darf, ist, dass es eben noch ein anderes Abkommen gibt, und zwar zwischen der EU und Kanada. Das liegt jetzt vor schon, das wird in diesem Jahr voraussichtlich noch unterzeichnet, und das ist ganz genau so gefährlich wie das Freihandelsabkommen TTIP. Dort wird auch in den regulatorischen Spielraum eingegriffen, es gibt auch die Möglichkeit der Investoren, Regierungen zu verklagen. Und das liegt jetzt unmittelbar vor uns. Und wer gegen TTIP ist, der muss auch gegen CETA sein.
Hondl: Nun nennen Sie sich Food Watch, die Essensretter. Was werden, was wollen Sie jetzt tun, um unser Essen vor TTIP zu retten?
Blanken: Wir wenden unsere ganze Energie auf natürlich, um TTIP zu stoppen mit unserer Kampagnenarbeit, mit der Hilfe unserer Unterstützer, und hoffen natürlich, dass wir damit erfolgreich sein werden.
Hondl: Und mit welchen Argumenten kämpfen Sie, jetzt ganz konkret?
Blanken: Wir haben festgestellt, dass, je mehr die Leute über TTIP wissen, was da tatsächlich verhandelt wird – und da helfen natürlich diese Leaks jetzt enorm –, desto mehr sind sie gegen TTIP. Und wir brauchen natürlich diese Stimmung in der Gesellschaft, diese Antihaltung, damit wir dann tatsächlich auch Einfluss auf die Politik nehmen können, damit sie eben im Sinne der Bevölkerung entscheiden.
"Verbraucherinteressen werden gegen Interessen der Industrie abgewogen"
Hondl: Werden unsere Verbraucherschutzregeln, die ja da möglicherweise unterlaufen werden sollen, nicht ernst genug genommen, auch von uns Verbrauchern?
Blanken: Wir als Verbraucherorganisation sehen natürlich an unseren Mitgliedern, wie wichtig das Thema Verbraucherschutz, Verbraucherschutzstandards den Menschen ist, das kann man gar nicht ernst genug nehmen. Und bei der Politik, wenn wir uns die Verhandlungen angucken, muss man leider manchmal sagen, dass oft Verbraucherinteressen gegen Interessen der Industrie abgewogen werden, und das ist aus unserer Sicht falsch, denn natürlich dürfen Industrieinteressen nicht vor Gesundheitsschutz oder vor Lebensmittelsicherheit gestellt werden.
Hondl: Man hat ja auch den Eindruck, es geht da jetzt um die Interessen der deutschen Automobilindustrie gegenüber den Interessen der amerikanischen Agrarindustrie.
Blanken: Bei so Freihandelsabkommen gibt es oft den sogenannten Kuhhandel am Schluss. Das heißt, da werden dann Themen, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben, wie eben Lebensmittelsicherheit oder die Automobilbranche, gegeneinander aufgewogen, das wird gegeneinander getauscht, und das kann natürlich nicht sein, dass unsere sozialpolitischen Standards, die hier demokratisch zustande gekommen sind, irgendwie eingetauscht werden gegen einen Industriestandard. Das ist auf jeden Fall der falsche Weg.
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