Jule Reimer: In Brüssel geht heute die zwölfte TTIP-Verhandlungsrunde zu Ende. Die EU-Kommission hat den USA Reformvorschläge für die umstrittenen Schiedsgerichte vorgelegt. Diese hat gestern der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, teils begrüßt, teils Verbesserungen gefordert. So wollen die Umweltweisen, dass das Right to Regulate, das Recht, Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze zu erlassen, besser in TTIP verankert werden, und auch das Vorsorgeprinzip wollen sie darin verankern.
Daniel Caspary koordiniert für die konservative EVP-Fraktion im Europäischen Parlament Handelsfragen und ich fragte ihn kurz vor dieser Sendung, ob er die Forderungen der Umweltweisen teilt.
Daniel Caspary: Das eine ist, wir müssen sicherstellen, dass wir bei jedem Handelsvertrag trotzdem Gesetze in Europa neu erlassen oder ändern können. Wir haben das in den vergangenen 40 Handelsabkommen, die wir in Kraft haben, sehr gut hinbekommen. Deswegen bin ich auch bei TTIP optimistisch. Aber man muss da sehr sorgsam arbeiten.
Reimer: Könnten Sie sich vorstellen, das Vorsorgeprinzip zu verankern, denn das ist ja wirklich ein grundlegender Unterschied zu der Herangehensweise in den USA, wo Nachsorge und dann Schadensersatz gilt?
Caspary: Mir ist wichtig, dass wir in Europa auch mit TTIP auf jeden Fall uneingeschränkt am Vorsorgeprinzip festhalten können.
Reimer: Aber dann schreibt man es doch besser rein.
Caspary: Genau, und das ist jetzt eine Sache. Da sage ich ganz offen, ich bin kein Jurist in der Frage. Mir ist wichtig, dass wir das auf jeden Fall können, und wenn es dazu erforderlich ist, das in das Abkommen zu verankern, dann muss das rein. Und wenn die Maßnahmen genügen, die wir bisher in unseren anderen Handelsabkommen getroffen haben, dann ist mir das auch recht. Mir geht es am Ende um das Ziel. Wir haben versprochen und dafür stehen wir im Europäischen Parlament auch ein, durch TTIP wird es da keine Änderungen geben. Unsere hohen Standards müssen gelten und das müssen wir entsprechend rechtssicher absichern.
Reimer: Der Bundestag hat gestern ein Gesetz beschlossen, das Schockbilder auf Zigarettenschachteln vorsieht. Genau aus diesem Grund klagt derzeit auf der Basis eines Investorenschutz-Abkommens, ähnlich wie TTIP, der Zigarettenkonzern Philip Morris gegen die Regierung von Uruguay. Könnte der Bundestag solche Bilder noch beschließen, falls TTIP in Kraft tritt?
Politische Gestaltungsfreiheit muss gewährleistet sein
Caspary: Ja gut, der Bundestag setzt ja zum ersten nun mal die europäische Vorgabe um, die wir in Europa schon längst beschlossen haben. Und das zweite: Es hat geklagt Philip Morris aus Hongkong heraus gegen Australien auf Basis von einem Investitionsschutz-Abkommen, und das Schiedsgericht hat gerade vor wenigen Tagen erst festgestellt, dass diese Klage unbegründet ist.
Reimer: Das liegt aber daran, weil das sozusagen eine Klage um die Ecke war. Die Klage gegen Uruguay läuft noch.
Caspary: Nun gut, die eine Klage ist abgewiesen. Und das zweite, das sind eben genau die Fälle, die mir wichtig sind. Wenn wir aus Umweltgesetzgebungsgründen etwas beschließen oder in dem Fall aus Gesundheitsgesetzgebungsgründen beschließen, dass solche Bilder auf die Zigarettenschachteln kommen, dann ist das unsere politische Gestaltungsfreiheit. Und solange wir das in einer Art und Weise machen, die nicht trennt zwischen inländischen und ausländischen Herstellern, muss das weiter möglich sein. Genau die Sachen, die klappen ja auch. Nehmen Sie unser Land Deutschland: Wir haben ja heute schon mit 140 Ländern Investitionsschutz-Abkommen in Kraft. Und was denken Sie, wie viele Unternehmen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern auf der Welt sich geärgert haben, als wir zum 1. Januar 2015 zum Beispiel den Mindestlohn eingeführt haben. Der hat genauso Gewinnerwartungen von manchen Unternehmen gesenkt. Aber es gibt keine Klagen, weil die Gesetze gelten für alle gleich.
Reimer: Stichwort Gewinnerwartungen. Die Prozesse von Auslandsinvestoren vor diesen privaten Schiedsgerichten sind ja von Staaten und Regierungen gefürchtet, weil diese Investoren dann möglicherweise hohe Schadenersatzforderungen stellen könnten, wenn da ein neues Gesetz, eine neue Regulierung kommt, eben für entgangene Gewinne. Die Entschädigungsformulierungen in dem EU-Kommissionsvorschlag schränken aber diese Entschädigungsforderungen nicht eindeutig ein. Man könnte ja auch sagen, ein Investor darf maximal auf tatsächlich getätigte Investitionen wie Grundstückskauf, Kosten für Kreditaufnahme klagen. Warum traut man sich da nicht richtig ran an diese Formulierung?
"Viele Klagen vor Schiedsgerichten sind unsinnig"
Caspary: Ich bin der festen Überzeugung, wenn ein Investor tatsächlich widerrechtlich geschädigt ist, dann muss er eine Erstattungsmöglichkeit haben. Wir haben da viele Fälle, wo zum Beispiel Investoren aus Deutschland in anderen Ländern benachteiligt wurden, und da finde ich es sehr gut, wenn die eine Entschädigung bekommen. Nehmen Sie zum Beispiel einen kleinen Landwirt aus Nordrhein-Westfalen, der in Turkmenistan eine Geflügelfarm hatte. Die wurde ihm einfach weggenommen. Dann ist es gut, wenn der die Möglichkeit hat, eine Entschädigung zu bekommen.
Das zweite: Die ganzen spektakulären Fälle, die gehen doch alle nach hinten los. Wissen Sie, klagen kann man doch erst mal gegen jeden möglichen Unsinn, und viele Klagen sind auch unsinnig. Aber die Urteile, die diese Schiedsgerichte in aller Regel sprechen, die sind doch ordentlich. Nehmen Sie zum Beispiel das Thema entgangener Gewinn. Da gibt es ein Brückenunternehmen zwischen Kanada und Amerika, das geklagt hat, weil die Kanadier und die Amerikaner eine neue Brücke bauen wollen, und dann hat das Unternehmen Angst, dass ihm die Mauteinnahmen wegbrechen, also entgangener Gewinn. Auch hier gibt es seit wenigen Wochen ein eindeutiges Urteil, dass selbstverständlich die Politik eine neue Brücke bauen kann, und der Investor hat dann eben Pech.
Reimer: Kritiker sagen, dass aber allein diese Klageandrohung schon Regierungen dazu bringt, wegzuknicken und bestimmte Gesetze zu unterlassen.
Caspary: Ich halte das für einen wirklichen Unsinn, weil Sie können ja auch in Deutschland vor deutschen Gerichten auf Entschädigung klagen. Da droht ja dann auch, dass eine Entschädigung kommt. Jetzt müssen wir wirklich in den Abkommen sicherstellen, dass ordentliche, rechtmäßige Gesetzgebung möglich ist. Aber wenn Unternehmen und damit Bürger von uns in anderen Ländern entschädigungslos enteignet werden, dann ist es schon unsere Aufgabe, die davor zu schützen.
CETA tritt erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments in Kraft
Reimer: Die Kollegin Petra Pinzler schreibt gestern in der "Zeit", die EU-Kommission wolle das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada im Mai einfach am EU-Parlament und an den nationalen Parlamenten vorbei vorläufig in Kraft setzen, obwohl es ja auch allerhand Änderungsforderungen zum Beispiel aus dem Parlament gibt, und bestimmte Teile des Abkommens wie diese Schiedsgerichte wären dann trotzdem drei Jahre lang in Kraft gesetzt, auch wenn Sie als Parlament später für Änderungen stimmen. Wollen Sie sich das als Parlament gefallen lassen?
Caspary: Das würde ich mir als Parlament nie gefallen lassen. Aber was ich mir noch weniger gefallen lasse - und deswegen schreibe ich im Moment gerade auch einen Brief an Ihre Kollegin in der "Zeit" -, ist eine schlechte Recherche und ein Artikel, der einfach nicht die Wahrheit berichtet. Sondern Tatsache ist: Es tritt in Europa kein Abkommen auch nur vorläufig in Kraft, ohne dass das Europäische Parlament vorher konsultiert wurde. Auch bei CETA gilt: Wir haben die Europäische Kommission beauftragt, bei dem Thema Schiedsgerichte noch mal ein paar Sachen nachzubessern, wo wir Bedenken hatten. Da laufen im Moment genau die Verhandlungen und der Rat wird im Mai nicht ein vorläufiges Inkrafttreten beschließen, sondern er wird beschließen, sollten die Verhandlungen bis dahin fertig sein, dass die Kommission mal unterschreiben darf, und selbstverständlich wird das Abkommen erst vorläufig in Kraft gesetzt, nachdem das Europäische Parlament zugestimmt hat.
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