Musik "Ténéré Tàqqàl"
Bis heute sind Tinariwen die wichtigste und international erfolgreichste Band der Tuareg-Nomaden. Seit Jahrzehnten kämpfen sie, sagt Bassist Eyadou Ag Leche:
"Wir sind politisch engagiert und setzen uns für die Belange der Tuareg ein. Mit Besorgnis beobachten wir, wie immer mehr Länder sich abschotten und ihre Grenzen verschließen. Deshalb gebrauchen wir unsere Waffen: Unsere Musik – friedvoll und meiner Meinung nach wirkungsvoller als die Atombombe."
Musik "Nànnuflày"
Stilistisch bauen Tinariwen auf die traditionellen Melodien der Tuareg, der Tindé-Trommel, Klatschen sowie Ruf und Antwortgesang auf und verbinden diesen Sound mit Elementen der westlichen Rock- und Popmusik.
Musik "Ittus"
Ittus aus dem aktuellen Album Elwan. "Was ist unser Ziel", fragt Hassan Ag Toumani in diesem Song und gibt sofort die Antwort: "die Einheit unseres Volkes und daran halten wir unbeirrt fest."
Wüstenrebellen
Bereits in den achtziger Jahren forderten die Tuareg autonome Gebiete im Norden Malis. Die malische Regierung verweigerte ihnen aber den autonomen Status. Das verursachte zusehends Spannungen und Konflikte zwischen der malischen Regierung und den Nomaden. Die Tuareg reagierten darauf mit vielen Rebellionen, an denen sich auch die engagierten Tinariwen-Mitglieder beteiligten. Sie kämpften mit Gewehren, aber auch mit Gitarren. Das brachte der Band damals den Ruf als Wüstenrebellen ein. Schließlich entlud sich der Unmut in einem großen Aufstand der Tuareg 1990. Doch seit dem Friedensabkommen von 1992 mit der malischen Regierung setzen Tinariwen ihre Rebellion nur noch mit Gitarren fort. Jahrelang verbreitete die Band ihre Musik nur regional über Kassetten, erst im Jahr 2000 erschien mit The Radio Tisdas Sessions erstmals einer ihrer Tonträger weltweit.
Musik "Tessalit"
Tessalit aus dem ersten Album "The Radio Tisdas Sessions". 2001 traten Tinariwen beim Wüstenfestival "Festival au Desert" in Mali auf. Für die zweite Veröffentlichung "Amassakoul" erhielten sie den World Music Award vom BBC Radio. Drei Monate lang stand es an der Spitze der World Music Charts Europe. Daraus der Song "Amassakoul ’n Tenéré".
Musik "Amassakoul ’n Tenéré"
Im Brennpunkt politischer Konflikte
Inzwischen haben Tinariwen ihr achtes Album "Elwan" veröffentlicht. Heute - nach fast 20 Jahren Karriere - haben die Nomadenmusiker den Weg für nachkommende Generationen geebnet. Heute sind ihre Botschaften noch resoluter und eindringlicher. Mit der aktuellen Veröffentlichung "Elwan", zu Deutsch Elefanten, setzt die Nomadenband ein alarmierendes Zeichen: Sie fühlt sich zerrieben zwischen fremden Eindringlingen, die ihre Traditionen, ihre Lebensgrundlage und ihre Existenz vernichten. "Elwan" stellt einen direkten Bezug zum aktuellen Geschehen in der Heimat der Nomadenmusiker, im Norden Malis, her - ein derzeit hart umkämpftes Krisengebiet. Die Elefanten sind hier Sinnbild für die großen Mächte: Islamisten, malische Regierung und sogar die UNO, die rücksichtslos durch ihre Region stampfen. Kurz vor den Aufnahmen des neuen Albums wurde ein Mitglied der Band von Islamisten entführt, später aber wieder freigelassen. Das Wüstenfestival "Festival au Desert" im malischen Essakane - ein wichtiger Auftrittsort der Tuareg-Musiker - fand wegen der extrem politisch angespannten Situation nicht statt.
Musik "Tiwayen"
"Jeden Berg des Gebirges Tiwayyen besingen wir. Diese sehnsuchtsvollen Erinnerungen haben wir trotz unseres langen Leidensgeschichte und der vielen Enttäuschungen nicht vergessen. Im Gegenteil sie geben uns Halt und verbinden uns. So schöpfen wir Kraft für unseren Kampf."
Gitarrist Abdallah Ag Alhouseyni schreibt viele Texte. Die Band, erklärt er, ist 1983 entstanden:
"Die damaligen Gründungsmitglieder waren in einem Militärcamp in Libyen, das von Staatschef Ghaddafi errichtet wurde und Flüchtlinge aus den Nachbarländern aufnahm und trainierte. Gemeinsam Musik machen mit einer eindeutigen Botschaft – das war das Ziel für Tinariwen von Anfang an. Es ging darum, auf die Situation der Tuareg aufmerksam zu machen. Für die malische Regierung war es sehr leicht, uns Tuareg zu vergessen. Schließlich ziehen wir Nomaden ziehen umher. Aus den Augen aus dem Sinn sozusagen. Es gab außerdem permanente Konflikte mit der Regierung: Sie wollten uns sesshaft machen. Wir dagegen wollten – und wollen es natürlich immer noch – alle, besonders die Tuareg, dafür sensibilisieren, das Bewusstsein für ihre Lage und ihre eigene Existenz schärfen: Nur gemeinsam können wir etwas erreichen."
Im Exil in Libyen tat sich Ibrahim Ag Alhabib mit Hassan und Inteyenden zusammen. Dort hörten sie zum ersten Mal Rock, Blues und Soul wie Musik von Bob Marley, Jimi Hendrix, Bob Dylan und James Brown. Musik, die den Sound mit geprägt hat. Abdallah ist wie die anderen Tuareg-Mitglieder in der Wüste aufgewachsen und hatte lange Zeit überhaupt keinen Kontakt zur Außenwelt.
"Ich wusste nicht, was sich dort überhaupt abspielte. Doch Ende 1982, nach dem Tod meines Vaters, brach ich auf, um mehr zu erfahren. Ich ging Richtung Algerien. Die Situation war damals sehr schwierig für uns Tuareg. Schwierig, weil wir um zu überleben, woanders nach neuen Perspektiven suchen mussten. Wir hatten aber überhaupt keine Papiere. Was blieb uns also anderes übrig, als heimlich die Landesgrenzen zu überqueren. Viele waren auf der Suche nach irgendeiner Arbeit. Man kann wirklich sagen, dass zwischen 1973 und 1990 die Existenz der Tuareg, die sich in Mali, Niger, Algerien oder Libyen aufhielten, wirklich bedroht war. Auch für uns war es anfangs ziemlich schwer, unter solchen Bedingungen Musik zu machen, zumal unsere Musik bis ungefähr Anfang der neunziger Jahre verboten war. Tuareg-Musik galt als Rebellen-Musik. Ich hörte zum ersten Mal von Tinariwen, als ich in Algerien war, mir gefiel ihre Musik sofort sehr gut. Ich konnte mich auf Anhieb mit den Texten identifizieren, sie sprachen etwas in mir an."
Abdallah war derart beeindruckt von Tinariwen, dass er anfing selbst Gitarre zu spielen. Er hatte damals keine eigene Gitarre. Zu dieser Zeit war es unmöglich, eine zu kaufen. Er konnte nur spielen, wenn ihm jemand eine auslieh. 1987 lernte er in einem Militärlager in Libyen Tinariwen kennen. Drei Jahre später schloss er sich der Band an und kaufte sich 1990 seine erste Gitarre. Seitdem spielt und schreibt er viele Songs über das Schicksal der Tuareg, ihre Sehnsucht und die Leere, die ihre Lager umgibt. Davon handelt auch der Song Assouf aus dem Album "Aman Iman" von 2007.
Assouf – Leere, Heimweh, Sehnsucht
Was soll ich nur mit dieser brennenden Sehnsucht anfangen?
Dieses Gefühl, das in meinem Herzen und meiner Seele ein Feuer entfacht,
Sagt mir, meine Freunde, wie kann ich nur dieses unglaubliche Verlangen stillen,
Draußen in der Weite ruht alles und ich zähle die Sterne
Assouf – oh was für eine Leere, was für eine Sehnsucht!
oh schmerzliches Gefühl, das mich immer wieder heimsucht.
Musik "Assouf"
Assouf: die physische und moralische Einsamkeit. Ein Leitmotiv, das sich durch alle Tinwariwen-Alben zieht.
Jahrhundertealte Kultur ohne eigenes Land
Die Tuareg sind ein Wüstenvolk. Sie pflegen eine jahrhundertealte Kultur, eine eigene Sprache - doch ohne eigenes Land. Seit Generationen kämpfen sie für die Anerkennung ihrer Traditionen, ihres Lebensstils - bisher vergeblich. Der Lebensraum dieser Nomaden sind die Sahara und die Savannen des südlich angrenzenden Sahels. Ursprünglich lebten die Nomaden von der Ziegen- und Kamelzucht, sind aber zunehmend in ihrer Existenz bedroht, wie es Abdallah beschreibt:
"Fatale Auswirkungen hatten die Dürrekatastrophen der Jahre 1973/74 und 1984/85. Sehr viele Menschen kamen ums Leben. Sie hatten keine Widerstandskräfte mehr, weder zu trinken noch zu essen. Viele erkrankten und starben. Es klingt hart, aber die Menschen krepierten damals genauso wie die Tiere. Deshalb suchten viele Tuareg, die noch genügend Kräfte hatten, nach besseren Lebensbedingungen und wanderten von Niger und vom Norden Malis ab nach Algerien oder Libyen. Sie hatten keine andere Wahl. Die Tuareg hatten noch nie ein leichtes Leben. Die Spannungen und Konflikte reichen sehr weit zurück und fingen eigentlich schon mit den französischen Eroberern an."
Verheerende Dürrekatastrophen trieben die Tuareg von der Sahelzone Richtung Norden. So sind Tinriwen in Kidal im Nordosten Malis gelandet.
Musik "Imidiwàn n-àkall- in"
Abdallah fühlte sich nach dem langen Kampf nicht wirklich verstanden. Ihm ist wichtig auf die Geschichte der Tuareg hinzuweisen: "Wir wollen auf die Situation, die Existenz und die Kultur der Tuareg aufmerksam machen und zeigen, wer wir sind. Für viele Europäer gibt es die Tuareg erst seit der Gründung von Tinariwen. Die Europäer kennen in der Regel überhaupt nicht unsere eigentliche Geschichte und harten Lebensverhältnisse. Wer interessiert sich schon für unsere Geschichte, die soweit zurückgeht - 200 Jahre und noch viel länger?"
Musik "Sastanaqquam"
Tinariwen wollen die nachfolgenden Generationen wachrütteln, zum Handeln aufrufen und ihr Bewusstsein für die schwierige Lage der Nomaden schärfen. Gleichzeitig wollen die Tuareg-Musiker ihnen Zukunftsperspektiven aufzeigen und Hoffnung machen.
"Im Song "Timadrit in Sahara" sprechen wir die Jugend in der Sahara direkt an: "Wacht auf, lasst euch nicht unterkriegen. Es gibt viel zu tun - es ist für uns alle schwer, aber wir müssen dennoch zuversichtlich in die Zukunft blicken. Lasst euch nicht entmutigen, auch wenn euer Land jetzt von anderen besetzt ist. Natürlich treten auch innerhalb der Tuareg-Stämme Probleme auf. Es gibt Meinungsverschiedenheiten, Neid und Konkurrenz. Schließlich sind das große verschiedene Ethnien mit einem unterschiedlichen kulturellen Hintergrund. Wichtig ist eine gemeinsame Basis zu schaffen und Missverständnisse auszuräumen."
Musik "Timadrit in Sahara"
Bassist Eyadou Ag Leche, bringt frischen Wind in die Tuareg-Band. Er ist in den Dreißigern und jünger als die anderen Mitglieder. Mit der Musik und den Werten von Tinariwen aufgewachsen führt er die Tradition und den jahrzehntelangen Kampf fort.
"Seit der Kolonialisierung erstreckt sich der heutige Lebensraum der Tuareg über fünf verschiedene Länder. 1963 gab es eine erste Rebellion der Tuareg, die die junge Generation nun fortführt. Mein Vater hat beispielsweise an der Rebellion 1990 teilgenommen, danach gab es dann ein Friedensabkommen, Schulen und Krankenhäuser wurden für uns Nomaden gebaut. Doch seit 20 Jahren hat die Regierung nichts mehr für uns gemacht. Da ist es doch nicht verwunderlich, dass wir immer mehr Probleme haben. Außerdem tauchen die Islamisten auf, dann die Franzosen, die Amerikaner ... wir blicken überhaupt nicht mehr durch, wie und warum die Terroristen hier gelandet sind."
Eigentlich kennen diese Nomaden keine Landesgrenzen: Ungefähr eine Million Tuareg folgen heute noch dem Rhythmus der Natur und legen bei Dürre weite Wege zurück. Der Song "Hayati", zu Deutsch "Mein Leben", aus dem Album "Elwan", greift thematisch das Leben in der Wüste auf, das existentielle Dasein: das fehlende Wasser, die Erde, die Gefährten.
Musik "Hayati"
Und es tut sich etwas innerhalb der Tuareg-Gemeinschaft: Nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen erheben ihre Stimme. Sie fordern einerseits mehr Freiheit für alle Tuareg und andererseits mehr Gleichberechtigung für sich selbst, wie es Tinariwen-Bassist Eyadou Ag Leche beschreibt: "Diese Forderungen sind Thema im Song mit dem Titel "Assaawt", der übersetzt die Stimmen der Frauen bedeutet. Wir rütteln unsere Männer wach und ermahnen sie, traditionelle Denkmuster zu durchbrechen und sich den Frauen gegenüber zu öffnen."
Musik "Assawt"
Im Song "Assawt" filigran verschnörkelte Gitarrenfiguren, die grooven und den Hörer mitreißen. Im Song "Nizzagh Ijbal" beherrschen die Tuareg-Musiker auch die leiseren Töne:
Musik "Nizzagh Ijbal"
Das Album "Elwan" klingt nach endlosen Wüstenlandschaften, unerbittlicher Trockenheit und harten Lebensumständen. Ihr Sound - die treibende Kraft, die alle miteinander verbindet und die Hoffnung auf ein selbst bestimmtes Leben in ihrem Land transportiert: ein Leben irgendwo zwischen archaischem Erbe und desolater Moderne. Tinariwen sind die Meister des Genres, das sie selbst kreiert haben: Desert-Musik im Sahara-Groove. Perfekte Stimmung und Mischung, satte, kraftvolle Stücke im schnellen polyrhythmischen Stil.
Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung sieben Tage nachhören.