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Türkei
"Die Entwicklung geht rasant in Richtung eines autoritären Staates"

Es werde immer schwieriger, in der Türkei mit Präsident Erdogan einen Partner für die europäische Außenpolitik zu sehen, sagte der SPD-Politiker Frank Schwabe im DLF. Das Land sei leider auf dem Weg, sich "in Richtung eines autoritären Staates zu entwickeln, wo die Demokratie nur noch eine Fassade ist".

Frank Schwabe im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD)
    Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD) (picture alliance / dpa - Britta Pedersen)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Frank Schwabe, Sprecher der SPD im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Tag.
    Frank Schwabe: Guten Tag.
    Heinemann: Ist Völkermord Völkermord?
    Schwabe: Genau. Völkermord ist Völkermord.
    Heinemann: Wer erklärt es Herrn Steinmeier?
    Schwabe: Herr Steinmeier ist ja in einer anderen Funktion. Er wirbt als Chefdiplomat darum, kein Porzellan zu zerschlagen. Aber es geht darum, Dinge klar zu benennen. Das hat was zu tun damit, dass wir auch eine Präventivwirkung haben wollen gegenüber anderen Staaten, und es hat weniger was zu tun mit dem Aussöhnungsprozess der Türken und der Armenier. Das müssen die natürlich am Ende schon selber machen.
    Heinemann: Für Menschenrechtspolitiker ist Völkermord Völkermord und für einen Bundesaußenminister ist Völkermord nicht Völkermord?
    Schwabe: Ich bin mir ziemlich sicher, dass für Frank-Walter Steinmeier Völkermord auch Völkermord ist. Aber er wirbt darum, sagen wir, diplomatischer vorzugehen, wenn man urteilt über die Geschichte anderer Länder. Da hat er eine andere Position. Aber in der SPD-Fraktion ist das völlig klar: Eine ganz klare Mehrheit steht hinter diesem Antrag.
    Heinemann: Sollte man in Sachen Völkermord diplomatisch vorgehen oder vielleicht die historische Wahrheit bevorzugen?
    "Außenpolitische Rücksichtnahme hört bei Mord und Totschlag auf"
    Schwabe: Nein, das ist immer die Frage. Da können Sie mit einem, sagen wir, Chefdiplomaten lange drüber reden, wann man Dinge wie benennt, wenn man gegenübertritt einem anderen und ihm klar ins Gesicht sagt, was man von ihm hält. Aber an der Stelle noch mal, finde ich, geht es darum, Dinge klar zu benennen. Das hat auch eine Präventivwirkung gegenüber anderen Staaten, damit sie genau wissen, so was wird klar international benannt, und deswegen ist das richtig, das so zu beschließen.
    Heinemann: Sollte außenpolitische Rücksichtnahme bei Mord und Totschlag aufhören?
    Schwabe: Die hört auf bei Mord und Totschlag. Die Debatte um den Völkermord an den Armeniern ist ja eine, die die Historie betrifft vor allem. Da geht es ja um etwas, was 101 Jahre zurückliegt. Und da ist nun die Frage, muss man den Ländern Zeit geben, die Dinge selbst aufarbeiten zu können. Da würde ich allerdings sagen, da hat die Türkei 101 Jahre Zeit gehabt. Und jetzt ist es daran, dass wir uns klar bekennen, eben auch deswegen, weil wir einen Teil der Schuld auch als Deutsche haben, weil wir zumindest Dinge haben geschehen lassen, obwohl Deutschland sehr wohl gewusst hat, was dort vor sich geht.
    Heinemann: Herr Schwabe, schauen wir in die Türkei, in die heutige. "Opposition ist Mist" hat Franz Müntefering einmal gesagt. Sie ist auch überflüssig nach Herrn Erdogans Überzeugung, wofür in der Türkei jetzt die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Wie sollte Deutschland reagieren?
    "Überprüfen, ob die Türkei das, was sie unterschrieben hat, einhält"
    Schwabe: Das ist, glaube ich, das, was man vielen Ländern erklären muss. Demokratie heißt nicht, wenn man die Mehrheit hat, dass man dann machen kann, was man will. Es gibt Rechte für die Opposition, es gibt Rechte für nationale Minderheiten und andere. Wir können nur so reagieren, dass wir die Dinge klar benennen. Es gibt allerdings auch Institutionen, wo die Türkei Mitglied ist und auch Deutschland Mitglied ist, wie zum Beispiel den Europarat, und dort müssen wir auch die entsprechenden Verfahren in Gang setzen, um wirklich auch zu überprüfen, ob die Türkei das, was sie am Ende unterschrieben hat, auch an internationalen Standards, ob sie das eigentlich noch einhält. Ich fürchte, das ist im Moment nicht der Fall.
    Heinemann: Herr Schwabe, wünschten Sie sich, dass Frank-Walter Steinmeier auch das klar benennt, oder würden Sie auch da sagen, das muss man diplomatisch umschiffen?
    Schwabe: Ich finde, die Dinge werden durchaus klar benannt.
    Heinemann: Von wem und wann?
    Schwabe: Auch Frank-Walter Steinmeier benennt die Dinge klar. Die deutsche Regierung benennt die Dinge klar. Der Justizminister Heiko Maas benennt die Dinge klar. Da, finde ich, ist kein Mangel an Klarheit. Wir reden ja gerade zum Beispiel darum, wie wir das mit der Visaliberalisierung machen und über die Kriterien, die zu erfüllen sind. Da geht es ja unter anderem um den Anti-Terror-Paragrafen in der Türkei und da gibt es, glaube ich, keine zwei Meinungen in der gesamten deutschen Bundesregierung, dass dort bestimmte Grundsätze des demokratischen Staates Türkei erfüllt werden müssen. Sonst gibt es keine Visaliberalisierung.
    Heinemann: Kann Erdogan für die deutsche und die europäische Außenpolitik überhaupt noch Partner sein?
    "Erdogan guckt sehr genau, was international an Reaktionen kommt"
    Schwabe: Es wird schwieriger - das muss man sich, glaube ich, klar machen -, weil die Türkei wirklich auf dem Weg ist, sich rasant in Richtung eines autoritären Staates zu entwickeln, wo die Demokratie nur noch eine Fassade ist. Aber man muss schon daran erinnern, dass wir leider auf der Welt eine Reihe von Staaten haben, die alles andere als lupenreine Demokratien sind, und trotzdem wird man mit den Ländern versuchen müssen, entsprechend umzugehen. Wir müssen ja nur gucken, wie das in Russland ist. Leider gibt es gerade in den letzten fünf, sechs Jahren viele Entwicklungen weltweit in vielen Staaten, wo sich die Staaten autoritär entwickeln. Da kann ich nur noch mal sagen: Man muss die Dinge klar benennen und da, wo es Institutionen gibt, wo die Länder auch Mitglieder sind, muss man auch die Mechanismen in Gang setzen. Aber man wird mit den Ländern umgehen müssen. Das geht gar nicht anders.
    Heinemann: Ist die Bundesregierung von dem - ich greife Ihren Begriff auf - Fassadendemokraten Erdogan abhängig?
    Schwabe: Sagen wir mal so: Zumindest muss man immer wieder klar machen, dass wir es nicht sind. Es kann schon gelegentlich der Eindruck entstehen, dass aufgrund der großen Not, die es gibt im Zuge der Flüchtlingssituation, manche meinen, dass man vielleicht, sagen wir, ein bisschen diplomatisch mit Herrn Erdogan zu diplomatisch umgehen muss. Darum ringt man ein bisschen. Aber der Eindruck darf wirklich nicht entstehen, weil das wäre verheerend, weil Herr Erdogan sehr genau, glaube ich, guckt, was international an Reaktionen kommt. Deswegen, finde ich, müssen die Dinge klar benannt werden. Ich finde aber auch, dass mindestens meine Partei das sehr klar tut. Wir fordern von Frau Merkel ganz klar, dass sie da auch nirgendwo klein beigibt, und es gibt bestimmte grundlegende Dinge und die müssen erfüllt werden. Sonst gibt es diese Visaliberalisierung zum Beispiel nicht.
    Heinemann: Sollte sich der Bundesaußenminister (SPD) auch so klipp und klar äußern?
    "Man muss ja nicht als erstes immer Kritik üben"
    Schwabe: Ich muss noch mal sagen: Der Bundesaußenminister äußert sich an vielen Stellen zu vielen Dingen klipp und klar.
    Heinemann: Wir reden jetzt über die Türkei.
    Heinemann: Noch einmal: Gelegentlich hat der Bundesaußenminister eine andere Funktion. Das hat einfach was damit zu tun, dass er ständig auch mit Menschen in Kontakt tritt, mit denen auch entsprechend berät, und dass er natürlich sehen muss, dass man bestimmte Länder für bestimmte politische Lagen entsprechend braucht.
    Heinemann: Vor allen Dingen, wenn man von ihnen abhängig ist.
    Schwabe: Trotzdem finde ich noch einmal, dass es keinen Mangel daran gibt, dass der Bundesaußenminister Dinge klar anspricht. Es ist immer die Frage, wann man das tut und wie man das tut. Wenn man irgendwo zu Besuch kommt, machen Sie es ja auch nicht, dass Sie als erstes immer die Kritik üben. Aber die Kritik muss vorkommen und ich finde, dass sie durchaus auch bei Frank-Walter Steinmeier vorkommt.
    Heinemann: Der Mann, Erdogan, kann ja inzwischen fast alles tun und lassen, was er will. Türkische sogenannte Sicherheitskräfte schießen an der Grenze zu Syrien offenbar auf Flüchtlinge. Die Bundesregierung schweigt dazu. Müssten Sie als Menschenrechtspolitiker auch da Ihrem Minister, Ihrer Regierung Beine machen?
    "Am Ende ist die Europäische Union zuständig"
    Schwabe: Ich bin in der nächsten Woche in der Türkei und ich werde mich mit der Situation eingehend befassen. Wir haben ja nächste Woche den humanitären Weltgipfel in Istanbul und danach hoffe ich, dass ich Zugang bekomme zum Beispiel zu den Gefängnissen, wo jetzt abgeschobene Flüchtlinge sitzen, und auch mit den Organisationen reden kann und mir die Beweise auch angucken kann, die vorgelegt wurden dafür, dass Menschen an der Grenze erschossen worden sind. Und dann werde ich mir jedenfalls noch mal ein klareres Bild machen. Was wir brauchen, ist eine klare Lage und da in der Tat ist am Ende die Europäische Union zuständig, Klarheit darüber zu schaffen, ob die Türkei die humanitären Bedingungen für einen solchen Flüchtlingsdeal erfüllt. Ich will das mal sagen: Ich hatte von Anfang an Zweifel und die Zweifel wachsen durchaus.
    Heinemann: Herr Schwabe, wieso regen sich Regierungsmitglieder auch der SPD auf, wenn AfD-Politikerinnen laut über einen Schusswaffeneinsatz an der deutschen Grenze nachdenken, während die tatsächlichen Schüsse mit Schweigen übergangen werden? Zum Beispiel die an der türkischen Grenze.
    Schwabe: Erstens ist das eine eine deutsche Debatte. Natürlich ist das noch mal etwas anderes, wenn man im Inland politisch auch zu etwas Stellung nehmen muss. Es gibt leider viele Menschenrechtsverletzungen weltweit. Zu denen kann man nicht permanent sich andauernd äußern. Aber noch einmal: Es gibt schwerwiegende…
    Heinemann: Das sagen Sie als Menschenrechtspolitiker, dass man sich darüber nicht permanent äußern kann?
    Schwabe: Nun warten Sie doch mal ab, was noch kommt. Es gibt schwerwiegende Hinweise darauf, von Amnesty International, von Human Rights Watch, dass es solche Vorkommnisse, auch Todesfälle an der Grenze geben soll. Dem muss ordentlich nachgegangen werden. Ich gehe davon aus, dass das auch für alle klar ist, die zumindest SPD-seitig Mitglieder der deutschen Bundesregierung sind. Also das wird interessant werden in den nächsten zwei oder drei Wochen, wo wirklich diese Beweise entweder entkräftet werden müssen, oder wo gesagt werden muss, ja, diese Vorwürfe stimmen. Dann finde ich in der Tat, dass die Bedingungen für einen solchen Deal entfallen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht die sozialdemokratischen Minister der deutschen Bundesregierung das dann auch so sehen.
    Heinemann: Herr Schwabe, Gerhard Schröder - wir erinnern uns an sein Diktum, Putin, ein lupenreiner Demokrat. Sigmar Gabriel hat jüngst den ägyptischen Staatspräsidenten al-Sisi als beeindruckenden Präsidenten bezeichnet. Verwundern Sie manche Äußerungen von Spitzenpolitikern der SPD gelegentlich?
    "Sigmar Gabriel hat in Saudi-Arabien sehr klar Menschenrechtsverletzungen angesprochen"
    Schwabe: Nein, das verwundert mich gar nicht. Sigmar Gabriel ist jemand, der gerade als Wirtschaftsminister wirklich sehr, sehr klar, klarer vielleicht als jeder Wirtschaftsminister davor, Menschenrechtsverletzungen anspricht, der sich bemüht, Rüstungsexportkontrolle…
    Heinemann: Nur nicht in Ägypten.
    Schwabe: Doch! Sie müssen sich dann wirklich mal im Detail angucken, was er wann wo wie gesagt hat. Er hat das auch hinterher noch mal klargestellt, dass das in einem anderen Zusammenhang gefallen ist und dass das sicherlich unglücklich rüberkam. Aber Sigmar Gabriel war zum Beispiel jemand, der in Saudi-Arabien sehr klar Menschenrechtsverletzungen angesprochen hat, für manche Diplomaten vielleicht sogar zu klar. Insofern ist bei Sigmar Gabriel, glaube ich, gar kein Zweifel, dass er trotz der Interessen eines Wirtschaftsministers die Dinge auch sehr klar benennt.
    Heinemann: Frank Schwabe, Sprecher der SPD im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Schwabe: Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.