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Türkei-Politik der Bundesregierung
Kritik an deutsch-türkischer Geheimdienstzusammenarbeit

Politiker aus Koalition und Opposition wollen die Zusammenarbeit zwischen deutschem und türkischem Geheimdienst zur Disposition stellen. Anlass ist unter anderem, dass die Türkei von Deutschland fordert, Angehörige der Gülen-Bewegung zu verfolgen und auszuliefern.

Von Frank Capellan |
    Neubau der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin
    Neubau der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin (imago stock&people)
    Selbst Clemens Binninger will die Zusammenarbeit mit der Türkei nun kritisch prüfen. Der Putsch, die überaus harte Reaktion des Präsidenten, all das hat seiner Ansicht nach nicht nur Folgen für die Sicherheitslage, "sondern möglicherweise auch auf die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste", erklärt der Christdemokrat gegenüber der "Welt am Sonntag".
    Binninger ist Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, das die Geheimdiensttätigkeiten unter die Lupe nimmt. Und dabei geht es inzwischen um die Frage ob Verfassungsschutz, BND und Polizei die Kooperation mit der Türkei fortsetzen können.
    Johannes Dimroth, Sprecher des Innenministeriums hatte in dieser Woche die Zusammenarbeit deutscher und türkischer Geheimdienststellen noch einmal gerechtfertigt:
    "Diese Zusammenarbeit erfolgt aber selbstverständlich nicht naiv, blind, sozusagen ausblendend, dass es auch gewisse Schwierigkeiten gibt, sondern sehr sensibel, sehr geschärft und auf Grundlage der dafür einschlägigen Gesetze."
    Ströbele will Kooperation überprüfen
    Allerdings könnte das, was in der "Welt am Sonntag" heute zu lesen ist, die Kooperation noch weiter infrage stellen. Demnach sind allein in Deutschland 6.000 Informanten des türkischen Geheimdienstes unterwegs, ein Zuträger käme damit auf nur 500 türkischstämmige Bürger. Das würde eine enorme Überwachungsdichte bedeuten.
    Geht es noch um Aufklärung oder doch mehr um Repression türkischer Agenten gegenüber den in Deutschland lebenden Türken? Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele will eben das nun im Parlamentarischen Kontrollgremium thematisieren: Die Kooperation mit der Türkei muss dringend überprüft werden, sonst laufen wir Gefahr, bei strafbaren Handlungen mitschuldig zu werden. Innenminister Thomas de Maizière sieht das Problem durchaus, der CDU-Politiker spricht weiter von der Türkei als Partner:
    "Aber klar ist, und da sind wir uns ganz einig: Es darf keine Verlagerung innenpolitischer Konflikte auf Berliner Straßen, auf Stuttgarter Straßen, auf Münchener Straßen geben. Wobei ich mir wünsche, dass die, die Türken sind und hier lange leben, auch wissen, dass wir für ihre Sicherheit zuständig sind und nicht der türkische Staat. Hier kann politisch diskutiert werden, aber eine gewaltsame oder in anderer Weise aufgehetzte Debatte wegen Vorgängen in der Türkei, die wollen wir bei uns nicht haben, und da muss man auch hart dagegen vorgehen."
    Nouripour: Türkei vor Diktatur bewahren
    Niels Annen, SPD-Außenpolitiker, ist wenig begeistert von de Maizières Rhetorik. Unter öffentlichem Applaus die Türkei zu kritisieren, ersetzt noch lange keine Außenpolitik, meint Annen. De Maizere kann sich auf öffentliches Kommentieren beschränken, Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier aber müssten nun mit dem türkischen Präsidenten Erdogan reden. Das fordert auch der grüne Abgeordnete Omid Nouripour:
    "Ich glaube, dass die Bundesregierung jetzt die letzten Chancen, falls es sie überhaupt noch gibt, nutzen sollte, darauf hinzuwirken, dass die Türkei nicht endgültig in eine religiöse Diktatur abdriftet, weil dann ist alles andere zu spät. Jetzt laufen wir in eine Richtung, wo wir möglicherweise eine Diktatur haben, wo möglicherweise der Dialog überhaupt nicht mehr möglich ist."
    Bisher aber arbeite die Große Koalition in der Außenpolitik gegeneinender, meint Nouripour und weiter wörtlich:
    "Herr de Maizière spricht Klartext, Herr Steinmeier schwurbelt, Frau Merkel schweigt wie fast immer."