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Türkei und Griechenland
Aus Erzfeinden werden neugierige Nachbarn

Das schlechte Verhältnis zwischen Türken und Griechen geht noch auf die Osmanische Zeit zurück und zeigte sich bislang etwa im Zypern-Konflikt. Dort warten griechische Zyprer auf Entschädigung für ihre Häuser auf dem türkischen Teil - und umgekehrt. Doch nun gibt es Anzeichen, dass die erbitterte Feindschaft sich in freundliche Nachbarschaft wandeln könnte.

Von Luise Sammann |
    Blick auf die Flagge Zyperns
    Unter anderem wegen des Zypern-Konflikts galt Griechenland den meisten Türken bisher als Aggressor. (dpa / Jp Amet)
    Die Türken könnten sich freuen. Sie könnten schadenfroh mit dem Finger auf die am Boden liegenden Griechen zeigen. Auf das Volk, das in ihren Geschichtsbüchern lange nur als der Erzfeind auftauchte, vor dem man sich in Acht zunehmen hatte.
    Stattdessen aber überwiegt in den Straßen Istanbuls dieser Tage das Mitleid für die bankrotten Nachbarn. Dass Premier Ahmet Davutoglu Athen gar Hilfe angeboten hat, finden längst nicht nur AKP-Wähler genau richtig.
    "Ich denke, wir sollten den Griechen helfen. Klar, wir hatten große Konflikte und nicht alle sind gelöst. Aber am Ende geht es hier um unsere Nachbarn!"
    "Mich macht das traurig. Sie sind so hilflos. Ich will schon gar nicht mehr den Fernseher einschalten. Wenn die Türkei kann, sollte sie den Griechen helfen!"
    "Was für eine schlimme Situation, die Menschen dort können nicht mal mehr Geld am Automaten abheben. Frankreich, Deutschland, England - denen ist das egal, die können sich nicht vorstellen, wie das ist. Aber wir Türken wissen aus den 90ern, wie sich so eine Krise anfühlt."
    Alte Feindbilder verwaschen langsam
    Es ist noch gar nicht lange her, da waren solche Töne in der Türkei undenkbar. Der Zypern-Konflikt, der Streit um die unbewohnten Kardak-Inseln, der 1996 beinahe in einen Krieg mündete - Griechenland galt den meisten Türken bisher als Aggressor. Mitleid? Niemals. Doch gerade unter jungen Türken scheinen die alten Feindbilder langsam zu verwaschen.
    "Was in der Vergangenheit geschehen ist, ist vorbei", findet Politikstudent Efe, der sich an der Uni gleich mit mehreren Erasmus-Studenten aus dem Nachbarland angefreundet hat.
    "Wir haben Griechenland angegriffen und Griechenland uns. Aber jetzt ist nicht mehr die Zeit für Kriege, sondern für Frieden."
    Der Sinneswandel der Türken gegenüber den Griechen wird auch an anderer Stelle deutlich: Noch vor gar nicht allzulanger Zeit hielt Akin Günes jeden für einen Vaterlandsverräter, der sein Handtuch an einem griechischen statt an einem türkischen Strand ausbreitete. Nun sitzt der 31-Jährige mit seiner Verlobten in einem Istanbuler Café, um die Flitterwochen zu planen. Auf dem Tisch vor ihnen: ausgerechnet ein Reisekatalog mit Griechenlandangeboten.
    "Bis vor einigen Jahren wäre ich niemals dorthin gefahren. Nachbar hin oder her - Griechenland war auch wirtschaftlich unser Konkurrent und ich wollte nicht, dass die an uns verdienen. Aber inzwischen hat sich die Situation geändert. Ich bin jetzt neugierig, wie es dort aussieht. Freunde von mir sagen, es sei wirklich schön jenseits der Grenze, das möchte ich sehen."
    Akin ist nicht allein mit seinen Plänen. Nur gut 100.000 Türken verbrachten im Jahr 2005 ihren Urlaub in Griechenland. Mehr als eine Million sollen es in diesem Jahr werden. Zehn Mal mehr! Deniz Topcu, Reisebüroangestellte im Istanbuler Stadtteil Kadiköy, kann die Nachfrage inzwischen kaum noch befriedigen.
    "Es gibt einen deutlichen Anstieg - die Türken buchen sowohl Urlaub auf den griechischen Inseln als auch auf dem Festland. Und dementsprechend wächst auch das Angebot. Es werden jetzt haufenweise Pakete verkauft, die Flug und Hotel beinhalten, oder mehrtägige Bus- und Bootstouren samt Reiseführer. Ich denke, all das wird auch die persönlichen Beziehungen zwischen Griechen und Türken weiter verbessern."
    Regierung in Ankara und die Schulden
    Trotz aller Solidaritätsbekundungen aus Ankara: Es ist unwahrscheinlich, dass die türkische Regierung am Ende tatsächlich für die Schulden des griechischen Staates aufkommen wird, wie es ein Abgeordneter der linksliberalen HDP kürzlich vorschlug.
    Doch allein die steigende Zahl an türkischen Touristen macht Griechen wie Spyros Galiatsatos, Restaurantbesitzer auf der Insel Samos, Hoffnung.
    "Es gibt große Anstrengungen, mehr und mehr türkische Touristen nach Samos zu bringen. Wenn wir Glück haben, bekommen sie bald Visaerleichterungen und können damit sogar fürs lange Wochenende rüberkommen. Wir können nur hoffen, dass es noch mehr werden!"
    Vor 20 Jahren, als er hier zur Schule ging, galt das nur eine Stunde entfernte türkische Festland noch als Feindesland, erinnert sich Spyros. "Die Türken wirkten bedrohlich und sie waren arm." Er lacht. Heute verdienen viele von ihnen mehr als seine eigenen Landsleute. Der Streifen am Horizont macht nicht mehr Angst, sondern Hoffnung.