Christiane Kaess: Das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara ist seit Wochen belastet, nachdem in mehreren deutschen Städten Veranstaltungen türkischer Regierungsvertreter abgesagt worden waren. Präsident Erdogan hatte am Sonntag Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich vorgeworfen, sie greife zu Nazi-Methoden gegen die in Deutschland lebenden Türken. Am Montag hatte Merkel der Türkei dann indirekt mit Konsequenzen gedroht und gestern hieß es dann aus der AKP, alle zukünftigen Veranstaltungen, die geplant waren in Deutschland, seien abgesagt. – Am Telefon ist Roderich Kiesewetter von der CDU. Er ist Obmann im Auswärtigen Ausschuss. Guten Morgen, Herr Kiesewetter.
Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kiesewetter: Sind Sie erleichtert oder skeptisch?
Kiesewetter: Nein, ich bin natürlich erleichtert, weil die klare Kommunikation der Bundesregierung geholfen hat, und wir haben mit ruhiger und konsequenter Diplomatie den Auftritt in Deutschland verhindert. Trotzdem heißt es, vorsichtig sein. Wir wissen nicht, was noch in den nächsten Wochen geschieht. Aber das ist schon mal ein guter Anfang.
Kaess: Aber ist das tatsächlich ein Zeichen des guten Willens, oder spielt die Türkei nicht mit diesem Konflikt?
Kiesewetter: Ich denke, dass Erdogan sehr unsicher ist, wie das Referendum ausgeht. Deswegen auch diese Eskalationen. Seine eigene Gesellschaft ist gespalten. Das Ja-Lager ist eigentlich eher in seiner Partei zu finden und in der rechtsextremen MHP, während dem andere Parteien dagegen sind. Er hat auch das Parlament gespalten, indem er von über 100 Abgeordneten die Immunität aufheben ließ - haben die Abgeordneten selber gemacht. Er hat Abgeordnete auch in Haft gebracht. Die Gesellschaft ist verunsichert, die Bevölkerung auch, und deswegen wirkt er so polarisierend. Für uns muss klar gelten, wir wollen keine innenpolitischen Auseinandersetzungen der Türkei in Deutschland. Wir haben klare Kante gezeigt, ohne zu eskalieren, und ich glaube, dass Erdogan weiß, wie abhängig er von der EU ist, wirtschaftspolitisch, und dass er sich weitere Eskalationen nicht leisten kann.
Kaess: Aber wo hat Deutschland denn klare Kante gezeigt? Die Bundesregierung hat doch eigentlich Raum gegeben für diese Eskalation, weil sie kein Einreiseverbot verhängt hat.
Kiesewetter: Nein. Schauen Sie mal: In den Niederlanden ist die Lage eskaliert durch Zuspitzung der dortigen Regierung mitten im Wahlkampf. Und bei uns wurde zunächst klargemacht, er kann auftreten, dann kamen die Nazi-Vorwürfe, dann wurde ganz klar kommuniziert, dass wir diese Nazi-Vorwürfe überhaupt nicht akzeptieren können, wir weisen sie zurück. Und die Bundeskanzlerin hat sehr klargemacht und Minister Altmaier auch, dass wir erwarten, dass die türkische Regierung auf Wahlkampfauftritte hier verzichtet. Dieses Signal hat die türkische Regierung, hat die AK-Partei und hat Erdogan verstanden.
Kaess: Aber die Bevölkerung in den Niederlanden hat das sehr begrüßt, wie die niederländische Regierung gehandelt hat, und viele würden sich das von der deutschen Regierung in Deutschland auch wünschen.
Kiesewetter: Ich denke, dass wir nicht zusätzlich zuspitzen müssen. Die Bundesrepublik Deutschland hat deutlich mehr türkische Einwohner als die Niederlande und wir wollen ja nicht, dass der Konflikt innerhalb der türkischen Mitbevölkerung ausgetragen wird. Und ich glaube, hier hat die ausgleichende Art der Bundesregierung sehr geholfen, und darauf kommt es doch an. Wir wollen ja keine Eskalation im eigenen Land.
Kaess: Aber es war erst am Montag, dass Angela Merkel mit Konsequenzen gedroht hat, wenn die Nazi-Vergleiche nicht aufhören. Hätte das nicht schon früher kommen müssen?
"Wir müssen doch nicht zusätzlich anheizen"
Kiesewetter: Nein, es ist ja sehr klar schon kommuniziert worden. Nur wir müssen doch nicht das zusätzlich anheizen. Es geht doch darum, dass die Signale in Ankara verstanden werden, und das ist offensichtlich geschehen. Und in der eigenen Bevölkerung – schauen Sie mal: Wir haben keine türkischen Demonstrationen. Wir haben auch keine kurdischen Demonstrationen in Deutschland. Deshalb sollten wir auch alles daran setzen, dass wir innerhalb Deutschlands den Dialog mit den Türken suchen, dass wir das Gespräch suchen und auch auf der anderen Seite klare Kante zeigen, indem wir zum Beispiel sagen, die Imam-Ausbildung muss künftig auf Deutsch stattfinden und langfristig auch in Deutschland.
Und die weitere Konsequenz für uns ist: Die Verhandlungen mit der Aufnahme zur Europäischen Union können gerne fortgesetzt werden, aber die rote Linie ist die Einführung der Todesstrafe in der Türkei. Da sind schon ganz klare Kriterien von unserer Seite.
Kaess: Aber, Herr Kiesewetter, es ging ja auch gar nicht um ein weiteres Anheizen des Konfliktes. Die Bundesregierung wirkte aber doch etwas hilflos, wenn jedes Mal Bund, Länder oder Kommunen neu entscheiden mussten, wie sie jetzt mit einem möglichen Wahlkampfauftritt umgehen.
Kiesewetter: Ich glaube, die Türkei hat mit einem nicht gerechnet. Erdogan hat nicht damit gerechnet, dass wir Kommunen haben, die selbstständig agieren ...
Kaess: Und die die Bundesregierung in dem Fall im Stich gelassen hat!
Kiesewetter: Nein. Schauen Sie doch mal! Erstens: Erdogan reist nicht nach Deutschland ein. Zweitens: Weitere Auftritte sind abgesagt worden. Und wir müssen doch jetzt den Blick nach vorne richten. Wie geht es denn nach dem 26. April weiter? Wollen wir, dass die Türkei sich aus der westlichen Staatsgemeinschaft verabschiedet? Dann müssen wir jetzt eskalieren und weiterhin Erdogan vorführen. Wir lassen uns von ihm ja nicht vorführen, sondern wir wollen, dass die Türkei Teil der westlichen Wertegemeinschaft bleibt. Ich sehe das in großer Sorge. Die Türkei ist auf einem Weg in einen Unrechtsstaat, in eine Diktatur. Hier werden jetzt Ermächtigungen durchgeführt, die wir aus den 30er-Jahren in Deutschland kennen. Darauf müssen wir uns fokussieren und nicht, ob es hier Wahlkampfauftritte gibt oder nicht.
Kaess: Aber der Blick nach vorne heißt auch, dass Präsident Erdogan angekündigt hat, es werde eine Neuausrichtung der Beziehungen seines Landes zur Europäischen Union geben. In dem Zusammenhang hat er die EU noch mal als faschistisch und grausam bezeichnet und gesagt, die Lage in Europa erinnere ihn an die vor dem Zweiten Weltkrieg. Ist es nicht Zeit, dass auch vonseiten der EU jetzt mal klargemacht wird, wo man eigentlich mit der Türkei hin will?
"Klarmachen, was die türkische Bevölkerung verliert"
Kiesewetter: Ja. Ich denke, wir sollten nicht nur das Referendum abwarten, sondern klarmachen, was die türkische Bevölkerung verliert, wenn sie diesem Referendum zustimmt. Die EU ist der wichtigste Exportmarkt der Türkei, 40 Prozent der Exporte gehen nun mal in die EU, während dem wir umgekehrt von der Türkei überhaupt nicht abhängig sind. Das Wirtschaftswachstum in der Türkei ist eingebrochen, die Arbeitslosigkeit auf über zwölf Prozent gestiegen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Türkei von der EU ist viel größer, und das sollten wir auch unseren türkischen Mitbürgern klarmachen. - Der zweite Punkt ist ...
Kaess: Entschuldigung, Herr Kiesewetter! Da muss ich mal gerade nachfragen. Was heißt das denn ganz konkret? Die Zustimmung zu einer Verfassungsänderung hätte dann zur Folge, dass die Beitrittsperspektive für die Türkei beerdigt ist?
Kiesewetter: Ja, das sehe ich eindeutig so. Wenn die Zustimmung zu diesem Referendum erfolgt, ist die Türkei auf dem Weg in einen autoritären Staat, in eine islamistische Diktatur. Das können wir so nicht mittragen.
Kaess: Und Sie glauben, Brüssel wird das auch so klarmachen, unmittelbar danach?
Kiesewetter: Ich denke, dass die Europäische Union hier eine sehr klare Position hat. Ich sehe aber auf der anderen Seite auch die Notwendigkeit, dass wir die Türkei brauchen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Türkei hat ja auch einigermaßen ausgleichend jetzt für Entspannung mit Russland gesorgt, obwohl sie denen ein Flugzeug abgeschossen haben. Die Türkei versucht, mit Iran und Russland in Syrien voranzukommen. Das sind diplomatische Bemühungen. Auf der anderen Seite sehen wir, wie die Türkei Aufstandsbewegungen unterdrückt und auch bekämpft. Die Türkei ist auf dem Weg in einen Unrechtsstaat. Und sollte die türkische Bevölkerung dem zustimmen, indem zum Beispiel unsere Freiheit ausgenutzt wird, Werbung dafür zu machen, dass die Türkei eine Diktatur wird, dann müssen wir auch von Brüssel aus klare Kante zeigen. Ich kann nur hoffen, dass dieses Referendum scheitert.
Kaess: Aber wie soll denn so eine Zusammenarbeit noch klappen, wenn man auf der einen Seite so eine wichtige Tür zuschlägt. Und heute kommt auch noch eine Meldung, dass die Bundesregierung mehr Waffenlieferungen an die Türkei als zuvor blockiert. Wie soll eine Zusammenarbeit gerade im militärischen Bereich denn überhaupt noch aussehen?
"Durch vernünftige Diplomatie einwirken"
Kiesewetter: Zunächst einmal bleibt die Türkei ja noch Mitglied in der NATO. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Bundesregierung Waffenexporte in die Türkei auf Eis gelegt hat, weil wir befürchten, dass die innenpolitisch eingesetzt werden gegen die eigene Bevölkerung. Und wir stehen vor Zeiten des Umbruchs. Die Türkei hat die Wahl, weiterhin der westlichen Gemeinschaft anzugehören, oder orientierungslos im Nahen und Mittleren Osten für Störpotenzial zu sorgen. Unsere Aufgabe ist es jetzt nicht, das noch zur Eskalation zu bringen, sondern durch vernünftige Diplomatie und auch durch Einwirken auf die Zivilgesellschaft - die Hälfte der Bevölkerung will ja das Referendum nicht – einzuwirken, dass die Bevölkerung dort diesem nicht zustimmt. Deswegen ja auch diese Art und Weise von Erdogan, ständig zuzuspitzen.
Kaess: Ganz kurz noch: Wie soll eine Zusammenarbeit in der NATO überhaupt noch funktionieren, wenn gar kein Vertrauen mehr da ist, so wie Sie das gerade dargestellt haben?
Kiesewetter: Bisher wurde ja verhindert, dass im NATO-Rat über die Rolle und die Entwicklung der Türkei diskutiert wird. Ich denke, dass wir gut beraten sind, dass dieses Thema jetzt auch auf die Tagesordnung der NATO kommt, denn die NATO ist eine Wertegemeinschaft. Die Türkei hat sich bisher in weiten Teilen ihrer Geschichte seit 1949 als Gründungsmitglied der NATO daran gehalten. Und das muss innerhalb der NATO thematisiert werden. Wir können auf der anderen Seite – und ich warne vor Populismus – nicht darauf bauen, dass, wenn die Türkei die NATO verlässt, alles gut ist, sondern dann wird die Türkei noch unsteuerbarer. Das heißt, wir müssen im NATO-Rat mit der Türkei darüber diskutieren. Es ist unbedingt an der Tagesordnung. Denn wir können uns nicht leisten, auch was die Glaubwürdigkeit der NATO angeht, dass wir ein Mitgliedsland haben, das die Todesstrafe einführt, das die Freiheit einschränkt und dann noch auf NATO-Beistand sich beruft.
Kaess: ... sagt Roderich Kiesewetter von der CDU. Er ist Obmann im Auswärtigen Ausschuss. Danke schön für Ihre Zeit heute Morgen.
Kiesewetter: Vielen Dank, Frau Kaess.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.