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Über das Finanzwesen
Die Erfindung des Geldes

"The Invention of Money": In seinem Essay über die Geschichte des Finanzwesens blickt John Lanchester auf Erfindungen zurück, die die Wirtschaft bis heute prägen, und dokumentiert die fortwährende Suche der Menschen nach neuen Formen von Geld.

Von John Lanchester |
Was genau ist eigentlich Geld, wie definiert sich sein Wert und wer garantiert diesen? In Krisenzeiten wird hinterfragt, was sonst als selbstverständlich scheint in Hinblick auf die Existenz von Zahlungsmitteln und die Rolle der Banken im Wirtschaftsgeschehen. Dabei sind die "Instrumente des Handels und der Finanzen Erfindungen, Produkte der menschlichen Vorstellungskraft", die stark vom Vertrauen in sie abhängig sind, so John Lanchester in seinem Essay über die "Erfindung des Geldes". Diese faszinierende Zeitreise durch die Evolution des Finanzsystems schlägt einen Bogen von Marco Polos Berichten zur Einführung des Papiergeldes unter Kublai Khan im 13. Jahrhundert, über König Wilhelm III. und die Geburtsstunde der Bank of England bis hin zur Etablierung von Kryptowährungen wie Bitcoin oder Facebooks Libra.
Die Idee der Zentralbank und des Finanzsystems
Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf zwei prominenten Protagonisten der Geschichte des Geldes. Da ist zum einen der viktorianische Bankier und Finanztheoretiker Walter Bagehot, der die Idee der Zentralbank vorantrieb und großen Einfluss auf die englische Politik hatte. Und zum anderen der schottische Nationalökonom John Law, der - um die französische Krone vor dem Bankrott zu bewahren - für Ludwig XIV. ein Finanzsystem errichtete, das dem heutigen gar nicht so unähnlich ist und der als reichster Unternehmer seiner Zeit galt, bevor das Glück ihn wieder verließ.
Der britische Schriftsteller und Journalist John Lanchester wurde 1962 in Hamburg geboren und wuchs in Ostasien auf, bevor er in England zunächst als Redakteur (Penguin Books, später London Review of Books) arbeitete; 1996 erschien sein erster Roman "The Debt to Pleasure", der zahlreiche Auszeichnungen erhielt. In seinen späteren Werken wandte er sich verstärkt dem Thema Finanzen und den Ursachen und Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise zu. Der Essay "The Invention of Money" erschien im August 2019 erstmals im "New Yorker".

Geld aus Blättern des Maulbeerbaums
Als der venezianische Kaufmann Marco Polo in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nach China kam, sah er dort viele Wunder: Schießpulver und Kohle, Brillen und Porzellan. Was ihn jedoch mit am meisten erstaunte, war eine neue Erfindung, die Kublai Khan, ein Enkel des großen Eroberers Dschingis, 1260 eingeführt hatte - das Papiergeld. Polo konnte seinen Augen kaum trauen, als er sah, was der Khan tat:
"Er erschafft sein Geld nach seinen eigenen Vorstellungen. Er lässt eine bestimmte Rinde entnehmen, nämlich die des Maulbeerbaums, dessen Blätter die Nahrung der Seidenraupen sind. Diese Bäume sind so zahlreich, dass sie ganze Stadtteile füllen.
Entnommen wird eine Art feiner, weißer Bast oder eine Haut, die zwischen dem Holz des Baums und der dicken äußeren Rinde liegt. Hieraus entsteht etwas, das einem Blatt Papier ähnelt, jedoch schwarz ist.
Sind diese Blätter präpariert, werden sie in Stücke unterschiedlicher Größe geschnitten und mit so viel Feierlichkeit und Autorität ausgegeben, als seien sie aus reinem Gold oder Silber. Jedes wird von einer Vielzahl von designierten Beamten mit Namen und Siegel versehen.
US-Dollar-Scheine
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Und wenn alles ordentlich vorbereitet ist, bestreicht der vom Khan bevollmächtigte Hauptmann das ihm anvertraute Siegel mit Zinnober und drückt es auf das Papier, so dass die Form des Siegels in roter Farbe aufgedruckt zurück bleibt. Das Geld ist somit echt, und jeder, der es fälscht, wird mit dem Tode bestraft."
Wer keine Geldscheine akzeptierte, wurde getötet
Dieser letzte Punkt war von großer Bedeutung. Das Problem bei vielen neuen Geldformen ist, dass die Menschen zögern, sie anzunehmen. Dschingis Khans Enkel hatte dieses Problem nicht. Er ergriff Maßnahmen, um die Echtheit seiner Währung zu gewährleisten. Und wer sie nicht nutzte, wer sie nicht in Zahlung nehmen wollte, oder es vorzog, Gold oder Silber, Kupfer oder Eisenbarren oder Perlen oder Salz oder Münzen oder eine der älteren in China üblichen Zahlungsformen zu verwenden, wurde getötet. Damit war die Frage der Akzeptanz geklärt.
Marco Polo war zu Recht erstaunt. Die Instrumente des Handels und der Finanzen sind Erfindungen, so wie es Kunstwerke und wissenschaftliche Entdeckungen sind - Produkte der menschlichen Vorstellungskraft. Papiergeld, gestützt von der Autorität des Staates, war eine erstaunliche Innovation, die die Welt veränderte. Was leicht in Vergessenheit gerät. Wir gewöhnen uns an die Art und Weise, wie wir unsere Rechnungen bezahlen und für unsere Arbeit entlohnt werden, an den Tanz der Zahlen auf unseren Konten und Kreditkartenabrechnungen.
Suche nach neuen Geldarten nicht abgeschlossen
Erst wenn das System einknickt, beginnen wir uns zu fragen, warum diese Dinge das wert sind, was sie wert zu sein scheinen. Die Kreditklemme im Jahr 2008 löste eine Panik aus, als sich die Menschen im gesamten Finanzsystem fragten, ob die Zahlen in den Bilanzen das bedeuten, was sie bedeuten sollten. Als direkte Reaktion auf diese Krise veröffentlichte Satoshi Nakamoto - wer auch immer hinter diesem Pseudonym steckt - im Oktober 2008 jenes Whitepaper, das die Idee von Bitcoin skizzierte, einer neuen Form von Geld, gestützt ausschließlich auf die Macht der Kryptographie.
Die Suche nach neuen Geldarten ist nicht abgeschlossen. Im Juni dieses Jahres präsentierte Facebook "Libra", eine globale Währung auf Basis der Bitcoin‑Architektur. Der Gedanke dahinter ist, dass der Wert des neuen Geldes nicht von der Druckgenehmigung eines Staates abhängt, sondern von einer Kombination aus Mathematik, globaler Verbundenheit und dem Vertrauen in das größte soziale Netzwerk der Welt. Dies ist zumindest der Plan. Aber wie sicher ist er? Woher wissen wir, was Libras oder Bitcoins wert sind oder ob sie überhaupt etwas wert sind? Die Gefolgsleute von Satoshi Nakamoto würden sofort die Gegenfrage stellen: Woher weißt du, was das Geld in deiner Tasche wert ist?
Das Problem der Finanzierung des Krieges
Der gegenwärtige Zeitpunkt der Finanzinnovationen hat daher einige Ähnlichkeiten mit der Zeit, als das Geld in der Form, wie wir es heute kennen, geschaffen wurde - eine Papierwährung, gestützt durch staatliche Garantien. Der Held dieser Herkunftsgeschichte ist der Nationalstaat. In jeder guten Geschichte will der Held etwas erreichen, steht aber vor einem Hindernis. Im Falle des Nationalstaates will er Krieg führen, weiß diesen jedoch nicht zu finanzieren.
Das Kapital: Wert und Anti-Wert - Krisen sind immer überall möglich
Das Kapital, das im Mittelpunkt unseres ganzen Wirtschaftssystems steht, muss ständig in Bewegung sein. Ist es das nicht, dann drohen Störungen und Krisen, wie der amerikanisch-britische Marxist und Sozialtheoretiker David W. Harvey erläutert.

Das moderne System zur Bewältigung dieses Problems entstand in England während der Herrschaft von König Wilhelm. Der niederländische König, ein Protestant, war 1689 auf den englischen Thron gesetzt worden, um den inakzeptabel-katholischen König Jacob II. zu ersetzen. Wilhelm war ein fähiger Herrscher, aber er trug schweren Ballast mit sich - einen langwierigen Streit mit König Ludwig XIV. von Frankreich. Bald darauf waren England und Frankreich in eine neue Phase dieses Streits verwickelt, der heute als Teil eines jahrhundertelangen Konflikts zwischen den beiden Ländern angesehen wird. Damals jedoch bezeichnete man ihn unter anderem als Neunjährigen Krieg oder auch "King William's War". Dieser Krieg stellte die Herrscher vor ein altbekanntes Problem: Wie sollten sie ihn finanzieren?
Banknoten, so gut wie Goldgeld
König Wilhelms Regierung wartete mit einer neuartigen Idee auf. Man wollte eine hohe Geldsumme leihen und Steuern verwenden, um die anfallenden Zinsen im Laufe der Zeit zurückzuzahlen. 1694 nahm die englische Regierung 1,2 Millionen Pfund zu einem Satz von acht Prozent auf, finanziert durch Steuern auf Schiffsladungen, Bier und Spirituosen. Im Gegenzug durften sich die Kreditgeber als neue Gesellschaft, die Bank of England, zusammenschließen. Die Bank hatte das Recht, Goldeinlagen aus der Öffentlichkeit anzunehmen und - eine zweite große Innovation – "Banknoten" als Quittung für die Einlagen zu drucken. Diese neuen Einzahlungen wurden dann an den König verliehen. Abgesichert durch die Einlagen waren diese Banknoten so gut wie Goldgeld und wurden schnell zu einer allgemein akzeptierten neuen Währung.
Dieses System wird noch immer angewendet, nicht nur in England. Seine allgemeine Akzeptanz war jedoch keine ununterbrochene Erfolgsgeschichte. Einige Schwierigkeiten werden in James Buchans faszinierender Biographie "John Law: A Scottish Adventurer of the Eighteenth Century" beschrieben. Law wurde in Edinburgh als Sohn eines Goldschmieds geboren, der später zum Bankier umschulte. Er zog 1692 nach London, wo er Zeuge eines wundersamen neuen Regierungskonzepts wurde, finanziert durch langfristige Schulden und Papiergeld. Einer der wichtigsten Effekte dieses Papiergeldes war die Art und Weise, wie es die Kreditaufnahme und -vergabe sowie den Handel stimulierte. Law verfügte über ein instinktives Verständnis von Finanzen gepaart mit einer Liebe zum Risiko, und es ist verlockend, sich vorzustellen, was passiert wäre, hätte er sich in den Dienst der englischen Regierung gestellt. Doch am 9. April 1694 nahm das Schicksal eine andere Wendung.
Law studierte Optionshandel und Leerverkauf
Law tötete einen Mann in einem Duell oder einer Schlägerei - der Unterschied, wie Buchan erklärt, war nicht klar auszumachen. "Duelle waren damals nicht die Turniere des Mittelalters oder die Ehrensache späterer Jahre, die durch schriftliche Verhaltenskodizes geregelt und im Morgengrauen mit Pistolen auf einer verschneiten Waldlichtung vollzogen wurden", so Buchan. Sie wurden umgehend "mit Rapier oder Kurzschwert in erhitztem oder kaum abgekühltem Gemüt durchgeführt. Oft vergingen kaum Sekunden, bis die Waffen gezogen wurden und der Unterschied zu einem Mordanschlag oder Raubüberfall war kaum auszumachen". Law wurde in Haft genommen, ihn erwartete ein Mordprozesses. Wie es für Gefangene mit entsprechenden Mitteln damals üblich war, nutzte er seine Verbindungen, um zu entkommen und floh als Gesetzloser ins Ausland.
Die nächsten Jahre trieb er sich in Europa herum, stellte Nachforschungen über Glücksspiel und Finanzen an und schrieb ein kurzes Buch "Money and Trade Considered" (auf Deutsch unter dem Titel "Gedanken vom Waren- und Geldhandel" erschienen), das in vielerlei Hinsicht moderne Geldtheorien vorwegnimmt. Und er wurde reich. Wie Kleinfinger in "Game of Thrones" scheint Law einer jener Männer gewesen zu sein, die die Gabe hatten, "zwei goldene Drachen aneinander zu reiben, um einen dritten zu züchten". Er kaufte ein elegantes Haus in Den Haag und studierte die zahlreichen niederländischen Innovationen im Finanzbereich wie zum Beispiel Optionshandel und Leerverkauf. 1713 kam er nach Frankreich. Dort plagte man sich mit Schwierigkeiten, für deren Lösung Law genau der richtige Mann war.
1715 war die französische Regierung pleite
Frankreichs König Ludwig XIV. war der mächtigste Monarch Europas, aber seine Regierung war von Schulden gelähmt. Zu den üblichen Kriegskosten kamen haushohe Ausgaben für Annuitäten: lebenslange Zinszahlungen zur Abwicklung von Altkrediten. Bis 1715 nahm der König 165 Millionen Livres aus Steuern und Zöllen ein. Buchan rechnet es uns vor: "Ausgaben für die Armee, die Paläste, den Hof und die öffentliche Verwaltung ließen nur 48 Millionen Livres übrig, um Zinszahlungen für die Schulden zu tätigen, die die ruhmreichen Könige der Vergangenheit hinterlassen hatten." Leider beliefen sich die jährlichen Kosten für Renten und Löhne für lebenslange Anstellungen auf 90 Millionen Livres. Darüber hinaus gab es ausstehende Schuldscheine in Höhe von 900 Millionen Livres aus diversen vergangenen Kriegen. Würde der König keine Zinsen auf diese Schuldscheine zahlen, so könnte er kein weiteres Geld leihen. Diese Zinsen würden sich jedoch auf weitere 50 Millionen Livres pro Jahr belaufen. Die französische Regierung war pleite.
Im September 1715 starb Ludwig XIV., und sein Neffe, der Herzog von Orléans, wurde als Regent des minderjährigen Königs Ludwig XV. an die Spitze des Landes gestellt. Der Herzog war schon etwas Besonderes. "Er war von Geburt an gelangweilt", bemerkte der große Tagebuchschreiber Saint-Simon, ein Freund des Herzogs schon aus Kindertagen. "Leben konnte er nur, wenn er sich in die Geschäfte stürzte, an der Spitze einer Armee, bei der Verwaltung ihrer Versorgung oder im Glanz und Funkeln einer Ausschweifung." Angesichts der Finanzkrise des französischen Staates begann der Herzog, auf die Ideen von John Law zu hören. Diese Ideen - heutzutage mehr oder weniger konventionelle Politik - waren nach den Standards des 18. Jahrhunderts völlig neuartig.
Vorläufer des heute üblichen "Mindestreserve-Systems"
Nach Laws Meinung war das Wichtigste am Geld nicht sein inhärenter Wert. Er glaubte nicht, dass es einen solchen hätte. "Geld ist nicht der Wert, gegen den Waren ausgetauscht werden, sondern der Wert, mit dem sie ausgetauscht werden", schrieb er. Das heißt, Geld ist das Mittel, mit dem man ein Ding gegen ein anderes Ding eintauscht. Das Entscheidende, so Law, sei, Geld in die Wirtschaft fließen zu lassen und es zur Stimulierung von Handel und Gewerbe zu nutzen. Wie Buchan schreibt: "Das Geld muss in den Dienst des Handels gestellt werden, und es liegt im Ermessen des Prinzen oder des Parlaments, den Geldfluss je nach den Bedürfnissen des Handels zu variieren. Eine solche Idee - in den letzten fünfzig Jahren als konventionell, vielleicht gar langweilig angesehen - galt im siebzehnten Jahrhundert als teuflisch."
Dieser Gedanke führte Law zur Idee einer neuen französischen Nationalbank, die Gold und Silber von der Bevölkerung annahm und in Form von Papiergeld wieder ausgab. Die Bank nahm auch Einlagen in Form von Staatsschulden an und erlaubte es den Menschen geschickt, den vollen Wert jener Schulden einzufordern, die mit hohen Rabatten gehandelt wurden: Wer ein Stück Papier besaß, das besagte, der König schuldete einem 1.000 Livres, konnte dafür auf dem freien Markt nur, sagen wir, 400 Livres bekommen. Laws Bank würde jedoch die gesamten 1.000 Livres in Papiergeld gutschreiben. Damit übertrafen die Papierwerte der Bank bei weitem das eigentliche Gold, das sie auf Lager hatte und machten sie zu einem Vorläufer des heute üblichen "Mindestreserve-Systems". Einer Schätzung nach hatte Laws Bank etwa viermal so viel Papiergeld im Umlauf, wie ihre Gold- und Silberreserven wert waren. Nach modernen Bankenstandards ist dies eine zurückhaltende Vorgehensweise. US-Banken mit einem Vermögen von unter 124 Millionen Dollar sind verpflichtet, eine Barreserve von nur drei Prozent zu halten.
Schulden durch "neues Finanzierungssystem" weggefegt
Das neue Papiergeld hatte eine reizvolle Eigenschaft: Es wurde gegen ein garantiertes Gewicht an Silber gehandelt und konnte im Gegensatz zu Münzen nicht eingeschmolzen oder abgewertet werden. Bald darauf wurden die Banknoten zu einem höheren als ihrem Silberwert gehandelt, und man ernannte Law zum "Contrôleur général des finances", also zum obersten Finanzkontrolleur. Nun zuständig für die gesamte französische Wirtschaft, überzeugte er die Regierung, ihm ein Handelsmonopol mit den französischen Siedlungen in Nordamerika in Form der Mississippi Company zu gewähren. Law finanzierte das Unternehmen auf die gleiche Weise, wie er die Bank finanziert hatte, indem Einlagen aus der Öffentlichkeit gegen Aktien eingetauscht wurden. Dann nutzte er den Wert dieser Aktien, die von 500 auf 10.000 Livres in die Höhe schossen, um die Schulden des französischen Königs aufzukaufen. Die französische Wirtschaft, die auf all diesen Zinsen, Annuitäten und Lohnzahlungen aufgebaut war, wurde weggefegt und durch das ersetzt, was Law sein "neues Finanzierungssystem" nannte. Die Verwendung von Gold und Silber wurde verboten. Das Papiergeld wurde zur Pflichtwährung, untermauert ausschließlich durch die Autorität der Bank. Man schätzte, dass das Unternehmen in Hochzeiten über die doppelte Produktionskapazität Frankreichs verfügte. Wie Buchan betont, ist dies die weltweit höchste Bewertung, die ein Unternehmen je erreicht hat.
Die Mississippi Company begann, Gewinne zu erzielen
Das Ganze endete in einer Katastrophe. Die Bevölkerung begann sich zu fragen, ob diese mit einem Mal so lukrativen Investitionen wirklich das wert waren, was sie wert sein sollten. Erst machte sich Sorge breit, dann gerieten die Menschen in Panik. Schließlich verlangten sie ihr Geld zurück und begannen zu revoltieren, als man ihnen die Rückzahlung verweigerte. Gold und Silber wurden wieder als Währung eingesetzt, das Unternehmen wurde aufgelöst, und Law nach 145 Tagen im Amt entlassen. Er war ruiniert. 1720 floh er aus Frankreich, zog von Brüssel nach Kopenhagen, weiter nach Venedig, von dort nach London und wieder zurück nach Venedig. Dort starb John Law 1729, völlig mittellos.
Die große Ironie seines Leben ist, dass seine Ideen aus heutiger Sicht weitgehend richtig waren. Die Schiffe, die im Namen seiner Mississippi Company ins Ausland gingen, begannen, Gewinne zu erzielen. Ein Wirtschaftsprüfer, der die Bücher durchsah, kam zu dem Schluss, dass das Unternehmen komplett solvent war. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass die Ländereien, die das Unternehmen in Amerika besaß, heute Billionen von Dollar an wirtschaftlichem Wert produzieren.
Risiken durch unkontrollierbare Kredite unterschätzt
Heute leben wir in einer Version des Law'schen Systems. Jede Industrienation hat eine Zentralbank, die Papiergeld ausgibt, die Kreditversorgung im Interesse des Handels manipuliert, Mindestreserven einsetzt und Aktiengesellschaften mit Dividendenzahlungen ausstattet. All dies brachte Law innerhalb eines kurzen Zeitraums nach Frankreich. Sein großer und wahrscheinlich unvermeidlicher Fehler war es, die Volatilität zu unterschätzen, die seine Erfindungen mit sich brachten, insbesondere die Risiken, die durch unkontrollierbare Kredite entstehen können.
Die Jahre seines herausragenden Erfolgs in Frankreich hinterließen nur zwei Denkmäler. Eines wurde vom Herzog von Bourbon geschaffen, der seine Anteile an der Firma einlöste und den unerwarteten Gewinn zum Bau der "Großen Stallungen" von Schloss Chantilly nutzte. "John Law hatte die Vision einer gut ernährten, arbeitenden Bevölkerung, deren Vorratsspeicher gefüllt waren mit in- und ausländischen Waren", bemerkt Buchan, "Sein Denkmal ist eine Kathedrale für das Pferd." Laws zweites Vermächtnis ist das Wort "Millionär", das erstmals in Paris geprägt wurde, um die frühen Begünstigten seiner umwerfenden Ideen zu beschreiben.
Bagehot als geistiger Vater der Bankenrettungen von 2008
Aber wie wurden diese einst so kühnen Ideen zum Bestandteil unserer modernen Finanz- und Regierungsstrukturen? Durch Versuch und Irrtum. Es wäre falsch anzunehmen, dass kluge Köpfe alle Lösungen auf einen Schlag gefunden und implementiert hätten. Das moderne Wirtschaftssystem entwickelte sich, und Teil der Evolution sind Innovationen, Wiederholungen, Misserfolge und Sackgassen. Bezogen auf den Finanzbereich sprechen wir von Pleiten, Panik und Abstürzen, denn, wie James Grant in seiner anregenden neuen Biographie des viktorianischen Bankiers und Journalisten Walter Bagehot schreibt: "Im Finanzwesen und in der Wirtschaft treten wir immer wieder auf die gleichen Harken".
Bagehot wusste alles über diese Harken. Er wuchs im Westen Englands in einer Familie auf, die enge Verbindungen zu der gut geführten örtlichen Bank - Stuckey's - pflegte. Nach dem Studium und ersten Erfahrungen als Anwalt wandte er sich dem Journalismus und dem Bankwesen zu, wobei letztere Karriere die erste finanzierte. Er heiratete die Tochter von James Wilson, der 1843 die Zeitschrift "The Economist" gegründet hatte. Bagehot wurde deren dritter Herausgeber und lebte ein Leben, das von außen betrachtet recht ereignislos schien. Das Interesse an Bagehot rührt von seinem schillernden, witzigen und wortgewandten Schreibstil, insbesondere in seinen beiden Schlüsselwerken "The English Constitution" (1867), das die ungeschriebene Ordnung der politischen Institutionen Großbritanniens zusammenfasst, und "Lombard Street" (1873), welches erklärt, wie Banken funktionieren. Diese Bücher sind auch heute noch lesbar, waren aber vor allem für Experten von Interesse, bis Ben Bernanke Bagehot als entscheidenden Einfluss auf die Idee hinter den Bankenrettungen des Jahres 2008 nannte. Dies führte zu einem wieder auflebenden Interesse und schließlich zur Veröffentlichung von James Grants Buch "Walter Bagehot: The Life and Times of the Greatest Victorian."
Der gepflegte Eindruck der Seriosität
Bagehot hier als "greatest" - also den großartigsten - zu bezeichnen ist hochgegriffen, zumal Grant - unter anderem Gründer der Zeitschrift "Grants Interest Rate Observer" - deutlich macht, dass Bagehot ein schamloser Frauenfeind, Rassist und ein vollendeter Heuchler war. Die letzte Eigenschaft war aus journalistischer Sicht sehr nützlich. Bagehot war brillant darin, die Seiten zu wechseln, ohne jemals zuzugeben, dass er seine Meinung geändert hatte. Einen Sieg der Konföderation im Amerikanischen Bürgerkrieg zum Beispiel bezeichnete er als "eine sichere Tatsache" und Präsident Lincoln als "unehrlich und dumm". Eine feste Ansicht, die Bagehot nicht davon abhielt, nach dem Sieg der Union zu erklären, dass "Panik den eisernen Mut der amerikanischen Demokratie nicht für einen Moment zunichtemachte". Seine anschließende Elegie für Lincoln ist ein wahrhaftig schöner Text: "Schwierigkeiten brachten ihn nicht aus der Ruhe, wie sie es bei den meisten Männern tun. Stattdessen verstärkten sie sein Vertrauen in die Geduld. Widerstand verursachte ihm keine Magengeschwüre, er machte ihn nur toleranter und entschlossener."
In gewisser Weise sind diese großspurige Heuchelei und der Mangel an Prinzipien der wahre Kern Bagehots. Seine Arbeit an der englischen Verfassung konzentrierte sich auf ein Paradoxon: Glanz und Gloria der Monarchie hätten eine wichtige Funktion, gerade weil der Monarch keine echte Macht hatte, so Bagehot. Seine Arbeit über das Bankwesen konzentrierte sich ebenfalls auf den Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit. Insbesondere auf die Kluft zwischen dem von viktorianischen Banken gepflegten Eindruck der Gediegenheit und Seriosität und der offensichtlichen Tatsache, dass sie immer wieder zusammenbrachen und Pleite gingen. In den Jahren 1797, 1825, 1847 und 1857 gab es gewaltige Bankkrisen, alle verursacht durch den ältesten und trivialsten Grund für einen Bankrott im Finanzwesen: das Verleihen von Geld an Menschen, die es nicht zurückzahlen können.
Gold - das wahre Geld
Theoretisch wurde das gesamte in der Zeit des viktorianischen Bankwesens im Umlauf befindliche Geld durch Goldeinlagen gestützt. Ein Pfund Papiergeld hatte einen Gegenwert von 123,25 Gran Gold. In der Praxis wurde dies aber nicht umgesetzt. Es gab einige Anlässe - in der Regel im Zusammenhang mit den Kosten des alten Klassikers, dem Krieg gegen Frankreich - zu denen die Regierung die Konvertierbarkeit von Papiergeld in Gold aussetzte. Darüber hinaus konnten die Banken ihr eigenes Geld drucken. Sie hatten oft nicht genug Gold, um den Wert ihrer Banknoten zu erhalten, falls Kunden zur Bank kamen und einen Umtausch forderten. Dieses Phänomen, der gefürchtete "Sturm auf die Bank", war ein direktes Resultat des von John Law prophezeitem Mindestreserve-Systems. Ein System, in dem Banken keine Barreserven halten, die ihren ausstehenden Krediten entsprechen, kann nur so lange gut gehen, bis zu viele Kunden gleichzeitig zur Bank kommen und ihr Geld gegen seinen Goldwert umtauschen wollen. Leider geschah dies immer wieder, und die Banken gingen immer wieder Pleite. Hier ging es um dieselben Themen, die schon John Laws Karriere prägten und um die man sich auch heute wieder Gedanken macht: Was ist Geld? Woher leitet es seinen Wert ab? Und schließlich, wer garantiert den Wert von Schulden und Krediten?
Bagehot hatte Antworten auf all diese Fragen. Er meinte, dass Gold, und ausschließlich Gold, das wahre Geld sei. Alle anderen Währungsformen waren lediglich unterschiedliche Arten von Krediten. Diese waren für eine funktionierende Wirtschaft unerlässlich und verhalfen allen zu Reichtum, aber letztendlich war per strenger Definition nur Gold ein gesetzliches Zahlungsmittel: Geld, das bei der Begleichung einer Schuld nicht verweigert werden kann. (Dass es sich bei der US‑Währung um ein gesetzliches Zahlungsmittel handelt, macht diese für jeden auf den ersten Blick sichtbar. Es steht deutlich auf der Vorderseite der Geldscheine.)
Je weniger Eigenkapital desto größer die Gewinne
Bagehot liebte Paradoxa, und dies war eines. Jeder Kredit war für die Wirtschaft unerlässlich, aber es war nicht das Geld, denn es war ja kein Gold, das den Wert aller Dinge untermauerte.
Aber, wo war nun das ganze Gold? In der Bank of England. Die Rolle dieses einst privaten Unternehmens hatte sich weiterentwickelt. Bagehot meinte, es sei die Aufgabe der Bank of England, den Goldschatz zu lagern, so dass all die kleineren Banken dies nicht tun mussten. Stattdessen nahmen diese kleineren Banken Einlagen auf, gewährten Kredite und gaben Papiergeld aus. Wenn sie in Schwierigkeiten gerieten - was regelmäßig der Fall war -, würde die Großbank sie retten. Und warum sollte nicht jede Bank ihr eigenes Gold lagern und sich um ihre eigene Solvenz kümmern? Bagehot, Bankier und Schriftsteller, schrieb ganz offen über die Gründe. "Die Hauptquelle für die Rentabilität des etablierten Bankwesens ist die Verknappung des erforderlichen Kapitals". Heutzutage sprechen wir in diesen Fällen von der Eigenkapitalrendite der Banken. Je weniger Eigenkapital die Bank als Sicherheitsmarge behalten musste, desto mehr Geld konnte sie verleihen und desto größer waren ihre Gewinne. Gold war unerlässlich, um die Stabilität der Währung zu garantieren, aber die Bankiers wollten nicht, dass es wertvollen Platz in ihren Bilanzen einnahm. Dies überließen sie lieber der Regierung, vertreten durch die Bank of England.
Moderne Maschinerie des verstaatlichten finanziellen Risikos
Noch heute haben wir eine Version dieses Systems, in der staatliche Garantien die Rentabilität der Banken untermauern. Die entscheidende Rolle der Zentralbank besteht darin, in Krisenzeiten freizügig Geld zu verleihen - als sogenannter "Kreditgeber der letzten Instanz". Grant, der für sich "eine libertäre Voreingenommenheit" geltend macht, sieht diese Doktrin als die Saat für "Einlagensicherung, den Grundsatz der Systemrelevanz und den Rest der modernen Maschinerie des verstaatlichten finanziellen Risikos".
Wie John Law und Walter Bagehot bin auch ich der Sohn eines Bankmitarbeiters und als solcher hatte ich die typische Frage eines Bankierssohnes im Kopf, als ich Grants unterhaltsames Buch las: Was wurde aus Bagehots Bank? Die Antwort: Stuckey's wurde 1909 von einer anderen Bank namens Parr's übernommen. Parr's war Teil der größeren National Westminster Bank, die im Jahr 2000 von der Royal Bank of Scotland übernommen wurde. Die R.B.S., wie sie in Großbritannien etwas unterkühlt genannt wird, wuchs durch Übernahmen und wurde in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts zum größten Unternehmen der Welt, gemessen an der Größe ihrer Bilanz.
Das Wissen der Verantwortlichen
Dann kam die Kreditklemme und der altvertraute Moment - im neuen Gewand -, als sich herausstellte, dass die Dinge nicht den Wert hatten, den sie tatsächlich haben sollten. Den Angaben ihres Direktors nach befand sich die größte Bank der Welt nur "ein paar Stunden" vor dem vollständigen Zusammenbruch. Das Ergebnis war ein gewaltiges Rettungspaket und die Verstaatlichung der R.B.S., verbunden mit Kosten für den britischen Steuerzahler von 45 Milliarden Pfund. Nicht vieles an dieser Geschichte hätte John Law oder Walter Bagehot überrascht. Womöglich würden sich aber beide - der Mann, der fast ein Land in den Bankrott getrieben hätte, ebenso wie der oberste Verfechter der Bankenrettung - darüber amüsieren, wie wenig wir dazu gelernt haben. Und bezüglich der Frage, was mit den für den Absturz verantwortlichen Bankiers geschehen soll, hätte Kublai Khan womöglich die ein oder andere Idee gehabt.
(Whlg. vom 10.11.2019)