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Über Eliten (4/4)
Fatal Attraction - Silicon Valley trifft Donald Trump

Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 hat sich das Silicon Valley mit großer Geschlossenheit gegen Donald Trump gestellt. Umso konsternierter war man, als die Köpfe der Branche dem neuen Präsidenten ihre Aufwartung machten - allen voran PayPal-Gründer Peter Thiel, Mitbegründer des Big-Data-Unternehmens Palantir und mittlerweile ein Berater Trumps.

Von Adrian Daub |
    US-Präsident Donald Trump im Oval Office des Weißen Hauses.
    US-Präsident Donald Trump im Oval Office des Weißen Hauses. (AFP - Brendan Smialowski)
    Das hat einerseits das Selbstverständnis der sogenannten Tech-Branche empfindlich getroffen, passt andererseits aber ins Bild. So sehr sich die Industrie, Apple, Facebook, Microsoft, IBM, als Vorkämpfer für eine offene und tolerante Welt sieht: Sie tendiert zu dem Glauben, solche Offenheit sei ein Selbstläufer, unabhängig dessen, wer ihre Technologien einsetzt und wozu.
    Das haben sich Autokraten in der ganzen Welt seit Jahren zunutze gemacht, nun eben Trump. Und der eine oder andere hat wohl gar nicht so heimlich eine gewisse Resonanz mit Trump gespürt: Er schmeichelt fatalerweise Silicon Valleys Selbstwahrnehmung als anti-elitäre Elite.
    Adrian Daub lebt in San Francisco, lehrt Literaturwissenschaft an der Stanford-Universität und schreibt daneben Kritiken und Essays für zahlreiche Magazine und Zeitschriften. In der Oxford University Press veröffentlichte er die Studien "Four-Handed Monsters: Four-Hand Piano Playing and Nineteenth Century Culture" sowie "The James Bond Songs: Pop Anthems of Late Capitalism". Im Hanser Verlag erschien sein Buch "POP-UP NATION - Innenansichten aus dem Silicon Valley".

    Fatal Attraction - Silicon Valley trifft Donald Trump
    Fällt heute der Begriff der Elite in den USA, dann ist er fast immer abwertend gemeint. Insbesondere wenn Republikaner für ein Publikum im "Heartland" der Vereinigten Staaten über die Bevölkerung der Küsten schimpfen. Von Demokraten wie George Clooney oder Hillary Clinton behaupten die Konservativen, dass sie einer Elite angehörten, die vom Volk nicht legitimiert sei. Diese Eliten versuchten, den sogenannten "wahren Amerikanern" ihr Denken, ihre Agenda aufzuzwingen.
    Donald Trump mokiert sich über die "Hollywood-Elite" oder spricht gleich von der "arroganten Elite." Sarah Palin spricht gern von der "Medien-Elite". Und die konservativen einflussreichen, meinungsbildenden Journalisten reden ständig von der "Küsten-Elite."
    Elite? Das sind prinzipiell die anderen. In den USA kann man einen High School-Abschluss an der Phillips Academy Andover machen, dann in Harvard und Yale studieren, ohne jemals mit dem Begriff "Elite" in Berührung zu kommen. Elite sein und gleichzeitig anti-elitär auftreten, das konnte George W. Bush. Der Elitenbegriff ist in den heterogenen USA noch schwammiger in Gebrauch als in Europa.
    "Power-Eliten", die der Soziologe C. Wright Mills 1957 beschrieb
    Als "Boston Brahmins" (die Brahmanen von Boston) werden die vornehmsten Familien Bostons bezeichnet. Sie führen ihre Abstammung auf die puritanischen Gründer der Kolonie Massachusetts zurück und bilden bis heute eine Art Adel Neuenglands. Sie gehören zu den "Power-Eliten," die der Soziologe C. Wright Mills 1957 in den USA beschrieb. Wright Mills beschäftigte sich insbesondere mit den Machtstrukturen moderner Gesellschaften und der Rolle der Intellektuellen in der US-amerikanischen Gesellschaft der Nachkriegszeit. Die von ihm beschriebenen Power-Eliten bildeten laut Mills jeweils so kleine Gruppen, dass sie im öffentlichen Diskurs in einem so großen Land kaum ins Gewicht fallen.
    Der Elitenbegriff richtet sich stark nach kulturellen Einflüssen, nicht so sehr nach der Wirtschaftsmacht. Harvard ist diesem Verständnis nach elitär, Wall Street angeblich nicht. Das kalifornische Silicon Valley, einer der bedeutendsten Standorte der IT- und High-Tech-Industrie weltweit, befindet sich mit seinen Forschungsmillionären und Netznerds innerhalb dieses Diskurses in einer Art Zwischenzustand: Man scheffelt dort viel Geld und baut große Villen, gehört aber zu keiner hergebrachten Elite, selbst nicht der der neuen Trump-Ära. Aber weil es an der politisch eher links orientierten Westküste liegt, stark geprägt vom Geist der Counterculture, der amerikanischen Gegenkultur, gerät das Valley, wie ganz Kalifornien, unter Eliten-"Verdacht". Und das Silicon Valley selbst versteht sich ganz klar als Elite, würde das aber nie und nimmer zugeben.
    Uber-Chef Kalanick 2015: "Wenn Trump gewinnt, ziehe ich nach China"
    Während des Präsidentschaftswahlkampfes 2016 war Silicon Valley nicht gerade Trump-Country. Die Unternehmen dort, zu den bekanntesten gehören Apple, Intel, Google, Adobe, Yahoo, eBay, Hewlett-Packard, Cisco, Facebook, Tesla, Amazon und Dell, spendeten viel Geld an Trumps Kontrahenten, zuerst an Bernie Sanders, dann an Hillary Clinton. Travis Kalanick, Chef des Fahrdienstes Uber, witzelte noch 2015: "...wenn Trump gewinnt, ziehe ich nach China". Der Multimilliardär und Raketenbauer Elon Musk, Chef des Autobauers Tesla, bezeichnete Trump als "die falsche Wahl".
    Dass die Firmen im Silicon Valley im Wahlkampf gegen Trump Stellung beziehen würden, lag auf der Hand, schon aus soziologischen Gründen. Viele ihrer Gründer sind vielleicht nicht gerade links, aber sie sind kosmopolitisch. Viele von ihnen sind selber Einwanderer - Sergey Brin, Präsident von Alphabet Inc., ist in Moskau geboren, Elon Musk, Teilhaber von Pay Pal und Wikipedia, kam erst als Erwachsener aus Südafrika in die USA, Jerry Yang von Yahoo kommt aus Taiwan. Und auch die Belegschaften der Branche sind häufig Neuankömmlinge aus Übersee. Mit Trumps "America First" können sie nur bedingt etwas anfangen.
    Schwer wogen im Wahlkampf die ideologischen Differenzen zwischen den Computernerds und den Abgehängten und Ewiggestrigen, die sich um Trump scharten. Denn die IT-Bastler der in den USA sogenannten Tech-Branche sehen sich, wahrscheinlich nicht zu Unrecht, als Wegbereiter und Vordenker einer Welt ohne Grenzen, als Vorreiter der Globalisierung und Prediger ihrer Segnungen.
    Trumps Weltbild wirkte dem des Silicon Valley diametral entgegengesetzt
    Die Welt des Donald Trump aber besteht aus Grenzwällen und Strafzöllen. Sein Wirtschaftspopulismus feierte im Wahlkampf altbackene Wirtschaftszweige wie die der Stahlkocher und Kohlegruben. Und überhaupt wirkte Trumps gesamtes Weltbild dem des Silicon Valley diametral entgegengesetzt. Allein das "again" in Trumps Mantra "Make America Great Again" richtete sich nostalgisch angehaucht an die Jugendzeit enttäuschter Baby Boomer. Und diese Zeit ist dem jungen Silicon Valley völlig fremd. Hier hat man keine Angst vor der Zukunft, man sehnt sich aus Prinzip nicht zurück.
    Rückwärtsgewandt empfindet man im Silicon Valley auch Trumps Selbstbild als Macher. In dieser unternehmerischen Avantgarde sieht sich niemand als "Macher". Auch der raffgierigste Firmenchef redet gern davon, er habe höhere Aufgaben als die, bloß Geld zu scheffeln. Hier ist man, in einem ständig bemühten Klischee, dabei, die "Welt zu einem besseren Ort machen." Da konnte Trumps prononcierte Weltangst nur auf Unverständnis stoßen.
    Die einzige Schnittmenge zwischen Trump und Silicon Valley war Twitter. Trumps Dauer-Aktivitäten in dem sozialen Netzwerk dürften noch dazu beigetragen haben, dass man ihn in Silicon Valley nicht wirklich ernstnahm. Trump, der bekanntlich keinen PC benutzt und im Rededuell mit Hillary Clinton auf die Computerkenntnisse seines zehnjährigen Sohnes Barron zurückgreifen musste, wirkte wie eine von den sozialen Netzwerken ins Leben gerufene Witzfigur.
    Vergleichsweise starke 18 Prozent stimmten für Trump
    Der Schock war dementsprechend groß, als Trump an die Macht kam. Für ganz Kalifornien, wo er zwar nur etwa ein Drittel der Stimmen holte, aber die insbesondere in der Technologieregion rund um die Bucht von San Francisco. In San Francisco selber stimmten gerade einmal neun Prozent der Wahlberechtigten für Trump, im Silicon Valley immerhin vergleichsweise starke 18 Prozent.
    Im Rest des Landes fand das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Demokraten und Republikanern, zwischen Hillary Clinton und Donald Trump statt. An der kalifornischen Küste war Trump nur der Kandidat einer Splitterpartei. Silicon Valley wähnte sich immer als Vorreiter, stark abgekapselt vom Rest des Landes, aber nicht als Ausnahme. Am 10. November 2016 stand die Zukunftsregion plötzlich als Außenseiter da. Die Bay Area war immer anders, wählte anders als die Mehrheit in den USA, das neue Wahlverhalten Silicon Valleys warf dann doch ein paar Fragen auf. Hier sei man inzwischen zu verkopft, zu reich, abgehoben vom "echten Amerika", kurzum: zu elitär,
    Dass die hier lebenden schwarzen, mexikanischen, arabischen und chinesischen Arbeitnehmer, die Lesben und Transgender-People Nordkaliforniens, einer Elite angehören, dürfte den meisten von ihnen neu gewesen ein. Aber der Vorwurf stand im Raum: Anderssein war elitär, Anderssein war Arroganz.
    Handzahm biederten sich die Firmenchefs dem neuen Machthaber an
    Wie schnell die eigentliche Elite der Region - die Superreichen des Silicon Valley - sich mit dem neuentdeckten "wahren" Amerika arrangierten, war ein Schock für viele Arbeitnehmer des Valleys. Eilig schickten die Vorreiter in Sachen Zukunft, Toleranz und Weltverbesserung im Interesse des Geschäfts Friedenssignale nach Washington. Handzahm biederten sich die vor kurzem noch lautstarken Firmenchefs dem neuen Machthaber an. Während Gymnasiasten in den kalifornischen Städten Palo Alto und Oakland gegen den neu gewählten Präsidenten auf die Straße gingen, während in San Francisco und Portland Randale wütete, während das kalifornische Parlament und sogar die kalifornische Polizei offen erklärte, man werde Trumps Initiativen unterlaufen, ließen die hier beheimateten Tech-Riesen verlautbaren, sie freuten sich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten.
    IBM-Chefin Ginni Rometty ließ keine Woche verstreichen, bevor sie Trump Vorschläge machte, von denen sie glaubte, dass sie ihm helfen würden, seine Visionen zu realisieren. Ehemalige Kritiker wie Elon Musk und Travis Kalanick traten Trumps "economic advisory board" bei - "um ihr spezifisches Wissen" einzubringen, während der Präsident seinen Plan implementiert, Jobs zurückzuholen und Amerika wieder groß zu machen.
    New York, Mitte Dezember 2016. Ein Bild dürfte vielen Arbeitnehmern an der Bucht von San Francisco in unangenehmer Erinnerung sein: An einem Konferenztisch im 25. Stock des Trump Tower saßen Trump, das Trio Ivanka, Eric und Donald Jr., mit einer Anzahl eben noch Trump-kritischer Firmenchefs.
    Ein "Reboot" sei es gewesen, urteilte die Los Angeles Times, ein Neustart. Aber im Grunde genommen war es "business as usual." Denn hier saß ein wichtiger Wirtschaftszweig der USA, was sollte der denn anderes machen, wenn nicht mit der neuen US-amerikanischen Regierung zusammenzuarbeiten?
    PayPal-Gründer Thiel schon während des Wahlkampfes zu Trumps Team gestoßen
    Die Enttäuschung unter den Belegschaften der kalifornischen Tech-Branche darüber zeigte: Man hatte den eigenen Industriezweig immer als unantastbaren Solitär, nicht als einen Industriezweig unter anderen gesehen.
    Hauptfigur dieser Tischrunde war PayPal-Gründer Peter Thiel, der schon während des Wahlkampfes zu Trumps Team gestoßen war. Thiel wiederum saß nun jenen gegenüber, die aus ihrer Abneigung gegen Trump nie einen Hehl gemacht hatten. Neben Elon Musk Jeff Bezos von Amazon, zu dessen Imperium auch die Washington Post gehört, die Trump während des Wahlkampfes besonders hart angegangen war. Sheryl Sandberg, COO von Facebook, deren Bestseller Lean In Manifest eines Silicon Valley-Feminismus sein soll, saß hier dem gegenüber, der das Wort "Pussy-Grabbing" salonfähig gemacht hat. Gequälte Gesichter.
    Larry Page und Eric Schmidt von Google und Apple-Chef Tim Cook hatten sich während des Wahlkampfes nicht so weit aus dem Fenster gelehnt wie Travis Kalanick und Elon Musk. Aber sie hatten auch mehr zu verlieren, da Zollkriege, wie sie Trump vorzuschweben scheinen, ihre Unternehmen besonders hart treffen könnten.
    Interessanterweise war kein Twitter-Vertreter dabei. Die Plattform, die vermutlich mehr zu Trumps Wahl beigetragen hat, als jedes andere Medium, war gar nicht erst eingeladen worden.
    "Ich erzähle Ihnen erst gar nicht, wie viele hundert Anrufe wir empfangen haben," protzte der designierte Präsident, "alle wollten zu diesem Meeting kommen." Nur leeres Getöse von einem, der darauf spezialisiert zu sein scheint? Oder doch ein Zeichen, dass die Kluft zwischen Trump und Tech gar nicht so tief ist?
    Meinungsmix, der sich mal in elitärem Denken, mal mit banalem Populismus äußert
    Das Verhältnis zu Donald Trump versinnbildlicht eine Identitätskrise, die die Tech-Industrie ohnehin durchmacht. Denn so unterschiedlich die Bosse des Silicon Valley und der Präsident vom Trump Tower sonst auch sein mögen: Alle verstehen sich auf eine gewisse Ambivalenz in ihren Auftritten, im Verbreiten eines Meinungsmixes, der sich mal in elitärem Denken, mal mit banalem Populismus äußert. Sie brüsten sich hier mit dem durch eigene Stärke erarbeiteten Status und mimen dort den ganz street-credible gebliebenen Mann aus dem Volk.
    Trump und die Macher aus Mountain View und Palo Alto eint das Misstrauen gegenüber dem Etablierten an sich. Was traditionell ist, ist wert, durcheinandergewirbelt zu werden. "Disruption" heißt das im Silicon Valley. Kurz nach der Amtseinführung referierte Trump über Andrew Jackson, den siebten Präsidenten der USA, als sein neu erkorenes (oder vielleicht überhaupt erst entdecktes) Vorbild. Jackson habe sich politisch durchgesetzt gegen eine "arrogante Elite," so Trump, und setzte hinzu: "Erinnert Sie das an jemanden?"
    Erkannt hat diese Übereinstimmung der Gemüter zuerst Peter Thiel. Der in Frankfurt geborene Milliardär hat sein Geld mit dem Bezahldienst PayPal und frühen Investitionen in Facebook verdient. Er ist ein Produkt des Valleys, aufgewachsen in San Matteo im Norden von Silicon Valley, Studium an der Stanford University, zuerst Philosophie, dann Jura. Thiel vertritt das offenbar Konservative im sonst kulturell liberalen Silicon Valley. Mehr noch als Mark Zuckerberg hat Thiel den Ruf eines Mannes, der das Zeug zu einem James Bond-Bösewicht hat. Anders als Zuckerberg scheint Thiel mit diesem Ruf nicht zu hadern. Mark Zuckerberg und seine Frau Priscilla Chan haben das Ziel, die medizinische Versorgung der Armen zu gewährleisten. Thiel lässt sich unterdessen Fremdblut injizieren, um seinen eigenen Körper zu verjüngen. Thiels Stiftung bezahlt junge Menschen dafür, nicht auf die Uni zu gehen. Thiels "Seasteading Institute" plant im Ozean verankerte Inseln, radikalkapitalistische Exklaven in internationalen Gewässern. Als ihn das Onlinemagazin Gawker 2006 als schwul outete, finanzierte Thiel eine millionenschwere Prozesslawine, die Gawker in die Insolvenz trieb.
    Thiel hat Trumps Kandidatur mit Millionenzahlungen unterstützt
    Was genau Thiel mit Trump verbindet, dessen Kandidatur er mit Millionenzahlungen unterstützt hat, hat allerdings vielfache Spekulationen ausgelöst. Denn die ideologischen Überschneidungen mit Trump sind selbst bei seinem devotesten Jünger in der Tech-Branche relativ bescheiden. Thiel scheint weder Trumps völkischen Konservatismus, noch seinen Ethno-Nationalismus zu teilen. Thiel ist Radikalliberaler, will sagen: Er will die Regierung schrumpfen, Steuern senken, soviel wie möglich, ja im Grunde genommen alles, der unsichtbaren Hand des Marktes überlassen.
    Beim Parteikongress der Republikaner im Juli 2016 hielt Thiel eine der wichtigsten Reden. Kaum jemand aus der Parteielite war gekommen. Die einzigen Prominenten, die bereit schienen, sich mit Trump auf der Bühne zu zeigen, waren mit ihm verwandt. Aber Peter Thiel war da, und gefiel sich offensichtlich in der Pose des "Baumeisters": "Ich baue Unternehmen, und ich unterstütze Menschen, die neue Dinge bauen. Ich bin kein Politiker und Donald Trump ist auch keiner. Er ist ein Baumeister, und es ist Zeit, Amerika neu aufzubauen."
    Viele der Reden damals versuchten Seiten Trumps zu beschwören, die die Medien angeblich verschwiegen. Trump, einer, der für Frauen eintrat. Der die Rechte von Minderheiten achtet. Ein Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit. Schon damals witzelte man, dass man diesen Mister Trump gerne einmal kennenlernen würde, sollte der sexistische Möchtegern-Diktator ihm einmal den Vortritt lassen. Nach knapp drei Monaten Präsidentschaft von Trump könnte man auch sagen: Der Trump, den Tochter Ivanka beim Parteitag in Cleveland vorstellte, war schlicht und einfach Fiktion.
    Böse Zungen mutmaßten, dass Thiel Trump gerade wegen seiner Inkompetenz unterstützt habe
    Was aber ist mit dem Mann, den Peter Thiel damals beschrieb? Thiel beschwor damals das Cleveland seiner Jugend, feierte eine Zeit, in der "die Zukunft sich unendlich anfühlte": Apollo-Programm, Infrastruktur, die Universitäten - Thiel lobte ein Regierungsprojekt nach dem anderen, durchgeführt von Regierungen, die damals noch die höchsten Einkommen mit 90% besteuerten. Besonders radikalliberal klang er dabei nicht.
    Böse Zungen mutmaßten, dass Thiel Trump gerade wegen seiner Inkompetenz unterstützt habe. Dass der Radikalliberale Thiel, dem das Schrumpfen des Staates ein Anliegen ist, in seiner Unterstützung Trumps eine Möglichkeit sah, ein eigenes Ziel zu verfolgen. Doch nun? Warum halfen Mitarbeiter der Thiel Foundation nach der Wahl beim Aufbau der neuen Regierungsmannschaft mit? Warum bezogen mehrere Thiel-Mitarbeiter Büros im Trump Tower und schreiben Reden für Trump?
    Als Region hat sich Kalifornien als Gegengewicht zu Trumps Washington positioniert: Der Staat hat Expertenräte einberufen, um Trumps Politik entgegenzuwirken. Barack Obamas früherer Justizminister Eric Holder wird im Auftrag der Landesregierung versuchen, Trumps neue Vorstellungen von Einwanderungspolitik in Kalifornien zu blockieren. In der Umweltpolitik hat man in Kalifornien vor, an den Pariser Verträgen festzuhalten, auch wenn die Bundesregierung diese fallen lassen sollte. Der Gouverneur des Staates polterte schon, wenn Trump der NASA das Geld für Klimaforschung entziehe, müsse Kalifornien eben seine eigenen Satelliten ins All schießen. Der Staat bezieht gegen den Präsidenten Stellung.
    Das Valley reibt sich zwar prinzipiell an der Hochnäsigkeit des Establishments, sieht aber die eigene Hochnäsigkeit als gerechtfertigt an. Unter wilden Versprechungen, massive Schulden zu machen und sich dafür als Gewinner feiern zu lassen - das könnte man getrost als das Geschäftsprinzip Silicon Valleys bezeichnen.
    So gelang es Travis Kalanick, das Taxi-Unternehmen Uber, das mittlerweile 50 Milliarden Dollar wert sein soll, als Underdog-Firma zu verkaufen, die sich gegen mächtige Eliten - in diesem Fall gegen unterbezahlte städtische Bürokraten und Taxifahrergewerkschaften - durchsetzen müsse.
    Uber-Chef Kalanick: "Ich muss endlich erwachsen werden"
    Im Februar 2017 wurde ein Video bekannt, in dem Travis Kalanick mit einem seiner Uber-Fahrer aneinandergeriet. Dieser beschwerte sich darüber, dass ihn Ubers Preisspielereien in den Konkurs trieben. Kalanick wurde reich, indem er Schlupflöcher des Steuerrechts, die vom Staat bereitgestellte Infrastruktur und die Abhängigkeit seiner pseudo-privatunternehmerischen Fahrer ausnutzte. Seinem Fahrer sagte er ins Gesicht: "Wissen Sie, manche Leute wollen einfach keine Verantwortung für ihren eigenen Mist übernehmen, sie suchen die Schuld immer bei allen anderen."
    Dieses Video, welches das zweifelhafte Geschäftsmodell von Uber in einen kurzen Dialog entlarvte, sorgte für Aufregung im Silicon Valley. Wie schon häufiger bei solchen Entgleisungen versprach der 40jährige Multimilliardär Kalanick Besserung: "Ich muss endlich erwachsen werden".
    In Thiels und Kalanicks Universum sind die Reichen die Opfer, die kleinen Leute hingegen die Mächtigen und Bösen. Männer wie Thiel und Kalanick lasten den Schwachen ihre Schwachheit als Fehler und Vergehen an und sehen sich jedes Mal, wenn sie die eigene Stärke nicht ausspielen dürfen, in der Opferrolle. Nietzsche hat dies als "Umwertung aller Werte" benannt. Die Filme von Pixar - insbesondere "The Incredibles" von 2004 - haben diese Ideen in die ganze Welt getragen. Dort beschwert sich der Sohn der Superheldenfamilie: "Wenn jeder besonders ist, ist keiner besonders."
    Silicon Valley ist besonders. Und will sich dafür nicht entschuldigen müssen.
    Diese Denkart geht zurück auf Ayn Rand, die hier von großem Einfluss ist. Rands Bücher wie "Atlas Shrugged" aus dem Jahr 1957 und "The Fountainhead" von 1943 stehen im Silicon Valley in vielen Regalen. Sie passen auch gut hierher: Rand predigt eine Art anti-institutioneller Elite. Eine Elite des Talents und Genies, die sich freikämpfen muss - und zwar einerseits von traditionellen Eliten, aber auch vom Plebs, der sich von den alten Eliten durchpäppeln lässt. Was dieses Weltbild für die Emporkömmlinge aus dem Silicon Valley attraktiv macht, liegt auf der Hand. Ihr eigener Erfolg ist natürlich und richtig, das Ansehen des traditionell Erfolgreichen hingegen fragwürdig. Rands "Objektivismus" beschwört eine Aristokratie der Außenseiter, eine Metaphysik der Nerds.
    Wagemutigen jungen Menschen große Aufgaben zu überantworten, ist Teil des Investoren-Geschäfts
    Auch dieses Gefühl, es besser zu wissen als die Experten, verbindet bei aller gegenseitigen Abneigung die Nerds an der Bucht von San Francisco und den 70jährigen Immobilienhai aus Manhattan. In Washington reibt man sich die Augen, wenn Donald Trump seinem Schwiegersohn Jared Kushner eine Rolle nach der anderen überträgt. (Eine Friedensmission in Nahost ist nur eine von mittlerweile mindestens einem Dutzend.) In Silicon Valley aber dürfte diese Ämterhäufung kaum Erstaunen auslösen: Unerfahrenen, aber wagemutigen jungen Menschen immens große Aufgaben zu überantworten, ist hier Teil des alltäglichen Investoren-Geschäfts, wenn auch häufig mit desaströsen Folgen.
    Die Stanford-Abbrecherin Elizabeth Holmes bekam Milliarden für eine revolutionäre medizinische Technologie, die die etablierte Medizin auf den Kopf stellen sollte - obwohl ihre Tests nie funktionierten. Was die Wissenschaft wusste, unter den Investoren aber keiner hören wollte.
    Seit Jahren ruft man aus dem Silicon Valley, der Staat solle sich mehr Prinzipien der Technologiebranche aneignen - "uberize government," wie der republikanische Präsidentschaftskandidat John Kasich das 2016 nannte. Jetzt erkennt die Branche erschrocken, wie es aussieht, wenn eine Regierung tatsächlich nach diesen Prinzipien handelt.
    Moralische Selbstgefälligkeit der Branche
    Vor allem aber rächt sich nun die moralische Selbstgefälligkeit der Branche. Die Technologiekonzerne taten lange so, als sei ihre Technologie an sich wertneutral oder sogar per se gut: Mehr Wissen, mehr Kommunikation, wer könnte dagegen etwas haben? Dass Twitter den Arabischen Frühling möglich gemacht hat, dient immer noch als positives Beispiel. Die Einsicht, dass Facebook, seine Algorithmen und seine falsch verstandene Netz-Neutralität die populistische Welle ermöglicht hat, die derzeit die westlichen Demokratien destabilisiert, setzt sich vergleichsweise langsamer durch.
    "Don’t be evil" schrieb sich Google einmal auf die Fahnen, mit besonders viel Inhalt erfüllt hat man dieses Motto nicht. Es sind keine Geschäfte bekannt, die sich Google entgehen ließ aufgrund dieses Gebots, keine Strukturen, die seine Einhaltung gewährleisten sollten.
    So sehr sich Apple, Facebook, Microsoft, IBM als Vorkämpfer für eine offene und tolerante Welt sehen: Sie tendieren zu dem Glauben, solche Offenheit sei ein Selbstläufer, unabhängig davon, wer ihre Technologien einsetzt und wozu. Was wird, wenn Trump anklopft, mit Vorhaben, die dem ursprünglichen Geist des Silicon Valley klar widersprechen? Die den Belegschaften dort ein Graus sind?
    Denn es gibt Wahlversprechen Trumps, denen er überhaupt nur mit der Hilfe der Technologiebranche nachkommen kann. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Werden sie ihm helfen, die angekündigte Datenbank der in den USA lebenden Muslime aufzubauen? Oder Algorithmen entwickeln, vermittels derer Millionen Menschen als illegale Einwanderer identifizierbar werden? Werden die bunten, poppigen, multikulturellen Unternehmen Silicon Valleys am Ende dabei helfen, ihre eigenen Kollegen, Mitarbeiter und Nachbarn, die seit Jahrzehnten in den USA leben, abzuschieben?
    Drosera Networks: Klarnamen von regierungskritischen Bloggern in der Türkei hätten ausfindig gemacht werden können
    Und wie immer, wenn Silicon Valley einem einen Schauer den Rücken herunterjagt, ist Peter Thiel nicht weit. Sein Unternehmen Palantir, benannt nach einem sehenden Stein aus "Der Herr der Ringe", kombiniert öffentlich zugängliche Datensätze mit eigens eingekauften Browser-Daten beispielsweise über individuelles Kaufverhalten und erstellt so Kunden- und Sicherheitsprofile.
    Selbst gemessen am Standard Silicon Valleys ein reichlich gruseliges Unternehmen - und doch eine der heißesten Adressen für junge Bewerber. Wie leicht sich solche Technologie für totalitäre Zwecke instrumentalisieren lässt, scheint sie entweder nicht zu scheren, oder kommt ihnen überhaupt nicht in den Sinn. Immerhin: Im Oktober 2016 schmiss ein großer Teil der Belegschaft eines vergleichsweise kleinen Unternehmens namens Drosera Networks hin, weil sich herausstellte, dass die Unternehmensleitung einen Vertrag mit der türkischen Regierung abgeschlossen hatte - ihre Technologie hätte es möglich gemacht, Klarnamen von regierungskritischen Bloggern oder Twitterern ausfindig zu machen.
    Das zeigt: Erstens sind sowohl die Programmierer als auch ihre Chefs reichlich blauäugig, wenn es um den Einsatz der von ihnen entwickelten Technologien geht. Optimismus und Gutmenschlichkeit sowie das Mantra, man wolle "die Welt zu einem besseren Ort machen", schaffen eine Kultur der lukrativen Treuherzigkeit, in der nur Intention, nicht Wirkung wichtig ist.
    Hier rächt sich, dass diese neue Elite sich nur zögerlich als Elite begreift: Sie spielt die eigene Macht bewusst herunter, um sich den mit Macht verbundenen moralischen Fragen zu entziehen.
    Zweitens aber hat gerade hier der Trump-Schock augenscheinlich zu einem Umdenken beigetragen. Der Widerstand gegen den Schmusekurs der Branche mit Trump kommt nicht aus den Chefetagen und nicht von den Eliten, sondern vielmehr aus den Belegschaften. Kalanick musste sich auf Druck der Uber‑Belegschaft aus Trumps "advisory council" zurückziehen. Die Journalistin Sarah Jaffe hat unlängst eine Gruppe von IBM-Programmierern interviewt, die von ihrem Konzern verlangen, die Zusammenarbeit mit der Regierung Trump aufzukündigen. Die Belegschaft erinnerte die Führung an die wenig rühmliche Rolle von IBM in Nazi-Deutschland und Apartheid-Südafrika und verlangte, diesmal müsse es anders werden.
    Widerstandsgruppen treffen sich in den Räumlichkeiten der Tech-Unternehmen
    Längst treffen sich Widerstandsgruppen ziemlich offen in den Räumlichkeiten der Tech-Unternehmen. Die Belegschaften helfen bei Aktionen und bei Demos, die Unternehmensjuristen überziehen Trumps Vorhaben mit einer Prozesswelle. Auch die Kunden keilen zurück. Das Hashtag #deleteuber ("Uber löschen") geistert immer häufiger durch die sozialen Medien: so, als Kalanick dem "advisory council" beitrat, als Uber einen gegen Trumps Einwanderungsstopp gerichteten Taxifahrer‑Streik zu unterlaufen suchte oder nach der Auseinandersetzung mit einem Fahrer.
    Das könnte bedeuten: Die Unternehmen des Silicon Valley werden ihrem eigenen politischen und moralischen Anspruch gerade dann gerecht, wenn sie sich wie ganz normale Unternehmen verhalten. Unternehmen, die sich vor der eigenen Macht nicht verstecken. In denen Belegschaften Druck machen und deren Kunden die Firmenideale einklagen. Silicon Valleys gestörtes Verhältnis zur Macht speist sich eben aus der Selbsttäuschung, man gehöre nicht zu den Mächtigen, man sei anti-elitäre Elite. Nicht die Tatsache, dass Travis Kalanick seinen Fahrer anging, ist bemerkenswert, sondern vor allem die Tatsache, dass Uber so tut, als gehöre der Fahrer nicht zur Belegschaft, sei ihm nicht untergeben.
    "Menschen in jedem Staat der USA zu treffen", das bereitet Facebook-Gründer Mark Zuckerberg als Medien-Aktions-Tour durch die Vereinigten Staaten vor. Es wird als Indiz dafür gewertet, Zuckerberg strebe selber die Präsidentschaft an. Es wird nicht dazu kommen. Silicon Valley wird die Politik nicht aufrollen. Auch wenn Peter Thiel sich 2018 um das Gouverneursamt des Staates Kalifornien bewirbt, wie er angekündigt hat. Auch Meg Whitman von eBay und Carly Fiorina von Hewlett Packard haben das schon gemacht. Sie zumindest sind gescheitert. Um sich politisch treu zu bleiben, muss Silicon Valley sich bewusst werden, dass es zur Elite gehört - nicht zu einer neuen, ganz anderen. Sondern zu der Elite in den USA.
    Über Eliten (4/4)
    Fatal Attraction - Silicon Valley trifft Donald Trump. Von Adrian Daub. Sprecher: Kerstin Fischer und Jean Paul Baeck. Technik: Jens Müller. Regie: Anna Panknin. Redaktion: Barbara Schäfer. Erstsendung: Donnerstag, 25.05.2017, 09.30 Uhr