Nach einem Jahr voller Enthüllungen durch den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden herrscht kein Mangel an Büchern zum Thema Weltüberwachung durch die NSA und andere Geheimdienste. Jedes dieser Werke offenbart eigene Einsichten: Der Journalist und Snowden-Vertraute Glenn Greenwald punktet mit maximalem Detailwissen und beißender Medienkritik; die "Spiegel"-Autoren Marcel Rosenbach und Holger Stark beschreiben den "NSA-Komplex" unterhaltsam und minutiös. Peter Schaar, ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter und heute Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit, konzentriert sich in seinem Buch auf das große Gesamtbild:
"Das Gesamtbild ist, dass wir in einer Welt leben, in der technische Mittel alltäglich sind und einen Datenschatten von uns zeichnen. Und dieser Datenschatten ist so lang mittlerweile, dass diejenigen, die das schaffen, diese Daten aufzusammeln, mehr über uns wissen, als wir selbst. Und das ist eine Situation, die aus meiner Sicht weder unter politischen noch unter rechtlichen Kriterien akzeptabel ist."
Zu den schwächeren Passagen des Buchs gehört das erste Drittel. Hier liefert der Autor nicht viel mehr als ein kompaktes Dossier dessen, was auch der aufmerksame Zeitungsleser über die Snowden-Enthüllungen erfahren hat: Schaar beschreibt die globalen Spionage-Aktivitäten der NSA und anderer Geheimdienste, die fast jede technische Infrastruktur infiltriert haben - von Glasfaserkabeln über die Internetknoten bis zu Verschlüsselungs-Algorithmen und Kommunikations-Software.
Vergessene Überwachungsmechanismen
Aufschlussreich wird Schaars Buch danach, wenn er die Snowden-Erkenntnisse zu einem Gesamtbild zusammenfügt:
"Das Bild ist ein Stück erschreckender als es sich auf den ersten Blick darstellt, denn die Snowden-Veröffentlichungen decken ja nur einen Teil ab. Das ist so etwas wie die etwas größere Spitze eines Eisbergs, die jetzt sichtbar geworden ist, aber es ist nach wie vor ein Eisberg und der größte Teil ist nach wie vor unsichtbar - oder er ist teilweise wieder in Vergessenheit geraten."
Und diese vergessenen Überwachungsmechanismen kenntnisreich in Erinnerung zu rufen, ist ein Verdienst von Schaars Buch. Besonders lesenswert ist, wie der Autor Überwachungsabkommen beschreibt, mit denen er als zeitweiliger Vorsitzender der europäischen Datenschutzbeauftragten direkt befasst war. Etwa das EU-Fluggastabkommen: Danach dürfen die Vereinigten Staaten die Daten von über 80.000 Passagieren täglich abrufen, auch wenn sie die USA nur überfliegen. Zu diesen Informationen gehören Kreditkarten- und Telefonnummern und sogar der Speisewunsch im Flugzeug.
Ähnlich kritisch sieht Schaar das SWIFT-Abkommen zwischen der EU und den USA, das dazu führt, dass selbst eine Bank-Überweisung von Deutschland nach Österreich Jahre lang auf Servern von US-Diensten gespeichert wird - legal, aber quasi geheim, schreibt Schaar:
"Wie weit die Übermittlung der Daten wirklich geht, durften die Prüfer nicht mitteilen, weil sämtliche Informationen über die Durchführung der Datenübermittlung von der US-Seite als »geheim« eingestuft sind. Derartige Blindflüge darf es in der Demokratie nicht geben."
Peter Schaar beschreibt auch beklemmend detailreich die zahlreichen Terror-Watch- und No-Fly-Listen. Wer etwa auf der von der UNO akzeptierten Anti-Terrorliste steht, darf weltweit nicht mal mehr ein Gehalt beziehen – egal von wem. Zehntausende Menschen stehen auf diesen Listen. Auch der mittlerweile verstorbene US-Senator Ted Kennedy hatte lange Mühe, auch nur in die Nähe eines Flugzeugs zu kommen, weil in der Terror-Watch-List ein "T. Kennedy" genannt war. Der Senator konnte sich seinerzeit nur durch politischen Einfluss von der Liste streichen lassen. Menschen ohne Macht seien dagegen wehrlos, schreibt Schaar:
"Völlig inakzeptabel ist es auch, dass die Betroffenen keinen Rechtsschutz gegen die Aufnahme in die Listen haben."
"Überwachung total" - diese sachliche und über die Snowden-Erkenntnisse hinausreichende Beschreibung der weltweiten Datenkontrolle und Spionagepraktiken lässt den Buchtitel bedrückend treffend erscheinen. Selbst unsere Schlafzimmer können durch die allgegenwärtige Technik abgehört werden.
Forderung: Verschlüsselung gesetzlich vorschreiben
Um das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder zu stärken und die Geheimdienste in ihre demokratisch kontrollierten Schranken zu weisen, verlangt Schaar Veränderungen auf drei Ebenen: Technisch sei es möglich, für mehr Vertraulichkeit zu sorgen. Dazu müsse etwa Verschlüsselung gesetzlich vorgeschrieben werden. Weil nationale Gesetze aber allein nicht helfen, bedürfe es internationaler Abkommen auf UN-Ebene, die das "Menschenrecht Datenschutz" sicherten. Über die Aussetzung internationaler Abkommen könnten Deutschland und die EU erheblichen Druck auf die USA ausüben - doch auch Peter Schaar bezweifelt, dass die Staats- und Regierungschefs den politischen Willen dazu haben:
"Es ist die Stunde des Parlaments. Das können wir in den USA ganz genauso sehen. Auch dort werden die Parlamente, wird der Senat und das Repräsentantenhaus, die entscheidende Rolle spielen. Die Reformvorhaben werden nicht von der Administration ausgehen und durchgesetzt werden. Das gilt hier mindestens genau so wie in der Vergangenheit und das gilt weltweit."
Peter Schaar setzt auf die Parlamente: Das allerdings klingt wie das Pfeifen im Walde - angesichts verwässerter Gesetzesvorhaben in den USA und der zähen Arbeit des deutschen NSA-Untersuchungsausschusses.
Peter Schaar: "Überwachung total. Wie wir in Zukunft unsere Daten schützen."
Aufbau Verlag, 301 Seiten, 17,99 Euro
ISBN: 978-3-351-03295-1
Aufbau Verlag, 301 Seiten, 17,99 Euro
ISBN: 978-3-351-03295-1