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Ukraine
Beck: "Provokation von innen"

Die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Kiew wurden vom Militär ausgelöst, um ein hartes Durchgreifen der Polizei zu rechtfertigen, sagte Marieluise Beck, Osteuropa-Expertin der Grünen, im DLF. Sie fordert eine diplomatische Initiative der EU. Europa dürfe die Menschen in der Ukraine nicht verraten.

Marieluise Beck im Gespräch mit Bettina Klein |
    Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen)
    Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) (JOHN MACDOUGALL / AFP)
    Bettina Klein: Um 12:36 Uhr schauen wir hier im Deutschlandfunk auf die Situation in der Ukraine. Die eskaliert im Augenblick. Es gab bei den Protesten in Kiew erste Todesopfer.
    Mitgehört hat die Grünen-Politikerin Marieluise Beck. Sie ist Sprecherin ihrer Fraktion für Osteuropa-Politik im Deutschen Bundestag. Guten Tag, Frau Beck.
    Marieluise Beck: Guten Tag, Frau Klein.
    Klein: Zunächst mal: Wie bewerten Sie die Entwicklung der vergangenen Stunden in Kiew?
    Beck: Es gibt erste Videos, die überall zugänglich sind, von einer russischen Zeitung, wie man sehen kann, mit welcher ungeheueren Brutalität diese Sicherheitskräfte gegen fliehende Demonstranten vorgehen. Die, die dann stolpern und stürzen, werden mit Füßen getreten, werden mit Knüppeln zusammengeschlagen und dann über den Boden weggeschleift. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was dann in den Polizeistationen weiter mit ihnen passiert. Es sind atemberaubende Bilder und das schlimme ist, dass im Grunde genommen schon im Dezember von diesen friedlichen Demonstrationen solche Entwicklungen erwartet wurden. Als ich auf dem Maidan war, wo nun wirklich alles friedlich war, wusste man, dass schon etwa 5.000 Provokateure sich unter diese Menschenmengen gemischt hatten, gemischt worden waren, muss man sagen, aus dem ukrainischen Militär, um diese Provokation von innen in Gang zu setzen, damit dann unter dem Vorwand, schaut mal, das entgleitet euch, die Polizei zuschlagen kann.
    Situation erinnert an Geschehnisse in Weißrussland
    Klein: Gehen Sie vor dem Hintergrund dessen, was Sie gerade geschildert haben, auch davon aus, dass die Todesopfer auf das Konto der ukrainischen Regierung oder der Sicherheitskräfte gehen?
    Beck: Das kann ich natürlich von hieraus nicht bewerten. Ich kann nur sagen, historisch gesehen haben wir eigentlich eine Blaupause dessen, was in Minsk passiert ist, wo auch ein Land sich auf den Weg ganz vorsichtig mit einer Öffnung Richtung Westen machte, wo der Präsident nach Moskau einbestellt wurde, er brauchte Geld, er bekam Kredite, er bekam verbilligtes Gas. Alles das hat Janukowitsch genau so auch gemacht. Und dann wurden von innen heraus unter der Vorgabe von Gewalttätigkeit der Demonstrierenden quasi diktatorische Verhältnisse eingeführt, und mich erinnert alles an das, was wir vor etwa drei Jahren in Weißrussland erlebt haben.
    "Diktatorische Maßnahmen unter dem Vorwand von Rechtsstaatlichkeit"
    Klein: Das heißt, Sie befürchten, dass es zur ähnlichen Entwicklung auch in der Ukrainekommen könnte?
    Beck: Ich befürchte, dass tatsächlich Janukowitsch, der ja nicht frei ist, denn wenn er wirklich ganz sein Land in demokratische Verhältnisse führen würde, wäre er als Präsident vermutlich nicht wiedergewählt - es gibt Umfragen, die davon ausgehen, dass nur noch sieben bis acht Prozent der Bevölkerung bei einer freien Wahl ihn wählen würden -, ich fürchte, dass er sich dieses alt bekannten Instrumentariums der diktatorischen Maßnahmen unter dem Vorwand von Rechtsstaatlichkeit bedient, um in der Ukraine Ruhe zu schaffen. Ich glaube, das wird schwieriger sein als in Weißrussland, denn es gibt sehr viel mehr Menschen in der Ukraine, die diese Öffnung nach Westen wollen, die nach Europa wollen, wie sie immer sagen, und das wird nicht so leicht auszutreten sein, wie es in Belarus ausgetreten worden ist.
    Klein: Wir haben gerade von unserer Korrespondentin gehört, es soll ein Treffen geben der oder des Oppositionsführers mit Janukowitsch. Setzen Sie da Hoffnung drauf?
    Beck: Das muss stattfinden, vor allen Dingen, weil, wie wir ja sehen, Menschen zu Tode kommen, junge Menschen zu Tode kommen. Ich bin aber auch der Meinung, dass die Europäische Union eine große Verantwortung hat. Brüssel und damit wir haben der Ukraine diesen Weg in Richtung Europäische Union mit dem Assoziationsabkommen geöffnet. Es ist sechs Jahre verhandelt worden. Ich bin selber erschrocken, dass wir so unterschätzt haben, wie stark der Widerstand aus Moskau und aus dem Kreml gegen so eine Öffnung in Richtung Westen ist, wie stark der Kreml bereit ist, sich so einer Orientierung entgegenzustellen, und wir können jetzt nicht einfach sagen, dumm gelaufen, das müssen jetzt die Menschen in der Ukraine ausbaden. Ich bin für eine ganz, ganz entschiedene diplomatische Initiative aus Brüssel, vielleicht unter Zuhilfenahme der polnischen, schwedischen Regierung, der litauischen. Wir dürfen die Menschen in der Ukraine nicht verraten. Wir haben eine Verantwortung ihnen gegenüber.
    Finanzströme offenlegen
    Klein: Frau Beck, diplomatische Initiative schlagen Sie vor. Aber welche Einflussmöglichkeiten hat Brüssel denn damit?
    Beck: Brüssel hat einmal natürlich diese Möglichkeit der Diplomatie, auch durchaus zusammen mit Moskau, zu sagen, das können wir nicht in der Mitte Europas geschehen lassen. Aber ich meine auch, dass man sehr deutlich zeigen kann, dass viele Oligarchen, die ihre Finanzströme durch die westlichen Länder leiten, dass man ihnen zeigen kann, wir haben da auch Möglichkeiten, diskret diese Geschäfte, die ihr mit dem Westen macht, diese Finanzströme zu unterbinden, sie offenzulegen.
    Klein: Noch mal konkret: Wie kann das passieren? Wie kann das geschehen?
    Beck: Das ist meines Erachtens ein Weg, dass man in der Zusammenarbeit von Banken, von geheimdienstlicher Tätigkeit und dann auch strafrechtlicher Verfolgung, staatsanwaltschaftlich abgesichert, gerichtlich abgesichert, solche Finanzströme aufdecken sollte. Wir dürfen uns nicht zum Steigbügelhalter machen für diejenigen, die mit dabei sind, ein Volk so massiv zu unterdrücken, wie das jetzt in der Ukraine sich abzeichnet.
    Klein: Marieluise Beck heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk zur Entwicklung in der Ukraine. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Beck.
    Beck: Bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.