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Ukraine-Konflikt
"Russland ist und bleibt unser Nachbar"

Marieluise Beck sieht den Westen beim Ukraine-Konflikt in einem Dilemma. "Realistischerweise brauchen wir Russland", sagte die Grünen-Außenpolitikerin im DLF, um "die europäische Sicherheitsarchitektur wiederherzustellen". Dennoch dürfe man an die Sanktionen nur teilweise und "Schritt für Schritt" lockern.

Marieluise Beck im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen)
    Marieluise Beck ist Obfrau der Grünen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. (JOHN MACDOUGALL / AFP)
    Christoph Heinemann: Der Europa-Asien-Gipfel in Mailand wurde in diesen Tagen kurzerhand zu einem Ukraine-Russland-Gipfel umfunktioniert. Hauptdarsteller auf der Bühne Wladimir Putin, Petro Poroschenko, Angela Merkel und andere europäische Spitzenpolitiker. Vor dieser Sendung haben wir mit Marieluise Beck telefoniert, der Obfrau der Grünen im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Mögliche Mitwirkung Russlands an Grenzüberwachungen. Ich habe sie gefragt: Wäre das ein Schritt in die richtige Richtung?
    Marieluise Beck: Das Ganze ist ja keine alleinige deutsch-französische Mission, sondern sie findet unter dem Dach der OSZE statt. Wir hatten gestern den Generalsekretär der OSZE in Berlin zu Gast. Er hat berichtet, dass die OSZE selber, obwohl sie sehr schmale Mittel haben, schon zwei Drohnen angeschafft hat, und insofern ist diese Mission gewollt von der OSZE. Sie wird schwierig, wenn es um ein neues Mandat gehen muss. Das ist ja klar, weil die Franzosen für ihren Einsatz auch einen militärischen Schutz fordern. Aber Russland wäre, weil ja OSZE-Mitglied, auch mit dabei.
    Heinemann: Wirken die Sanktionen gegen Russland?
    Beck: Die Sanktionen wirken offensichtlich stärker, als selbst wir im Westen erwartet haben. Der Rubel befindet sich im freien Fall. Der Abfluss von Kapital aus Russland ist dramatisch, weil offenbar die russischen Geschäftsleute selber dem Kurs von Putin nicht mehr trauen und fürchten, dass die russische Wirtschaft doch durch ein ganz schweres Wasser kommt. Das zeichnete sich auch vor den Sanktionen ab und ist ja vielleicht sogar eine Erklärung für Putins aggressive Politik nach außen, aber das hat sich jetzt deutlich verstärkt.
    Wahlen der Separatisten: "Einer der wesentlichen Lackmus-Punkte"
    Heinemann: Damit sitzt der Westen vielleicht langsam am längeren Hebel. Welche Bedingungen sollten denn für eine Lockerung der Sanktionen erfüllt sein?
    Beck: Das ist sehr klar umrissen mit den Minsker Vereinbarungen, die ja nun von Putin persönlich mit Präsident Poroschenko getroffen worden sind, und diese, ja noch sehr allgemein formulierten Punkte von Minsk müssen mit Leben erfüllt werden. Es gibt einen sehr klaren Punkt, an dem messbar ist, ob Putin es ernst meint, nämlich die von den Separatisten für den 9. November angesetzten Wahlen, die sich jenseits jeglicher ukrainischer Verfassung bewegen. Das wäre der erste Schritt in ein abgetrenntes, eigenständiges Gebiet des Donbass, ähnlich wie Abchasien oder Südossetien. Russland ist aufgefordert worden, jetzt schon zu erklären, dass sie diese Wahlen nicht anerkennen werden. Ich glaube, das ist einer der wesentlichen Lackmus-Punkte, plus der Abzug der Truppen natürlich.
    Heinemann: Erkennen Sie da Bereitschaft in Moskau?
    Beck: Ich habe nicht unter dem Tisch gesessen jetzt in Mailand, aber derzeit sind die Zeichen der Umsetzung leider nicht gut. Es wird weiter gekämpft. Wir konnten hören, dass die Separatisten 30 Dörfer eingenommen haben. Sie vergrößern unter dem Waffenstillstand ihre Gebiete. Und da es ja immer leider doch eine mittelbare bis direkte Unterstützung von Russland für die Separatisten gibt, sind derzeit die Zeichen nicht ermutigend - leider.
    Heinemann: Frau Beck, Putin hat ja im Prinzip seine Ziele erreicht: die Krim annektiert, die Ostukraine erfolgreich destabilisiert. Kann er Partner sein, noch mal mit Blick auf die Sanktionen auch, solange beides nicht rückgängig gemacht ist?
    Beck: Alle wissen, dass wir realistischerweise Russland brauchen. Der Westen befindet sich in einer asymmetrischen Auseinandersetzung. Putin hat erklärt und uns gezeigt, dass er bereit ist, militärische Mittel einzusetzen; wir sind es zu Recht nicht. Aber dann müssen letztlich Wege der Absprache gefunden werden. Unser Mittel sind die Sanktionen, die wirken langsam. Ob Putin diese ökonomischen Folgen derzeit vielleicht gar nicht so wichtig sind, das können wir nicht einschätzen. Aber letztlich sind die Verhandlungen der einzige Weg, den wir haben.
    Lockerung der Sanktionen: "Es wird ein Schritt-für-Schritt-Verfahren geben"
    Heinemann: Bezieht das auch die Krim ein? Das heißt, solange Russland die Krim annektiert, kann man diese Sanktionen nicht lockern? Würden Sie so weit gehen?
    Beck: Wir können jedenfalls nicht zur Tagesordnung übergehen und diese tiefe Verletzung der europäischen gemeinsamen Sicherheitsarchitektur einfach nach einem Jahr abstreifen.
    Heinemann: Heißt konkret: Man kann die Sanktionen nicht lockern, solange die Krim annektiert bleibt?
    Beck: Es werden unterschiedliche Sanktionsschritte gelockert werden, wenn die Minsker Vereinbarungen eingelöst worden sind. Also es wird ein Schritt-für-Schritt-Verfahren geben.
    Heinemann: Das heißt, die Krim ist eine Bedingung für Lockerungen?
    Beck: Nicht für die Lockerung der gesamten Sanktionen. Ich rechne damit, dass, wenn Minsk umgesetzt wird, die zuletzt eingeführten Sanktionen wieder gelockert werden.
    Heinemann: Gehört zur EU-Realpolitik, dass man es mit gewaltsamen Grenzverschiebungen im Osten nicht ganz so genau nimmt?
    Beck: Die EU befindet sich in einem Dilemma. Wir alle wissen, dass Russland unser Nachbar ist und bleiben wird. Wir müssen versuchen, die europäische Sicherheitsarchitektur wiederherzustellen. Dazu brauchen wir Russland. Aber gleichzeitig wird niemand in eine militärische Auseinandersetzung gehen, und insofern werden wir sicherlich sehr viel Zeit und Geduld brauchen.
    "Viele Menschen leiden"
    Heinemann: Glauben Sie, dass Putin das Projekt "Neu-Russland" weiter verfolgt?
    Beck: Ich bin mir da nicht sicher. Ich halte das für möglich. Wir wissen ja nicht, ob diese aggressiven Schritte nach außen letztlich ein Zeichen einer Schwäche nach innen sind und ablenken sollen von inneren Schwierigkeiten. Was Putin vorhat, ob er spontan entscheidet, wenn sich Gelegenheiten bieten, oder wirklich einem großen Plan folgt, vielleicht weiß er es selber nicht einmal.
    Heinemann: Die Ukrainer wählen am 26. Oktober ein neues Parlament. Kann sich Präsident Poroschenko jetzt schon bei Putin für seinen erwartbaren Wahlsieg oder den seiner Parteigänger bedanken? Kann man sagen, Putin eint die Ukrainer im Westen?
    Beck: Auf jeden Fall entsteht in der Ukraine eine Nation, eine Nation, die sich Russland brüderlich verbunden gefühlt hat und die jetzt zu ihrer eigenen Trauer den Spalt empfindet, dass die russischen Brüder derzeit ihnen das Leben schwer machen, aggressiv gegen sie vorgehen, viele Menschen leiden und viele Menschen ihr Leben verlassen haben. Das verändert leider die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine.
    Heinemann: Marieluise Beck, die Obfrau der Grünen im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.