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Ukraine-Konflikt
"Russland muss liefern"

Andreas Schockenhoff, stellvertretender Unionsfraktionschef im Bundestag, hat die EU aufgefordert, im Ukraine-Konflikt den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten. Russland werde nur an einer Stabilisierung der Region mitarbeiten, "wenn die Alternative schmerzhaft ist", sagte Schockenhoff im DLF.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Andreas Schockenhoff (picture alliance/ZB/Karlheinz Schindler)
    Die Europäische Union habe jede militärische Reaktion auf die militärische Aggression Russlands im Ukraine-Konflikt ausgeschlossen. Das sei auch richtig, sagte Andreas Schockenhoff, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Doch es gebe eine große Bandbreite politischer Reaktionen inklusive wirtschaftlicher Sanktionen. Dazu müsse die EU geschlossen bereit sein, dann werde der russische Präsident Putin auch reagieren. "Wir haben Einfluss auf Russland, wenn wir geschlossen bleiben", so Schockenhoff. "Es ist klar, dass Russland liefern muss."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama haben von Russland einen verstärkten Einsatz zur Deeskalation der Lage im Osten der Ukraine verlangt. Beide Politiker betonten in einem Telefonat nach Angaben aus Berlin und Washington, dass es weitere Sanktionen gegen Russland geben werde, sollte der Kreml die Situation nicht entschärfen. Die Chance auf eine Waffenruhe dürfe nicht wieder ungenutzt bleiben. Russland müsse seinen Teil beitragen und auf die prorussischen Separatisten in der Ukraine einwirken.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Einen Augenblick hatte es so ausgesehen, als könnte aus der Feuerpause im Osten der Ukraine ein dauerhafter Waffenstillstand werden mit der Chance für handfeste Absprachen mit Russland, mit der Chance auf ein Ende der Gewalt, auf einen politischen Ausweg aus der Krise. Stattdessen hat Präsident Poroschenko eine Waffenruhe beendet, an der sich die Separatisten ohnehin nicht gehalten haben. Es wird wieder gekämpft und wieder gestorben im Donbass. Doch vor allem Frankreich und Deutschland drängen auf eine neue Waffenruhe. Spätestens morgen soll darüber wieder verhandelt werden, im Beisein der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). – Am Telefon ist der CDU-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff. Schönen guten Morgen.
    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Die Bundesregierung setzt unermüdlich auf eine diplomatische Lösung, auf einen Durchbruch über Verhandlungen. Bei aller Anerkennung dafür, sehen Sie noch Anzeichen, dass Russland ernsthaft an einer politischen Lösung interessiert ist?
    "Russland reagiert auf Druck"
    Schockenhoff: Russland reagiert auf Druck. Russland möchte entweder die Länder in seiner Nachbarschaft wie etwa Belarus oder auch die zentralasiatischen Staaten unter seine Hegemonie zurückzwingen, oder aber destabilisieren, weil Russland kein Interesse hat an einer prosperierenden, wirtschaftlich attraktiven demokratischen Nachbarschaft. Das würde den Herrschaftsanspruch der Truppe im Kreml unterminieren. Das müssen wir klar erkennen und so müssen wir mit Russland umgehen. Das heißt, Russland wird dann an einer gemeinsamen Stabilisierung der Nachbarschaft mitarbeiten, wenn die Alternative für Russland schmerzhaft ist. Deswegen müssen wir die Machtmittel, die die EU hat, Russland dazu zu bringen, auch einsetzen. Wir haben keine militärischen Machtmittel. Wir haben jede militärische Reaktion auf die militärische Aggression Russlands ausgeschlossen, und das ist richtig so.
    Aber zwischen keiner militärischen Reaktion und einer entschlossenen politischen Reaktion, die auch wirtschaftliche Sanktionen einbezieht, die unsere Werte verteidigt und für unser Lebensmodell kämpft, die ist groß und dazu muss die Europäische Union geschlossen bereit sein.
    Barenberg: Und das tut sie nicht?
    Schockenhoff: Doch, das tut sie. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Wir haben bei 28 Mitgliedsstaaten natürlich auch große Interessenunterschiede, ganz andere und verschiedene Handelsbeziehungen mit Russland. Deswegen braucht es Zeit. Es ist eine unermüdliche Arbeit, 28 Mitgliedsstaaten auf eine Position zu bringen. Aber bisher war die Europäische Union geschlossen und das ist ein großer politischer Wert, und deswegen hat Russland auch reagiert. Putin hat ja Anfangs die Ukraine nicht als Staat anerkannt. Er hat gesagt, er werde niemals die Wahlen anerkennen und werde niemals mit Poroschenko sprechen. Inzwischen verhandelt Putin mit Poroschenko. Das ist auf das Beharren und den Druck der Europäischen Union zurückzuführen und daran haben Deutschland und auch Frankreich, wie Sie es in der Anmoderation gesagt haben, großen Anteil.
    Barenberg: Alle zusammen, Deutschland, Frankreich, die Europäische Union, alle dürfen die Machtmittel, die zur Verfügung stehen, nicht aus der Hand geben, sagen Sie. Nun kann man den Eindruck gewinnen, dass genau das gerade geschehen ist, denn vor der letzten Runde der Verhandlungen am vergangenen Wochenende hatte die EU ja weitere Sanktionen angekündigt. Bis heute sind die aber nicht beschlossen, sondern man hat das vertagt. Möglicherweise kommenden Montag will man darüber noch mal beraten, möglicherweise entscheiden. Wie viel Glaubwürdigkeit ist dadurch verloren gegangen?
    "Wir haben Einfluss auf Russland, wenn wir geschlossen bleiben"
    Schockenhoff: Ja, das ist schwierig. Auf der einen Seite: Wir wollen keine Konfrontation, sondern wir wollen Russland zu einem konstruktiven Verhalten zwingen. Deswegen müssen wir Russland aber immer auch die Möglichkeit geben zu reagieren.
    Natürlich bleibt unser strategisches Ziel die Zusammenarbeit mit einem rechtsstaatlichen, mit einem modernen und demokratischen Russland. Das ist Russland im Moment nicht. Russland hat die Regelwerke der europäischen Sicherheitsordnung infrage gestellt, hat Europa unsicherer gemacht. Deswegen muss Russland jetzt liefern. Die europäisch-russischen Beziehungen stehen vor einem Scherbenhaufen und Russland kann sie reparieren. Das wird Russland nicht tun, wenn wir die Verhandlungen so führen, dass Russland aus der Ecke nicht herauskommt. Deswegen muss der Druck aufrecht erhalten bleiben. Es muss aber zu jedem Zeitpunkt auch die Möglichkeit geben, dass Russland sein Verhalten ändert. Deswegen Zug um Zug, aber glaubwürdig, nachvollziehbar und transparent.
    Natürlich geschehen dann auch Sachen, die mir nicht gefallen. Es war sicher nicht hilfreich, dass Putin in Wien jetzt eine Unterschrift über ein Abkommen zur Southstream-Gasleitung unterzeichnet hat. Man muss daran arbeiten, bis wir dort eine konsequente Haltung haben, aber wir haben Einfluss auf Russland, wenn wir geschlossen bleiben.
    Barenberg: In einem Strategiepapier machen Sie sich zusammen mit Ihrem Fraktionskollegen Karl-Georg Wellmann ja für eine Neubestimmung der Beziehung zu Russland stark. Heißt das jetzt ganz konkret in dieser Situation auch, dass es Zeit ist für neue spürbare Sanktionen?
    "Russland muss liefern"
    Schockenhoff: Es ist klar, dass Russland liefern muss. Russland hat die Vertrauensbasis zerstört. Es gibt im Moment kein Vertrauen zwischen der EU und Russland und davon müssen wir ausgehen. Wir können jetzt nicht sagen, wir kommen Russland immer weiter entgegen, wir verlängern jetzt auch einen Waffenstillstand und während dieses Waffenstillstands kommen immer neue Waffen, schweres Gerät, Artillerie in den Osten der Ukraine. Das kann man auch Poroschenko nicht zumuten, weil er damit seine eigene staatliche Souveränität infrage stellt und innenpolitisch das nicht durchhält.
    Nein, Russland muss liefern, aber das Angebot einer Modernisierungspartnerschaft halten wir aufrecht. Solange Moskau darunter allerdings nur Technologietransfer versteht, nicht aber auch die Modernisierung der Gesellschaft, also mehr Rechtsstaatlichkeit, weniger Korruption, Partizipation der Zivilgesellschaft, fehlt dafür die Grundlage. Deswegen müssen wir offener und klarer mit Russland reden.
    Barenberg: 6:57 Uhr wird es gleich. Andreas Schockenhoff, ich möchte noch ein anderes Thema anschneiden, das das politische Berlin seit gestern beschäftigt und bewegt. Es geht um den SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann, der im Verdacht steht, illegale Drogen gekauft und genommen zu haben. Ich möchte das ansprechen, weil Sie in der Vergangenheit Ihre eigene Alkoholkrankheit selber öffentlich gemacht haben. Sie haben eine Auszeit genommen und es hat Ihrem Ruf als Politiker, als Außenpolitiker nicht geschadet. Welchen Blick werfen Sie auf den Fall Hartmann?
    Schockenhoff: Man sollte offen mit "persönlichen Krisen" umgehen
    Schockenhoff: Politiker sind Menschen, die ihre persönlichen Krisen haben wie andere Menschen auch. Und wenn man in der Öffentlichkeit steht, muss man damit offen umgehen. Die Menschen erwarten von uns nicht, dass wir in allem perfekt sind. Die Menschen erwarten aber, dass wir nicht eine Rolle vorspielen, die wir selber nicht sind.
    Deswegen kann man nur mit absoluter Offenheit auch zu sich selbst, zu seinen eigenen Fehlern und Krisen stehen. Man kann aber dann auch zeigen, dass man sie angeht, und dann gelingt es einem auch, nicht mehr mit diesen Themen in Verbindung gebracht zu werden, sondern über die politische Arbeit, über Inhalte dann auch einen Platz im politischen Geschäft zu bekommen und auch wieder Freiraum für das Privatleben.
    Barenberg: Und das gilt auch im hart umkämpften politischen Geschäft in Berlin, beispielsweise in der SPD-Fraktion?
    Schockenhoff: Ja selbstverständlich! Das gilt für alle und ich habe die Erfahrung gemacht, dort wo man offen ist und wo man nicht meint, eine andere Rolle spielen zu müssen, als man selbst ist, wo man authentisch ist, dort bekommt man Anerkennung. Im Gegenteil: Man bekommt Hilfe, und das gilt selbstverständlich für jeden Kollegen. Das gilt auch für andere, die in der Öffentlichkeit stehen, im Beruf, in Kultur, im Sport, und ich glaube, das anerkennen die Menschen auch, dass es nicht irgendwelche Rollen sind, sondern dass es Menschen sind, die Politik machen.
    Barenberg: Heute Morgen hier live im Deutschlandfunk der CDU-Politiker Andreas Schockenhoff, Fraktionsvize im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Schockenhoff: Bitte schön, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.