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Ukraine-Krieg
"Der Glaube an Frieden wird geringer"

Katrin Göring-Eckardt hat sich skeptisch über eine Einhaltung der vereinbarten Waffenruhe in der Ukraine geäußert. Die Europäer seien nun in der Pflicht, die Umsetzung des Friedensplans von Minsk zu überprüfen, sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion im Deutschlandfunk.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt
    Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt (dpa / picture-alliance / Maurizio Gambarini)
    Die Frage werde sein, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa die Waffenruhe kontrollieren könne. Vermutlich seien hierfür zusätzliche OSZE-Beobachter notwendig. Göring-Eckardt betonte, falls Russland die Verabredungen nicht einhalten würde, müsse die EU für weitere Sanktionen bereit sein.
    Sie verwies auf die andauernden Kampfhandlungen. Dadurch werde der Glaube an eine Umsetzung des Friedensplans kleiner. In Kiew, wo die Grünen-Politikerin bis gestern zu Gesprächen war, herrsche "große Skepsis".

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Am Telefon begrüße ich jetzt die Kofraktionschefin der Grünen im Deutschen Bundestag, Katrin Göring-Eckardt. Guten Morgen!
    Katrin Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!
    Grieß: Sie sind gerade von einem Besuch in der Ukraine zurückgekehrt, aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew, und haben sich dort informiert über das, was dort wahrgenommen wird. Wie ist es bei Ihnen: Entspricht Minsk II Ihren Erwartungen, Frau Göring-Eckardt?
    Göring-Eckardt: Ich glaube, das würde jetzt niemand sagen, dass es den Erwartungen oder den Hoffnungen entspricht, die damit verbunden gewesen sind, aber es ist das, was möglich war. Und jetzt muss man gucken, ob dieser Hoffnungsschimmer, der da am Horizont aufleuchtet, sich tatsächlich zu einem Licht ausweitet oder eben nicht. Und in Kiew ist es so, dass natürlich eine ganz große Skepsis herrscht. Sie haben das auch berichtet, von dem Botschafter in Deutschland. Das habe ich dort sowohl von Abgeordneten, von Vertretern der Administration wie auch von Hilfsorganisationen gehört, dass alle sehr, sehr skeptisch sind, was die Umsetzung angeht, und gleichzeitig sehr besorgt. Als gestern die Kampfhandlungen wieder losgingen und in drastischer Weise wieder losgingen, da merkte man, dass der Glaube daran, dass das umgesetzt werden kann, immer geringer wird. Und gleichzeitig ist natürlich die humanitäre Situation in der Ostukraine eine Katastrophe. Und ich glaube, das darf man dabei auch nicht vergessen.
    Im Zweifelsfall weitere Sanktionen
    Grieß: Also Sie stimmen in etwa ein in die Tonalität, die wir ja auch von der Kanzlerin Angela Merkel gehört haben: Die Vereinbarungen sind wenig, aber besser als nichts, sinngemäß zumindest wiedergegeben. Hat Putin gewonnen?
    Göring-Eckardt: Ich würde nicht sagen, dass Putin gewonnen hat, weil klar ist, mit diesen Vereinbarungen sind wir natürlich auch in der Pflicht, die Europäer sind auch in der Pflicht, auf der einen Seite das zu überprüfen. Da wird die Frage sein, wie die OSZE das tun kann, die Einhaltung der Waffenruhe zu überprüfen, die Einhaltung der Umsetzung der 13 Punkte zu überprüfen. Wahrscheinlich braucht man da auch mehr OSZE-Beobachter. Und auf der anderen Seite ist völlig klar, und das finde ich auch richtig und notwendig, die Sanktionen werden nicht gelockert, im Gegenteil. Im Zweifelsfall müssen die Europäer auch bereit sein, weitere Sanktionen auszusprechen, wenn diese Verabredungen nicht eingehalten werden und wenn Putin seinen Einfluss nicht geltend macht, oder auch, die Frage der Grenzsicherung spielt ja eine große Rolle, es so weiter geht, dass aus Russland nicht nur Militär, sondern eben vor allen Dingen auch Gerät und Unterstützung an die Separatisten kommt.
    Grieß: Ist es richtig, auf die Drohung mit Waffenlieferungen kategorisch zu verzichten?
    Göring-Eckardt: Ich glaube nicht, dass dieser Konflikt militärisch zu gewinnen ist, und ich glaube auch nicht, dass Putin militärisch zu treffen ist. Das kennen wir ja aus anderen Konflikten. Im Zweifelsfall werden Waffen geliefert, und dann legt Russland immer noch eins drauf. Und deswegen muss man Russland ökonomisch treffen, also zum Beispiel mit dem Ausschluss aus SWIFT, diesem Finanzabkommen, und mit anderen möglichen Sanktionen. Und das ist der Punkt, an dem man Putin treffen kann, auch empfindlich treffen kann, und nicht Waffenlieferungen, die zu einer weiteren Eskalation führen können, die aber nicht dazu führen können, zu befrieden. Und vor allem geht es ja jetzt im Moment darum, das Blutvergießen zu beenden und die furchtbare Situation zu beenden. Im Moment können nicht mal Hilfstransporte zu den Menschen hinkommen in die Gebiete, die von den Separatisten kontrolliert werden.
    Die Friedensbemühungen sind sehr präsent
    Grieß: Also Sie würden sagen, das, was aus Teilen zum Beispiel der Vereinigten Staaten zu hören ist, ist der falsche Weg? Waffen können auch als Drohung - es geht ja darum, sie zunächst mal als Drohung auf dem Tisch zu haben -, können kein Weg sein?
    Göring-Eckardt: Also ich glaube, dass man bei den Drohungen wirklich bei den ökonomischen bleiben sollte, weil man Putin damit treffen kann. Bei Waffenlieferungen würde man aus meiner Sicht nur heraufbeschwören, dass dann die andere Seite, in dem Fall eben die russische Seite, auch weitere Waffen liefert. Und deswegen haben wir ja nur die Chance, dort zu treffen, wo wir auch empfindlich treffen können. Und Waffen sind das aus meiner Sicht eben nicht.
    Grieß: Sie waren in Kiew und haben dort sich umgetan, umgehört. Wie groß ist denn eigentlich Ihr Vertrauen in den Friedenswillen der ukrainischen Führung zu den Bedingungen von Minsk II?
    Göring-Eckardt: Ich glaube, die Friedensbemühungen, die sind schon sehr präsent in der Ukraine und auch bei der neuen Regierung. Es gibt inzwischen kaum noch welche, die der Meinung sind, man kann diese Auseinandersetzung von ukrainischer Seite aus militärisch gewinnen. Das ist sehr eindeutig. Die Frage ist, ob die inneren Reformen, die eben gleichzeitig auch notwendig sind, damit die Regierung Vertrauen gewinnt, schnell genug umgesetzt werden können. Also, von der Frage, wie ist die Justiz aufgebaut, und werden Menschenrechtsverletzungen geahndet, bis hin zu solchen Dingen, wie ist das mit der Durchsetzung auch der demokratischen Wahlen im Osten der Ukraine, wie ist das vor allen Dingen mit der Korruptionsbekämpfung, mit dem Aufbau einer Verwaltung, die transparent ist, die rechtsstaatlich ist. Das treibt sehr, sehr viele um, und da hängt es jetzt auch dran, ob das Vertrauen in diese Regierung auch tatsächlich bleibt oder ob Poroschenko und seine Leute sehr schnell Vertrauen verlieren und damit dann natürlich das Land auch von innen noch mal destabilisiert wird.
    Grieß: Nun hat aber auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, den Sie gerade angesprochen haben, gestern gesagt, die Lösung dieses Konflikts werde nicht am Diplomatentisch, sondern in den Schützengräben erreicht. Zucken Sie da nicht?
    Innere Reformen müssen umgesetzt werden
    Göring-Eckardt: Ja, doch. Ich hab da klar gesagt, dass ich finde, das ist notwendig, den Konflikt anders zu lösen. Und noch mal: Die Gespräche, die ich geführt habe, haben mir gezeigt, dass das Vertrauen auch von ukrainischer Seite, oder die Idee, dass man diesen Konflikt militärisch gewinnen könnte, immer weiter schwindet innerhalb der Ukraine. Das war sicherlich vor einigen Wochen noch anders. Und insofern bin ich da sehr eindeutig auf der anderen Seite.
    Grieß: Sehen Sie die deutsche Politik relativ, nein, nicht nur relativ, sondern geschlossen hinter der Politik der Kanzlerin?
    Göring-Eckardt: Im Moment würde ich sagen, ja. Ich finde, es fehlt auf jeden Fall noch, dass wir uns stärker humanitär engagieren, aber das ist kein Widerspruch. Ich finde es richtig, dass der IWF jetzt Gelder zur Verfügung stellt, weil das natürlich auch dazu gehört. Und wir haben zwei Aufgaben: Auf der einen Seite jetzt auch bei der Durchsetzung, bei der Implementierung nicht einfach nur zu helfen, sondern eben auch zu kontrollieren und gegebenenfalls dann daraus auch Konsequenzen zu ziehen. Und wir müssen natürlich schauen, dass wir auch die Ukraine dabei begleiten, diese Reformen, diese inneren Reformen umzusetzen. Und noch mal, die humanitäre Situation, über die wir hier ja kaum reden, ist eine, wo ich finde, da müssen wir sehr, sehr viel mehr tun, auch übrigens bei der Information. Die Informationskampagnen von russischer Seite sind ja so, dass, wenn Leute aus Donetzk kommen, aus der Ostukraine nach Kiew kommen, sie sehr, ja, einseitige Vorstellungen davon haben, was diese Auseinandersetzungen, die kriegerischen dort bedeuten.
    Grieß: Wir sprechen heute Morgen mit Katrin Göring-Eckardt, der Kofraktionschefin der Grünen im Deutschen Bundestag. Frau Göring-Eckardt, jetzt kommen wir noch zu einem anderen Thema, das Deutschland beschäftigt. Der Zustrom von Kosovaren nach Deutschland, mehr als 18.000 seit Jahresbeginn. Es gibt Bestrebungen mancher Bundesländer und in manchen Parteien, das Kosovo zu einem sogenannten sicheren Herkunftsland zu erklären. Das würde es erleichtern und beschleunigen, Kosovaren wieder abzuschieben in ihre Heimat. Ist das Kosovo ein sicheres Herkunftsland?
    Eingruppierung als sicheres Herkunftsland wäre symbolisch
    Göring-Eckardt: Vor allen Dingen würde das, ehrlich gesagt, in der Situation jetzt überhaupt nichts nützen. Und von daher finde ich diese Diskussion müßig und auch überflüssig. Das ist eher eine symbolische Diskussion. Die Frage ist, ob man das schaffen kann - die Innenminister haben ja gestern darüber gesprochen -, tatsächlich mehr Menschen einzustellen, die diese Asylverfahren durchführen können und sie dann auch zu beschleunigen. Also nicht zu beschleunigen im Sinne von, es gibt keine Einzelfallprüfung mehr, nur im Sinne von, es sind auch genügend Leute da, die das tun können. Und es ist ja ganz eindeutig, dass der größte Teil derjenigen, die aus dem Kosovo kommen, gar kein Asyl bei uns bekommen kann.
    Grieß: Eben. Nur, gerade mal ein Prozent der Asylanträge wird tatsächlich auch bewilligt. Da kann man doch davon ausgehen und da kann man doch argumentieren, dass Kosovo könnte, ähnlich wie Mazedonien, als sicheres Herkunftsland gelten.
    Göring-Eckardt: Was wir erlebt haben mit der Eingruppierung als sichere Herkunftsländer im letzten Herbst, hat ja nicht dazu geführt, dass weniger Menschen gekommen sind. Und das ist ja das eigentliche Problem, dass Leute sich erwarten, dass sie hierher kommen können und vor allen Dingen hier arbeiten können. Und ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Wenn man sich mit den Leuten unterhält, die jetzt in den Erstaufnahmen sind, und fragt, was kommen für Menschen, dann kommen vor allen Dingen Leute, die eine relativ gute Ausbildung haben und die sich erhoffen, aus der Krisensituation im Kosovo, aus der wirtschaftlich schwierigen Situation hierher zu kommen und hier arbeiten zu können. Und deswegen, glaube ich, ist diese Eingruppierung als sicheres Herkunftsland einfach nur symbolisch, und die Verfahren können auf andere Weise verkürzt werden. Und dann muss man überlegen, was das eigentlich bedeutet, wie man unterstützen kann bei dieser krisenhaften Situation. Und dann werden wir wieder dabei sein, zu fragen, wie ist das eigentlich mit den Fachkräften, die hier auch arbeiten könnten und dann vielleicht später auch wieder zurückkehren. Weil wir sie hier auch vorübergehend gebrauchen könnten.
    Es müssen mehr Fachkräfte eingestellt werden
    Grieß: Haben Sie denn, Frau Göring-Eckardt, schon Ihren Parteikollegen Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg ermahnt, auf keinen Fall wieder auf die Linie der Union einzuschwenken?
    Göring-Eckardt: Wir arbeiten, ehrlich gesagt, nicht mit gegenseitigen Ermahnungen, sondern wir sprechen miteinander. Und da ist es ganz eindeutig –
    Grieß: Nennen Sie es, wie Sie mögen, Zuspruch, Appell, Bitte ...
    Göring-Eckardt: Nein, alles das nicht. Wir haben da eine gemeinsame Einschätzung. Die Verfahren kann man beschleunigen. Aber dadurch, dass man mehr Leute einstellt und sich auf dieses Verfahren auch konzentriert, und dass man sich dann die Lage auch im Kosovo anschaut. Das werden auch in den nächsten Tagen Leute tun, auch aus Baden-Württemberg tun, um sich anzuschauen, wieso ist das eigentlich so, wieso kommen so viele Leute, und gibt es andere Möglichkeiten, da zu unterstützen.
    Grieß: Sagt Katrin Göring-Eckardt, die Kofraktionschefin der Grünen im Bundestag, zur Lage in der Ukraine und zur Debatte über Kosovo-Flüchtlinge in Deutschland. Frau Göring-Eckardt, danke schön für das Gespräch!
    Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch. Auf Wiederhören!
    Grieß: Ein gutes Wochenende, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.