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Ukrainische Armee
Viele Soldaten sterben außerhalb von Kampfeinsätzen

Es ist eines der heikelsten Themen des Kriegs im Donezbecken: Die Ukraine verliert viele Soldaten ohne Feindeinwirkung. Es sterben offenbar mehr Soldaten durch Selbstmord, Unfälle oder Alkoholmissbrauch als bei Kampfeinsätzen. Die Regierung gibt sie dennoch als Kriegsverlust an, wie Journalisten herausgefunden haben.

Von Florian Kellermann |
    Ein Soldat der ukrainischen Armee im Ort Troitske im Donezbecken nahe der Frontlinie des Ostukraine-Kriegs.
    Ein Soldat der ukrainischen Armee im Ort Troitske im Donezbecken. Viele Bewohner Dörfer an der Frontlinie sind schlecht zu sprechen auf die Soldaten. (Imago)
    Ein Wintertag im vergangenen Jahr, die Temperaturen liegen knapp über dem Gefrierpunkt: In einem Schützengraben in der Gegend von Mariupol feiert ein ukrainischer Soldat seinen Geburtstag. Er trinkt mit einem Kameraden. Die beiden geraten in Streit, einer greift sich ein Maschinengewehr. Er drückt ab. Im Armeebericht wird es später heißen: Der Getötete habe bis zum letzten Atemzug den Frieden verteidigt.
    Den Vorfall schildert Oleksij Bratuschtschak, Journalist der ukrainischen Internet-Zeitung "Ukrainska Prawda":
    "Ich habe versucht, offizielle Stellungnahmen zu solchen Vorfällen zu bekommen, also zu den sogenannten Verlusten ohne Kampfhandlungen. Aber das war unmöglich. Das Verteidigungsministerium hat mich an die Armeeführung verwiesen und umgekehrt. Auch die Militärstaatsanwaltschaft hat nichts gesagt. Dann habe ich die Gerichtsregister der vergangenen Jahre durchkämmt. Dort bin ich auf etwas über 30 Urteile gestoßen."
    Immer wieder hat der Journalist dabei entdeckt, dass die ukrainische Armee Todesfälle, die nichts mit Kampfhandlungen zu tun haben, als Kriegsverluste ausgibt. Wie oft das passiert, liegt im Dunkeln, denn nur die wenigsten Fälle landen vor Gericht:
    "Wenn ein Armeeangehöriger stirbt, steht der Familie eine Entschädigung zu. Das gilt aber nicht, wenn sich der Soldat das Leben nimmt oder wenn er stirbt, weil er betrunken war. Bei Soldaten, die eigentlich einen guten Leumund hatten, ändern die Vorgesetzten schon deshalb die Todesursache, um der Familie zu helfen."
    Imageprobleme
    Ganz nebenbei poliert das auch das Image der Armee auf. Denn der übermäßige Alkoholkonsum zeugt von mangelnder Disziplin und schlechter Moral. Oleksij Bratuschtschak nennt dafür zwei Gründe: Zum einen meldeten sich viele Ukrainer freiwillig zur Armee, die schon im bürgerlichen Leben nicht zurechtkommen und Alkoholprobleme haben. Zum anderen müssten die Soldaten zu lange an der Front dienen, bevor sie abgelöst werden. Das zermürbe viele.
    Die offiziellen Zahlen zu den Todesfällen ohne Kampfeinwirkung sind widersprüchlich. Insgesamt, seit Beginn der Kämpfe, seien es rund 650 Fälle gewesen, so das Verteidigungsministerium im Januar. An erster Stelle standen dabei, zumindest im vergangenen Jahr, Selbstmorde.
    Doch die Zahl scheint zu niedrig. Denn selbst die Militärstaatsanwaltschaft geht von knapp 1.300 Fällen aus. Im Sommer 2016 sprach Staatsanwalt Anatolij Matios auch erstaunlich offen über die Probleme. Er wies auf diejenigen Soldaten hin, die im Dienst an Krankheiten sterben:
    "Unsere Einberufungskommissionen arbeiten schlecht. Es gibt Ärzte, die meinen, Arbeitslose sollten lieber dienen. Sie schreiben Männer gesund, die ganz offensichtliche Anzeichen von Tuberkulose aufweisen oder von anderen Krankheiten."
    Doch dieser kurze Moment der Offenheit ist vorbei, heute verweigern die Behörden wieder jeden Kommentar.
    Ungeliebt, auch im eigenen Land
    Das ist ein Grund, warum viele Bewohner der Städte und Dörfer an der Frontlinie schlecht zu sprechen sind auf die Soldaten. Das spürt, wer sich in Awdijiwka umhört. Die Stadt ist seit Jahren umkämpft und wird fast täglich von den Separatisten beschossen. Dennoch schimpft ein 67-jähriger Rentner, in einer Straße, wo fast jedes Haus schon Treffer abbekommen hat, auch auf die ukrainische Armee:
    "Die werden für den Krieg auch noch bezahlt, die ukrainischen Soldaten, die hier stationiert sind. Als ich gedient habe, habe ich drei Rubel bekommen, das hat genau für Zahnpasta, für Schuhcreme und für Briefumschläge gereicht. Aber die kaufen Wodka und Bier."
    Vorbild US-Armee
    Andere Armeen gingen viel offener mit dem Thema um, sagt der Journalist Oleksij Bratuschtschak. Er nennt als Beispiel die USA. Sie gäben jährlich zig Millionen US-Dollar aus, um die Ursachen von Todesfällen ohne Kampfhandlungen zu erforschen. Und das sei sinnvoll:
    "Erinnern wir uns doch an 2014, welch große Probleme wir da in der Armee hatten. Es fehlte an Waffen, an Kleidung, selbst an Lebensmitteln. Nur, weil darüber viel gesprochen wurde, wird die Armee heute viel besser versorgt. Deshalb sollten wir auch jetzt sprechen über die Todesfälle ohne Kampfhandlung. Nur dann wird die Armeeführung etwas ändern daran, wie sie Soldaten einberufen lässt und wie diese dann behandelt werden."