Katja Lückert: Zuletzt in Chemnitz sind Werke des expressionistischen Künstlers Erich Heckel zu sehen. Heckel hatte übrigens schon vor seinem Tod 1970 begonnen, einige seiner Bilder an öffentliche Museen zu schenken, womit wir bei unserem ersten Thema wären. Allein in den vergangenen Monaten gab es bundesweit mindestens sechs Symposien zur Frage des Umgangs mit Künstlernachlässen, unter anderem gestern in Köln. Die Museen platzen aus allen Nähten. Zusätzliche Depots kosten Geld, die fachgerechte Lagerung von Kunst auch. Deshalb die Frage an Frank Michael Zeidler, dem Vorsitzenden des Deutschen Künstlerbundes: Warum haben wir jetzt so viele Nachlässe? Gibt es mehr Künstler, oder heben die mehr auf als früher?
Frank Michael Zeidler: Das ist eine sehr gute Frage. Interessanterweise ist es so, dass wir seit 1950, also nach dem Krieg, letztendlich ungefähr immer das gleiche Ausbildungsniveau haben. Wir haben ungefähr 10.000 Studierende, also Künstlerinnen und Künstler beziehungsweise Kunststudentinnen und Kunststudenten an den Akademien. Das hat sich eigentlich, haben wir festgestellt, über die Jahrzehnte hin nicht geändert. Aber es gibt in der Tat ein größeres Volumen, das zu managen ist, und es gibt immer mehr Künstlerinnen und Künstler, die auch auf dem Kunstmarkt aktiv und aktiver in Erscheinung treten, und wahrscheinlich alles zusammen ergibt eine Gemengelage, dass wir von einer größeren Menge von Kunst sprechen können, die im Moment und in Zukunft auf uns kommt.
Individuelle Lösungen finden
Lückert: Es müsste ja mit den Kunststudenten beginnen, die das Archivieren und vielleicht auch das Vernichten eigener Werke erlernen, wenn sie jung sind. Aber träumt nicht jeder Künstler auch von einem Frühwerk, das viel später dann entdeckt wird, was er dann, falls er es weggeworfen hat, nicht mehr haben kann?
Zeidler: Wir erleben individuelle Lebensentwürfe und entsprechend müssen natürlich dann auch für jede Lebensphase und natürlich dann auch für den Nachlass individuelle Lösungen gefunden werden. Was aber mit Sicherheit gesagt werden kann ist folgendes, dass es Sinn macht, sich im Laufe eines Lebens immer wieder neu zu sortieren und entsprechend dann auch sich möglicherweise von Dingen zu trennen, denn es macht ja Sinn, das Ganze als Lebenswerk oder als Gesamtwerk zu gestalten, und da gehört dieses Aussortieren eigentlich als künstlerischer Prozess hinzu. Es ist nicht so, wie das immer dargestellt wird, man soll die Dinge wegwerfen. Das ist eine sträfliche Verkürzung und eine Verallgemeinerung. Ich glaube, jeder Künstler wird das sofort unterschreiben, dass man aussortiert und dass man sich sortiert und dass man dabei Dinge auch möglicherweise entsorgt, das ist eigentlich selbstverständlich.
Lückert: Die Museen fordern jetzt Hilfe von Ländern und Kommunen zur Sicherung der steigenden Zahl von Künstlernachlässen. Wie könnte eine solche Hilfe aussehen?
Zeidler: Eine Hilfe ist mit Sicherheit die, dass man über Archive nachdenkt. Es gibt ein, ich will es fast so nennen, Musterarchiv, das Künstlerarchiv Brauweiler, in dem ich selber auch in der Jury bin, und ich kenne dadurch das Problem sehr gut. Es wird auf uns kommen, dass wir weit häufiger als bislang geschehen über derartige Depots und Archive nachdenken müssen. Da ist die Regierung beziehungsweise sind die Regierenden - die Länder würden ja dann greifen - auch gefragt. Und es ist wahrscheinlich weniger das Problem der Museen als der Regierenden, solche neuen Formen der Aufbewahrung einzurichten.
"Da haben sich nahezu romantische Vorstellungen entwickelt"
Lückert: Es ist ja nicht nur für Künstler schwierig, sich mit dem eigenen Tod zu beschäftigen, und es gibt ja nicht wenige Künstler, deren Werke erst nach ihrem Tod berühmt und wertvoll wurden. Ist diese Schwierigkeit überhaupt zu lösen? Manchmal finden sich ja im Nachlass eines Künstlers auch ungeahnte Schätze.
Zeidler: Es wird immer die Möglichkeit geben, dass Dinge erkannt werden. Es wird immer die Möglichkeit geben, dass Dinge unerkannt bleiben. Ich glaube, das gehört zum Menschsein dazu. Durch die digitalen Medien können heute Archivarbeiten weitaus eleganter und einfacher geleistet werden als in vergangenen Zeiten, und dadurch wächst natürlich dann auch die Begehrlichkeit, das eigene Werk oder den eigenen Nachlass dann später auch mal archivarisch verwalten zu lassen. Dass dies natürlich aber nicht immer geschieht und dass da möglicherweise auch Dinge dennoch verloren gehen, das, denke ich, muss man einfach auch ein Stück weit so hinnehmen, so bitter das auch sein mag. Wir müssen eines bedenken: So wie bislang Künstlernachlässe verwaltet und organisiert werden, da haben sich nahezu romantische Vorstellungen entwickelt, und das wird in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr so sein. Denn die Menge, die auf uns kommt, ist einfach weitaus größer als das, was wir bisher hatten.
Lückert: Frank Michael Zeidler, der Vorsitzende des Deutschen Künstlerbundes. Er betrachtet im besonderen Maße die Seite der Künstler beim Thema Nachlässe.
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