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Umgang mit Traumatisierten
Gegen den medialen Jagdtrieb

An der Deutschen Journalistenschule in München sollen Reporter in einem Workshop den richtigen Umgang mit Betroffenen von Amokläufen und Terroranschlägen lernen. Denn in der Vergangenheit wurden gravierende Fehler gemacht.

Von Burkhard Schäfers |
    Foto von Andreas Unger, Andreas Unger ist Leiter des Workshops "Begegnung mit dem Leid" an der Deutschen Journalistenschule.
    Ein Kameramann filmt am 25.07.2016 auf dem mit Blumen und Kerzen übersäten Gehweg vor dem Olympia-Einkaufszentrums in München, drei Tage nach einer Schießerei mit Toten und Verletzten. (dpa / Peter Kneffel)
    Unger: "Herzlich willkommen zu unserem Workshop an der Deutschen Journalistenschule ‚Begegnung mit dem Leid‘. Wir werden uns heute mit der Frage beschäftigen, wie wir als Journalisten Menschen gegenübertreten, denen Schlimmes widerfahren ist und wie wir anschließend darüber berichten. Ich freu mich auf den Tag mit euch."
    Andreas Unger steht in der Journalistenschule, ihm gegenüber die angehenden Reporter. Der Journalist berichtete für den Tagesspiegel vom Amoklauf in Winnenden 2009. Als er dort sah, wie einige Medienvertreter arbeiteten, dachte sich Unger: Das Thema gehört in die Journalistenausbildung.
    Unger: "Viele Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort sind, erfasst ein gewisser Jagdtrieb. Also wenn der Auftraggeber möchte, dass alles möglichst dramatisch, möglichst blutrünstig, möglichst tränengesättigt rüberkommen soll, dann muss man sagen, dass vielleicht eine sachliche Berichterstattung eher am Platz ist. Weil das Ereignis an sich schlimm genug ist. Man muss dann nicht über die Art, die Tonalität der Berichterstattung noch künstlich einen draufsetzen."
    Bei dem Journalisten-Workshop ist auch Gisela Mayer dabei. Der Amokläufer von Winnenden erschoss ihre Tochter, die als Lehrerin an der Albertville-Realschule arbeitete. In den Tagen und Wochen nach der Tat erlebte die Mutter etliche, wie sie sagt, "Fehltritte" von Journalisten:
    Auch der Friedhof mit dem Grab ihrer Tochter wurde belagert
    Mayer: "Dass ich vor laufender Kamera aufgefordert wurde, jetzt doch endlich mal zu heulen, weil der Beitrag wäre ja wohl uninteressant für die Menschen, wenn ich nicht anfangen würde, Tränen zu vergießen. Verletzend ist auch, wenn man versucht, ganz mutwillig an Orte zu gelangen, die ich nicht von der Öffentlichkeit betreten haben möchte, weil es eben sehr private Orte sind."
    So hätten Reporter versucht, in ihr Haus zu gelangen. Auch der Friedhof mit dem Grab ihrer Tochter sei belagert worden. Aber: Gisela Mayer will keine Medienschelte betreiben.
    Mayer: "Ich habe auch sehr viele kluge Gespräche geführt. Auch Betroffene, Angehörige von Betroffenen, haben etwas zu sagen. Diese Gesellschaft darüber zu informieren, was alles mit Menschen passiert, die in so eine Katastrophe hineingeraten. Denn wir haben leider Gottes immer mehr Menschen, die von irgendwelchen Anschlägen betroffen sind. Diese Gesellschaft muss damit umgehen können."
    Der Journalist Andreas Unger möchte verhindern, dass Medienvertreter verbrannte Erde hinterlassen. Deshalb hat er mit Gisela Mayer das Handbuch ‚Sensibel recherchieren und berichten‘ herausgegeben. Sein Rat: Journalisten sollten traumatisierte Betroffene eines Anschlags nicht überfallartig ansprechen.
    Journalisten sind heute sehr viel sorgsamer im Umgang
    Unger: "Es ist ne Ausnahmesituation, auch für den Berichterstatter. Wir sollten vorsichtig, aber auch natürlich mit den Menschen ins Gespräch kommen. Sich vorzustellen, wer man ist und was man gerne möchte. Und auch so zurückhaltend zu fragen, dass es immer noch eine Ausweichmöglichkeit für die Protagonisten gibt."
    Gisela Mayer sucht mit den Workshops für angehende Journalisten einen konstruktiven Ansatz, mit dem gewaltsamen Tod ihrer Tochter zu leben.
    Mayer: "Es hat sich seit Winnenden sehr viel verändert. Und zwar aus meiner Sicht sehr viel zum Positiven hin. Ich habe erfahren, dass Journalisten heute sehr viel sorgsamer sind im Umgang. Auch bei der Berichterstattung über Terroranschläge habe ich erlebt, dass sorgsamer mit den Angehörigen, mit den Opferfamilien umgegangen wird. Insofern: Wenn eine Katastrophe passiert, die man nicht verhindern kann, dann sollte man doch wenigstens die Chance wahrnehmen, daraus zu lernen."