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Umstrittenes Gerichtsurteil
Wohl bekomm's!

Die Brauerei Härle aus Leutkirch darf ihre Biersorten nicht mehr mit dem Begriff "bekömmlich" anpreisen. Das hat das Ravensburger Landgericht entschieden. Ein Wunder, dass Bier trinken überhaupt noch erlaubt ist, meint unser Autor.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Eine Bedienung trägt am 29.10.2013 in Erfurt (Thüringen) in einem Lokal ein Tablett mit Bier.
    Die Vokabel "bekömmlich" ist jedenfalls vertrackter, als es die Ravensburger Richter in ihrem Urteil zu erkennen scheinen, meint Burkhard Müller-Ullrich. (picture alliance / dpa - Marc Tirl)
    "Ich bekomme noch ein Bier", spricht der Gast zur Bedienung, und die bringt es und sagt: "Wohl bekomm's!" Das aber sollte sie nicht sagen, nicht in Deutschland, wo man zwar ein Bier bekommen kann, es einem aber nicht bekommen darf. Denn dann wäre es "bekömmlich", und der Begriff "bekömmlich" ist im Zusammenhang mit Bier tabu – sowohl in der Werbung als auch auf dem Etikett. "Aus gutem Grund", wie die Geschäftsführerin des Verbands Sozialer Wettbewerb erklärt: Mit Alkoholkonsum seien viele Gesundheitsrisiken verbunden. Die Zahl der Alkoholabhängigen sei groß, und die volkswirtschaftlichen Kosten für ihre Behandlung und so weiter.
    Ein Wunder, dass Bier trinken überhaupt noch erlaubt ist; auf der Grundlage der geschilderten Gefährdungen hätte die EU ja längst ein generelles Bierverbot erlassen müssen.
    Aber nein, bis jetzt richtet sich der ganze antialkoholische Eifer bloß auf das Wort "bekömmlich". Das sei eine gesundheitsbezogene Angabe, fand der Verband und reichte vor dem Landgericht Ravensburg Klage gegen eine süddeutsche Brauerei ein, die ihr Bier im Internet wahrhaftig als "bekömmlich" bezeichnet hatte. Das Gericht sah es genauso: bekömmlich habe etwas mit Gesundheit zu tun, und das EU-Recht verbietet für Getränke mit mehr als 1,2 Prozent Alkohol Angaben, die eine Verbesserung des Gesundheitszustands suggerieren.
    Ein Wort, viele Deutungen
    Aber bedeutet "bekömmlich" wirklich "gesund" oder etwas ähnlich Gesundheitsförderndes? Nicht unbedingt. Wenn man jemanden fragt, ob ihm das gestrige Essen oder die pralle Sonne gut bekommen sei, dann zielt die Frage keineswegs auf die Erwartung eines verbesserten Gesundheitszustands, sondern im Gegenteil: auf das Ausbleiben einer möglichen Verschlechterung. Bekömmlichkeit in diesem Sinne wäre also nichts anderes als Verträglichkeit. "Der Wein bekommt mir" heißt: Ich habe keine Übelkeit, kein Kopfweh und kein Sodbrennen bekommen.
    Andererseits kann man solche Auskünfte ebenfalls als gesundheitsbezogen bezeichnen. Dann aber gäbe es weniges, was nicht in irgendeiner Weise gesundheitsbezogen wäre: auch Aussagen über Wohlgeschmack ließen sich in Richtung Wohlbefinden interpretieren, und bekanntlich wirkt ein solcher Seelenzustand auf die körperliche Verfassung durchaus ein. Gesundheit in diesem umfassenden Sinne ist es ja, was man sich traditionell wünscht, wenn man ein Glas mit alkoholischem Getränk erhebt. Das dürfte dann auch in keiner Werbung mehr gesagt werden, nicht mal in anderen EU-Sprachen "santé" oder "salute".
    Das jedoch kann der Gesetzgeber nicht bezweckt haben, als er die Abgabe medizinischer Versprechungen untersagte. Es geht darum, die Irreführung von Konsumenten zu verhindern, nicht unser Vokabular nach Gutdünken umzupflügen, auch wenn der Verband Sozialer Wettbewerb sich gern in dieser Rolle übt.
    Die Vokabel "bekömmlich" ist jedenfalls vertrackter, als es die Ravensburger Richter in ihrem Urteil zu erkennen scheinen. Bekömmlich ist, was in einem umfassenden Sinne gut tut. "Wohl bekomm's" bedeutet nicht: dieses Getränk ersetzt die ärztliche Behandlung. Der Nutzen, den man einander durch den Ausruf "Prosit!" wünscht, liegt am wenigsten auf physiologischem Gebiet. Gemeint ist jener Gesamtzustand des Menschen, der sich dem Zugriff der EU-Gesetzgebung bis jetzt zum Glück entzieht.