Dina Netz: Kunden interessieren sich leider immer weniger für Autos und immer mehr für die Rabatte, die sie dafür bekommen. Mit diesem Lamento wurde Anfang der Woche der Deutschlandchef von Toyota in der "Süddeutschen" zitiert. Und ein Duisburger Branchenforscher sah diese Woche den neuen Golf schon mit 20 Prozent Rabatt im Angebot. Ob die Kunden sich weniger für Autos interessieren oder in Krisenzeiten einfach noch mehr aufs Geld achten, das sei mal dahingestellt – Tatsache ist jedenfalls, dass wir Kunden so umworben werden wie selten. Nicht nur die Autobauer überbieten sich in Rabattschlachten – das Gleiche gilt für Handys, Reisen, Badezusatz. Bleiben wir bei den Autoherstellern: Die haben große Einbrüche, weil der Fahrzeugmarkt in Europa seit Jahren schrumpft, und umso erbitterter kämpfen sie um den verbleibenden Markt, unterbieten sich gegenseitig in der Hoffnung, dass sie damit am Ball bleiben und irgendwann wieder bessere Preise kriegen. Frage an den Sozialpsychologen Harald Welzer – bisher ist dieses Kalkül ja auch immer aufgegangen, oder?
Harald Welzer: Na ja, es ist begrenzt aufgegangen. Eigentlich immer nur dadurch, dass sich andere Möglichkeiten eröffnet haben, sei es durch die legendäre Abwrackprämie, sei es – da sind wir dann schon 20 Jahre zurück – durch den Zusammenbruch des Ostblocks und die Erschließung neuer Märkte, oder jetzt eben neue Märkte im asiatischen Raum, aber aus eigener Kraft, als Innovatoren, haben sie eigentlich keine neuen Märkte erschlossen.
Netz: Dahinter steht ja – und wir wollen jetzt hier in der Kultursendung keine Betriebswirtschaft betreiben, sondern eher den Gedanken analysieren, der dahinter steht, nämlich dass immer alles noch größer, schneller, weiter werden soll, die Vorstellung vom immer währenden Wachstum, das höchstens mal kurz unterbrochen wird, obwohl nun schon seit Langem in allen Bereichen über Nachhaltigkeit gesprochen wird, hält sich diese Wachstumsideologie in der Wirtschaft erstaunlich hartnäckig, oder?
Welzer: Ja, und das ist eigentlich ein bisschen bitter, von jeder Seite her betrachtet, weil die Wirtschaftswissenschaften ja im Grunde genommen die letzten Jahrzehnte hinweg überhaupt keine Konzepte entwickelt haben, wie zum Beispiel eine Wirtschaft aussehen könnte, die ohne Wachstum auskommt, weil die Industrie wenig bis gar keine Fantasie darauf verwendet hat, sich neu zu erfinden. Also wenn wir gerade über die Autoindustrie sprechen, das ist ja vollkommen klar, dass die nicht so durchs 21. Jahrhundert kommen wird, wie sie durchs 20. gekommen ist, weil wir Rohstoffprobleme haben, Energieprobleme, die Welt nicht mit Straßen zupflastern können. Und anstatt sich als Mobilitätsdienstleister neu zu erfinden, haben sie ihre Fantasie da reingesteckt, die Autos größer zu machen mit den üblichen absurden Folgen, die wir ja jeden Tag auf der Straße sehen können, also diese monsterartigen sogenannten Stadtgeländewagen, die absurderweise überall durch die Gegend fahren. Das kann man ja nicht gerade als Ausgeburt von Kreativität und Ingenieursleistung sehen, das heißt, da ist unheimlich viel versäumt worden in dem Vertrauen darauf, dass Wachstum tatsächlich unendlich wäre.
Netz: Es gab schon 1972 den Bericht "Grenzen des Wachstums" an den Club of Rome, da ging es eben darum, dass die Ressourcen endlich sind, damit auch das Wachstum endlich sein müsse, und gerade weil das sich eben bisher nicht eingestellt hat, argumentieren viele Ökonomen noch, wegfallende Ressourcen, die werden halt immer durch andere ersetzt werden – kein Grund, das Wachstum abzublasen. Was sagen Sie denen denn?
Welzer: Ja, also Religion, nicht? Das ist also wirklich ein illusionärer Glaube, der tatsächlich auch darauf zurückgeht, dass unsere Form des Wachstumswirtschaftens entwickelt worden ist, als die Welt noch relativ klein gewesen ist. Also wir haben einen europäischen Raum gehabt, der eine kapitalistische Wirtschaft gehabt hat, also einen westeuropäischen, einen osteuropäischen, die ein anderes System gehabt haben, aber eines, was auch davon ausgegangen ist, dass Ressourcen unendlich zur Verfügung stehen, und dann halt noch Nordamerika, vergleichsweise kleiner Teil der Welt. Da kann man die Vorstellung entwickeln, die Welt ist so groß, sie hält gewissermaßen unendlich und über alle Zeiten hinweg die Ressourcen bereit, die man braucht, um so eine Wachstumswirtschaft zu betreiben.
72 haben Meadows und andere, Sie haben das erwähnt, in den Grenzen des Wachstums relativ hellsichtig darauf hingewiesen, dass das so nicht gehen wird, also unendliches Wachstum ist in einer endlichen Welt nicht möglich. Aber was wir halt seit zwei Jahrzehnten erleben und Globalisierung nennen, das zeigt ja ganz deutlich, dass wenn alle Gesellschaften der Erde diesem Wirtschaftsprinzip der Wachstumswirtschaft folgen, sind wir natürlich im Nullkommanichts am Ende der Fahnenstange angelangt, und dann kriegt man genau die Probleme, die sich jetzt schon allenthalben abzuzeichnen beginnen.
Netz: Wo kein Wirtschaftswachstum, da aber auch keine Innovation, das sagt zum Beispiel Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, denn dann sei die Finanzierung von Innovation nicht mehr realisierbar. Was antworten Sie?
Welzer: Also an der Stelle würde ich tatsächlich sagen, da sollten sich die Ökonomen mal an die Nase fassen, weil die haben seit 40 Jahren überhaupt keine Innovation gebracht, obwohl sie halt Teil des Wissenschaftssystems sind und hochsubventioniert von der Gesellschaft, da ist aber nichts an Innovation gekommen. Und dass die dann solche Glaubenssätze von sich geben, ist eigentlich nicht mehr als Ausdruck von Hilflosigkeit.
Die Innovationen im gesellschaftlichen Bereich kommen ja von ganz woanders her. Also wenn Sie zum Beispiel an so eine Innovation wie Carsharing denken, auf das jetzt die Autoindustrie aufspringt, indem sie selber Angebote macht, zumindest versuchsweise, das ist aus der Zivilgesellschaft gekommen. Und Sie finden viele andere Projekte, die dann von der Industrie adaptiert werden, weil man dann meint, man könnte damit profitabel arbeiten. Das sind Dinge, die kommen gar nicht dort her, wo vermutet wird, also nicht aus den sogenannten Wachstumstreibern.
Und ein anderer Aspekt ist – und da wird die Sache wirklich interessant –, es gibt ja jetzt einige Firmen, die modellhaft bilanzieren, nicht auf konventionelle Weise, sondern unter Einrechnung der sogenannten externalisierten Kosten. Externalisierte Kosten sind die Umweltkosten, also was praktisch den Allgemeingütern entnommen wird, was man braucht, um Dinge zu produzieren. Dazu gehört halt so etwas wie die Verschmutzung von Luft, die Verschmutzung von Böden, aber auch eben Wasser und all solche Dinge, die einstweilen noch keinen Preis haben. Wenn Sie jetzt mal so eine Bilanzierung sehen, dann stellen Sie fest, dass alles das, was an Wachstum erwirtschaftet wird, gar nicht aus eigener Kraft erwirtschaftet wird durch die Unternehmen, sondern auf der Grundlage der Inanspruchnahme dieser Allgemeingüter, also externalisierte Kosten. Und insofern sollte man auch da mal eine ganz andere Diskussion anfangen, worauf denn eigentlich die vorgebliche Wachstumsproduktion basiert.
Netz: Sie fordern ja einen radikalen Richtungswechsel in Sachen Energie, in Sachen Nachhaltigkeit. Wie soll der denn aussehen?
Welzer: Also zunächst mal fordere ich den nicht, sondern der wird kommen. Wir haben ja im Grunde genommen eine Situation im Moment, wo wir wissen, wo übrigens auch alle Unternehmer und alle, sagen wir mal, Menschen, die einigermaßen realistisch sind, wissen, dass man diese Form des Wirtschaftens nicht länger als weitere zwei Jahrzehnte fortsetzen kann, weil der Stress, der auf die Gesellschaften ausgeübt wird, dadurch, dass wir weiter Raubbau betreiben und entsprechende Folgen dadurch hervorbringen, der Stress wird ja immer größer. Insofern werden sich Gesellschaften unseres Typs und die Wirtschaftsformen sowieso wandeln.
Die Frage, vor der wir im Moment stehen, ist ja schlicht und ergreifend: Wie gestalten wir diesen Wandel, indem wir tatsächlich beginnen, andere Formen des Wirtschaftens – Postwachstum nennt man das – zu entwickeln, oder machen wir das so, dass wir die Welt nach Gewinnern und Verlierern sortieren und hoffen, dass wir zu den Gewinnern gehören? Und dann kann man sich mal anschauen, wie das denn eigentlich funktionieren könnte.
Es gibt ja Beispiele von Unternehmen, die beschlossen haben, nicht zu wachsen, und siehe da, sie gehen trotzdem nicht unter. Es gibt auch Unternehmen, die favorisieren ganz andere Mitbestimmungs- und Sozialmodelle, die nach klassischen Kriterien eben kein Wachstum monetär hervorbringen, aber dafür eine qualitätsvollere Produktion und zufriedenere Mitarbeiter. Also insofern kann man da mal anfangen zu suchen, was es eigentlich für Möglichkeiten gibt, anstatt wie der Pawlowsche Hund immer das weiter zu beten, was man irgendwann mal gelernt hat.
Netz: Sie sprechen auch immer wieder vom Redesign unserer Zukunft. Das klingt so, als ginge es da irgendwie mehr ums Aussehen als um die Inhalte. Können Sie das ein bisschen erklären.
Welzer: Dieser Begriff des Redesigns, der hat gleich zwei Bedeutungen. Einerseits müssten wir uns mal überlegen, nach welchen Kriterien wir überhaupt Zukunft gestalten wollen. Also wie soll die Welt eigentlich aussehen, in der wir in 20 Jahren leben wollen, also so wie jetzt, nur größer, dicker, fetter, mit noch größeren Autos und noch breiteren Autobahnen, oder vielleicht eine Welt, die eine lebenswerte Perspektive für zukünftige Generationen beinhaltet? Und das würde bedeuten, die muss kleiner sein – alles das, was wir haben, muss kleiner sein, weniger sein, ressourcenleichter sein, also weniger verbrauchen und unsere eigene Lebenswelt weniger zustellen, also eine Gestaltungsfrage. Und ja, das fällt nicht vom Himmel, sondern da muss man beginnen, jetzt wirklich gewissermaßen die Grundeinstellung zu verändern von alles immer mehr auf das Meiste immer weniger.
Netz: Herr Welzer, Sie haben gerade eine Professur für Transformationsdesign in Flensburg angetreten, die sich ja vermutlich genau mit diesen Themen beschäftigt. Was für Kurse gibt es denn da, was unterrichten Sie da?
Welzer: Na, zunächst mal bauen wir das als Forschungszentrum auf, und tatsächlich würden wir in Kooperation mit Wirtschaftswissenschaftlern versuchen, solche anderen Möglichkeiten und ihre wirtschaftliche Realisierbarkeit dann zu durchdenken und auch in die Lehre einfließen zu lassen, aber das steht alles ganz am Anfang.
Netz: Der Kulturwissenschaftler Harald Welzer, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Witten/Herdecke, Gründer von Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit und neuerdings auch Professor für Transformationsdesign in Flensburg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Harald Welzer: Na ja, es ist begrenzt aufgegangen. Eigentlich immer nur dadurch, dass sich andere Möglichkeiten eröffnet haben, sei es durch die legendäre Abwrackprämie, sei es – da sind wir dann schon 20 Jahre zurück – durch den Zusammenbruch des Ostblocks und die Erschließung neuer Märkte, oder jetzt eben neue Märkte im asiatischen Raum, aber aus eigener Kraft, als Innovatoren, haben sie eigentlich keine neuen Märkte erschlossen.
Netz: Dahinter steht ja – und wir wollen jetzt hier in der Kultursendung keine Betriebswirtschaft betreiben, sondern eher den Gedanken analysieren, der dahinter steht, nämlich dass immer alles noch größer, schneller, weiter werden soll, die Vorstellung vom immer währenden Wachstum, das höchstens mal kurz unterbrochen wird, obwohl nun schon seit Langem in allen Bereichen über Nachhaltigkeit gesprochen wird, hält sich diese Wachstumsideologie in der Wirtschaft erstaunlich hartnäckig, oder?
Welzer: Ja, und das ist eigentlich ein bisschen bitter, von jeder Seite her betrachtet, weil die Wirtschaftswissenschaften ja im Grunde genommen die letzten Jahrzehnte hinweg überhaupt keine Konzepte entwickelt haben, wie zum Beispiel eine Wirtschaft aussehen könnte, die ohne Wachstum auskommt, weil die Industrie wenig bis gar keine Fantasie darauf verwendet hat, sich neu zu erfinden. Also wenn wir gerade über die Autoindustrie sprechen, das ist ja vollkommen klar, dass die nicht so durchs 21. Jahrhundert kommen wird, wie sie durchs 20. gekommen ist, weil wir Rohstoffprobleme haben, Energieprobleme, die Welt nicht mit Straßen zupflastern können. Und anstatt sich als Mobilitätsdienstleister neu zu erfinden, haben sie ihre Fantasie da reingesteckt, die Autos größer zu machen mit den üblichen absurden Folgen, die wir ja jeden Tag auf der Straße sehen können, also diese monsterartigen sogenannten Stadtgeländewagen, die absurderweise überall durch die Gegend fahren. Das kann man ja nicht gerade als Ausgeburt von Kreativität und Ingenieursleistung sehen, das heißt, da ist unheimlich viel versäumt worden in dem Vertrauen darauf, dass Wachstum tatsächlich unendlich wäre.
Netz: Es gab schon 1972 den Bericht "Grenzen des Wachstums" an den Club of Rome, da ging es eben darum, dass die Ressourcen endlich sind, damit auch das Wachstum endlich sein müsse, und gerade weil das sich eben bisher nicht eingestellt hat, argumentieren viele Ökonomen noch, wegfallende Ressourcen, die werden halt immer durch andere ersetzt werden – kein Grund, das Wachstum abzublasen. Was sagen Sie denen denn?
Welzer: Ja, also Religion, nicht? Das ist also wirklich ein illusionärer Glaube, der tatsächlich auch darauf zurückgeht, dass unsere Form des Wachstumswirtschaftens entwickelt worden ist, als die Welt noch relativ klein gewesen ist. Also wir haben einen europäischen Raum gehabt, der eine kapitalistische Wirtschaft gehabt hat, also einen westeuropäischen, einen osteuropäischen, die ein anderes System gehabt haben, aber eines, was auch davon ausgegangen ist, dass Ressourcen unendlich zur Verfügung stehen, und dann halt noch Nordamerika, vergleichsweise kleiner Teil der Welt. Da kann man die Vorstellung entwickeln, die Welt ist so groß, sie hält gewissermaßen unendlich und über alle Zeiten hinweg die Ressourcen bereit, die man braucht, um so eine Wachstumswirtschaft zu betreiben.
72 haben Meadows und andere, Sie haben das erwähnt, in den Grenzen des Wachstums relativ hellsichtig darauf hingewiesen, dass das so nicht gehen wird, also unendliches Wachstum ist in einer endlichen Welt nicht möglich. Aber was wir halt seit zwei Jahrzehnten erleben und Globalisierung nennen, das zeigt ja ganz deutlich, dass wenn alle Gesellschaften der Erde diesem Wirtschaftsprinzip der Wachstumswirtschaft folgen, sind wir natürlich im Nullkommanichts am Ende der Fahnenstange angelangt, und dann kriegt man genau die Probleme, die sich jetzt schon allenthalben abzuzeichnen beginnen.
Netz: Wo kein Wirtschaftswachstum, da aber auch keine Innovation, das sagt zum Beispiel Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, denn dann sei die Finanzierung von Innovation nicht mehr realisierbar. Was antworten Sie?
Welzer: Also an der Stelle würde ich tatsächlich sagen, da sollten sich die Ökonomen mal an die Nase fassen, weil die haben seit 40 Jahren überhaupt keine Innovation gebracht, obwohl sie halt Teil des Wissenschaftssystems sind und hochsubventioniert von der Gesellschaft, da ist aber nichts an Innovation gekommen. Und dass die dann solche Glaubenssätze von sich geben, ist eigentlich nicht mehr als Ausdruck von Hilflosigkeit.
Die Innovationen im gesellschaftlichen Bereich kommen ja von ganz woanders her. Also wenn Sie zum Beispiel an so eine Innovation wie Carsharing denken, auf das jetzt die Autoindustrie aufspringt, indem sie selber Angebote macht, zumindest versuchsweise, das ist aus der Zivilgesellschaft gekommen. Und Sie finden viele andere Projekte, die dann von der Industrie adaptiert werden, weil man dann meint, man könnte damit profitabel arbeiten. Das sind Dinge, die kommen gar nicht dort her, wo vermutet wird, also nicht aus den sogenannten Wachstumstreibern.
Und ein anderer Aspekt ist – und da wird die Sache wirklich interessant –, es gibt ja jetzt einige Firmen, die modellhaft bilanzieren, nicht auf konventionelle Weise, sondern unter Einrechnung der sogenannten externalisierten Kosten. Externalisierte Kosten sind die Umweltkosten, also was praktisch den Allgemeingütern entnommen wird, was man braucht, um Dinge zu produzieren. Dazu gehört halt so etwas wie die Verschmutzung von Luft, die Verschmutzung von Böden, aber auch eben Wasser und all solche Dinge, die einstweilen noch keinen Preis haben. Wenn Sie jetzt mal so eine Bilanzierung sehen, dann stellen Sie fest, dass alles das, was an Wachstum erwirtschaftet wird, gar nicht aus eigener Kraft erwirtschaftet wird durch die Unternehmen, sondern auf der Grundlage der Inanspruchnahme dieser Allgemeingüter, also externalisierte Kosten. Und insofern sollte man auch da mal eine ganz andere Diskussion anfangen, worauf denn eigentlich die vorgebliche Wachstumsproduktion basiert.
Netz: Sie fordern ja einen radikalen Richtungswechsel in Sachen Energie, in Sachen Nachhaltigkeit. Wie soll der denn aussehen?
Welzer: Also zunächst mal fordere ich den nicht, sondern der wird kommen. Wir haben ja im Grunde genommen eine Situation im Moment, wo wir wissen, wo übrigens auch alle Unternehmer und alle, sagen wir mal, Menschen, die einigermaßen realistisch sind, wissen, dass man diese Form des Wirtschaftens nicht länger als weitere zwei Jahrzehnte fortsetzen kann, weil der Stress, der auf die Gesellschaften ausgeübt wird, dadurch, dass wir weiter Raubbau betreiben und entsprechende Folgen dadurch hervorbringen, der Stress wird ja immer größer. Insofern werden sich Gesellschaften unseres Typs und die Wirtschaftsformen sowieso wandeln.
Die Frage, vor der wir im Moment stehen, ist ja schlicht und ergreifend: Wie gestalten wir diesen Wandel, indem wir tatsächlich beginnen, andere Formen des Wirtschaftens – Postwachstum nennt man das – zu entwickeln, oder machen wir das so, dass wir die Welt nach Gewinnern und Verlierern sortieren und hoffen, dass wir zu den Gewinnern gehören? Und dann kann man sich mal anschauen, wie das denn eigentlich funktionieren könnte.
Es gibt ja Beispiele von Unternehmen, die beschlossen haben, nicht zu wachsen, und siehe da, sie gehen trotzdem nicht unter. Es gibt auch Unternehmen, die favorisieren ganz andere Mitbestimmungs- und Sozialmodelle, die nach klassischen Kriterien eben kein Wachstum monetär hervorbringen, aber dafür eine qualitätsvollere Produktion und zufriedenere Mitarbeiter. Also insofern kann man da mal anfangen zu suchen, was es eigentlich für Möglichkeiten gibt, anstatt wie der Pawlowsche Hund immer das weiter zu beten, was man irgendwann mal gelernt hat.
Netz: Sie sprechen auch immer wieder vom Redesign unserer Zukunft. Das klingt so, als ginge es da irgendwie mehr ums Aussehen als um die Inhalte. Können Sie das ein bisschen erklären.
Welzer: Dieser Begriff des Redesigns, der hat gleich zwei Bedeutungen. Einerseits müssten wir uns mal überlegen, nach welchen Kriterien wir überhaupt Zukunft gestalten wollen. Also wie soll die Welt eigentlich aussehen, in der wir in 20 Jahren leben wollen, also so wie jetzt, nur größer, dicker, fetter, mit noch größeren Autos und noch breiteren Autobahnen, oder vielleicht eine Welt, die eine lebenswerte Perspektive für zukünftige Generationen beinhaltet? Und das würde bedeuten, die muss kleiner sein – alles das, was wir haben, muss kleiner sein, weniger sein, ressourcenleichter sein, also weniger verbrauchen und unsere eigene Lebenswelt weniger zustellen, also eine Gestaltungsfrage. Und ja, das fällt nicht vom Himmel, sondern da muss man beginnen, jetzt wirklich gewissermaßen die Grundeinstellung zu verändern von alles immer mehr auf das Meiste immer weniger.
Netz: Herr Welzer, Sie haben gerade eine Professur für Transformationsdesign in Flensburg angetreten, die sich ja vermutlich genau mit diesen Themen beschäftigt. Was für Kurse gibt es denn da, was unterrichten Sie da?
Welzer: Na, zunächst mal bauen wir das als Forschungszentrum auf, und tatsächlich würden wir in Kooperation mit Wirtschaftswissenschaftlern versuchen, solche anderen Möglichkeiten und ihre wirtschaftliche Realisierbarkeit dann zu durchdenken und auch in die Lehre einfließen zu lassen, aber das steht alles ganz am Anfang.
Netz: Der Kulturwissenschaftler Harald Welzer, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Witten/Herdecke, Gründer von Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit und neuerdings auch Professor für Transformationsdesign in Flensburg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.