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Ungarn
Kampf gegen ausländische "Propagandisten"

In Ungarn läuft eine Kampagne gegen ausländische Korrespondenten. Ihnen wird Propaganda gegen die Regierung von Viktor Orbán vorgeworfen. Auch die wenigen ungarischen Journalisten, die noch kritisch berichten, müssen viel aushalten.

Von Clemens Verenkotte |
    Das Gebäude der Budapester Tageszeitung "Nepszabadsag", aufgenommen am 08.10.2016. Die unabhängige ungarische Traditionszeitung hat überraschend ihr Erscheinen eingestellt.
    Die meisten ungarischen Zeitungen sind im Besitz von Investoren, die der Regierung Orban nahe stehen. (dpa / Hauke-Christian Dittrich)
    "Eine Liste mit Namen von Journalisten ist ganz einfach eine Gefahr."
    Runa Hellinga, die Präsidentin des Vereins der Auslandspresse in Ungarn, ist Korrespondentin für holländische Tageszeitungen:
    "Ich meine, wir haben es in der Vergangenheit gesehen, dass solche Listen zu schlimmen Sachen führen können."
    Namensliste von Journalisten
    Es war das regierungsnahe Onlineportal "888", das mit einer Namensliste von Journalisten vier großer westlicher Medienhäuser für Aufsehen sorgte. Die Mitarbeiter des US-Mediums "Politico", der Nachrichtenagenturen Reuters und Bloomberg sowie des ZDF in Ungarn würden "nur voreingenommene, brandmarkende Propaganda" über Ministerpräsident Viktor Orban, dessen Kabinettsmitglieder sowie das Land verbreiten.
    Sie seien ausländische "Propagandisten" des US-Milliardär George Soros, der in Ungarn geboren ist. Àgnes Urbán, Dozentin am Institut für Medienforschung an der Corvinus Universität Budapest:
    "Meiner Meinung nach sollte man es als eine Botschaft interpretieren. Eigentlich ist dieser Schritt für mich ziemlich unfassbar. Erklären kann ich es mir nicht anders, als dass sie die Leute etwas verängstigen wollten. Dass die ausländischen Korrespondenten nicht das Gefühl bekommen, sie dürften alles. Aber ich bin mir überhaupt nicht sicher, dass sich irgendjemand von diesen verbale Drohungen und Warnungen hat einschüchtern lassen."
    Die namentlich genannten Journalisten von Reuters, Bloomberg, Politico und dem ZDF, so hieß es auf dem regierungsnahen Onlineportal "888", würden sich von George Soros "aushalten lassen, er wäre deren "Sugardaddy". Erst in dieser Woche hat die ungarische Regierung ihre Absicht erklärt, im kommenden Monat eine "Bürgerbefragung" durchzuführen, die sich gegen den 87-jährigen US-Milliardär richten soll. Bereits im Frühjahr war Soros Ziel einer landesweiten Plakat-Kampagne der Regierung geworden, die dessen angeblich liberale EU-Einwanderungspolitik an den Pranger stellte.
    Kaum noch unabhängige Medien in Ungarn
    Auch die wenigen regierungsunabhängigen ungarischen Medienerzeugnisse gerieten zusammen mit der Auslandspresse ins Visier von "888". Für den Präsidenten des ungarischen Journalistenverband, Miklós Hargitai steht fest:
    "Wir sind uns bewusst, dass es Listen gibt. Und wer auf der Liste ist, bekommt kein Interview von Regierungsbehörden. Sie werden keine Antwort auf ihre Fragen bekommen. Falls wir eigene Informationen haben und um Stellungnahme bitten, dann wird es in der staatlichen Presseagentur sofort mit der Regierungsinterpretation veröffentlicht."
    Miklós Hargitai stellt sich mit seinem Journalistenverband vor die angegriffenen Kollegen. Die Regierung schränke die Arbeitsmöglichkeit unabhängiger Journalisten kontinuierlich ein.
    "Die ungarische Medienlandschaft befindet sich in einer sehr speziellen Lage. Meiner Meinung nach ist sie beispiellos in Europa. Bei uns gibt es nicht die traditionellen Medienunternehmen, sondern politische Eigentümer. Diese Situation haben wir nicht hergestellt und auch Georges Soros hat damit gar nichts zu tun. Das hat sich nach 2010 herausgebildet, aufgrund der Regierungsintervention."
    13 von 18 ungarischen Regionalzeitungen befänden sich mittlerweile im Besitz von Investoren, die der Regierung Orban nahe stünden.
    Interview-Anfragen an die Regierung bleiben unbeantwortet
    Unabhängigen ungarischen Medien - sowie ausländischen Medien - schlägt, je näher der Termin für die nächsten Parlamentswahlen im Frühjahr 2018 herannaht, ein scharfer Wind entgegen. Ministerpräsident Orban machte bereist Ende Juli auf einer Veranstaltung vor Anhängern deutlich, wen und was er als seine Gegner betrachtet:
    "Und zum Schluss muss ich einige Worte über unseren Gegner sagen. Unsere richtigen Widersacher werden diesmal nicht die heimischen oppositionellen Parteien sein. Die Lage ist, dass in der kommende Kampagne müssen wir gegen äußere Kräfte standhalten. Gegen das Soros-Mafianetzwerk, die Bürokraten aus Brüssel, und müssen wir auch mit den sie unterstützenden Medien in nächsten neun Monaten kämpfen. Die Methoden kennen wir, überrascht können wir nicht sein. Finanzielle Erpressung, politische Bedrohung, Berichte, Medienkampagne, Verleumdungskampagne, Vertragsverletzungsverfahren und verschiedene Gesetzesartikel."
    Den Vorwurf der angeblichen "Einseitigkeit" der internationalen Presse weist die Vorsitzende des Vereins der Auslandspresse Runa Hellinga zurück.
    "Wir versuchen wirklich regelmäßig, Herrn Orban einzuladen, Minister einzuladen, ja, Leute von der Regierungsseite einzuladen, um ihren Blick auf die Sachen zu geben und - die kommen ganz einfach nicht."
    Interview-Anfragen des ARD-Studios Wien beim regierungsnahen Online-Portal "888" blieben unbeantwortet.