Archiv

Unicef-Bericht
Jeder zweite Flüchtling ist ein Kind

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen schlägt Alarm: Fast die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit sind laut Unicef inzwischen Kinder. Fast 50 Millionen Minderjährige hätten ihre Heimat verlassen, um Gewalt oder Hunger, Armut oder Kriminalität zu entkommen. Immer mehr Mädchen und Jungen machten sich allein auf den Weg - ohne den Schutz der Eltern.

Von Georg Schwarte |
    Zwei Flüchtlingskinder liegen im Gras vor einem Stacheldrahtzaun, der Griechenland von Mazedonien trennt. Im Hintergrund ist ein Panzer mit Grenzschutzbeamten zu sehen.
    Flüchtlinge aus Idomeni (EPA / dpa picture-alliance)
    Wenn Justin Forsyth, stellvertretender Unicef-Direktor von über 50 Millionen Kindern auf der Flucht redet, dann hat er nicht Zahlen, sondern Bilder im Kopf. Da ist das junge Mädchen aus dem Norden Nigerias. Geflohen vor Krieg und Terror. Fast verdurstet in der Wüste. Und dann in einem Erdloch in Libyen gefangen gehalten. Acht Monate. Vergewaltigt. Wieder und wieder:
    "Irgendwann kam sie über das Meer nach Lampedusa. Ist jetzt in Sizilien, aber ihre Schleuser wollen sie immer noch als Prostituierte verkaufen."
    Der Unicef-Bericht: eine Zusammenfassung des Grauens
    Der erste globale Bericht zu Flucht und Migration von Kindern – er ist eine Zusammenfassung des Grauens. 28 Millionen der 50 Millionen Kinder – auf der Flucht vor Krieg und Terror. Die Gesamtzahl der Flüchtenden – sie hat sich im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt. Als das Bild des im Mittelmeer ertrunkenen Jungen Aylan Kurdi um die Welt ging, hielt die Welt kurz inne:
    "Aber dieser kleiner Junge, der starb, er ist eben nur ein kleiner Teil der großen traurigen Erfahrung von Kindern und ihren flüchtenden Familien."
    Kinder stellen ein Drittel der Weltbevölkerung, aber die Hälfte aller Flüchtlinge. 70 Prozent aller Kinder, die in Europa in diesem Jahr bisher einen Asylantrag stellten, kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. 100.000 davon kamen allein. Eine Zahl, drei Mal höher als noch 2014. Kinder und Flucht. Traurige Superlative überall:
    Traurige Superlative überall
    Eine wachsende Krise. Eine Krise für Kinder und mit Kindern. Während Italien sich laut Unicef bemühe, speziell Kindern Bildung, Pflegefamilien, Trauma-Aufarbeitung zu gewährleisten, gehe es anderswo deutlich schlimmer zu:
    "In Griechenland und in Teilen des Balkan ist es dramatisch schlechter. In Griechenland bekommen Kinderflüchtlinge, die allein kommen, praktisch keine Hilfe."
    Am 19. und 20. September finden hier in New York gleich zwei Flüchtlingsgipfel statt. Von den Vereinten Nationen und auf Einladung der USA. Dass die deutsche Kanzlerin nicht dabei sein wird, für Unicef-Direktor Justin Forsysth kein Grund, ihre Rolle nicht als Muster für die Welt zu loben:
    "Die Deutschen sollten stolz sein, eine Kanzlerin mit diesen Prinzipien zu haben"
    "Angela Merkel ist außerordentlich mutig und von Prinzipien getrieben. Eine der grössten Menschenfreunde unserer Zeit. Die Deutschen sollten stolz sein, eine Kanzlerin mit diesen Prinzipien zu haben."
    Für die anstehenden Flüchtlingsgipfel hat Unicef sechs Kernforderungen aufgestellt. Kinder müssten vor Ausbeutung und Gewalt geschützt werden. Kein asylsuchendes Kind dürfe in Haft sein. Familien sollten zusammengehalten, Kindern Schule und Bildung gewährt und auf der ganzen Welt Diskriminierung und Fremdenangst bekämpft werden. Die simple Botschaft an die Welt voller flüchtender Kinder: Behandelt Kinder wie Kinder, sagt der Unicef-Direktor:
    "Nach allem, was sie erlebt haben, Gewalt, Vergewaltigung, Krieg und Tod. Die erste Reaktion muss stets humanitäre Hilfe sein."
    Die UN-Kinderrechtscharta. Sie weise den Weg. Dass die USA sie bis heute nicht ratifiziert haben, nicht der einzige Schönheitsfehler einer Welt, auf der mittlerweile jeder zweite Flüchtling jünger als 18 Jahre ist.