Archiv
Universitäten
"Religionswissenschaft ist eine religiös neutrale Wissenschaft"
Welche Studienfächer besonders gefördert werden, hängt auch von den Bedürfnissen von Gesellschaft und Politik ab. Wenn es danach ginge, müsste die Religionswissenschaft in Deutschland seit Jahren auf dem Vormarsch sein. Gerade wenn immer mehr Bürger völlig verschiedenen religiösen Hintergründen und Biografien in Deutschland zusammen leben und auch leben wollen, könnte der akademische, der wissenschaftliche Blick auf die Religionen den Blickwinkel für den jeweils anderen verändern und Debatten versachlichen helfen. Wie steht es um die Religionswissenschaft in Deutschland? Einer der diese Frage beantworten kann, ist Professor Hartmut Zinser, Religionswissenschaftler an der Freien Universität Berlin.
Hier finden Sie zentrale Thesen aus diesem Gespräch zum Nachlesen:
"Im internationalen Vergleich stehen wir da ganz gut da. Allerdings gibt es einen großen Unterschied. In Deutschland sind die meisten Institute Ein- oder Zwei-Professoren-Institute. In Amerika zum Beispiel sind es in der Regel fünf, sechs oder gar sieben. So kenne ich es auch aus England. Es gibt dort dafür weniger Standorte. Nun ist Religionswissenschaft eine vergleichende Wissenschaft, das heißt: Man muss vergleichen die verschiedenen Religionen und auf die verschiedenen Zeiten. Um da richtig kompetent zu sein, sollte man die kennen. Und dazu braucht man eigentlich mehrere Personen. In Deutschland aber wollen die werten Kollegen alle ihre kleinen Fürstentümer behalten. Das bedeutet eine Beschränkung, wenn sie nicht an einen Ort gehen. Mal abgesehen von Erfurt, wo jetzt dieser Kongress stattfand, sind die doch immer nur mit ein, zwei, maximal drei Professoren ausgestattet. Und wenn Sie daran denken, wie haben mindestens fünf, sechs oder sieben große Weltreligionen – Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, chinesische Religionen, dann das, was man so unter genealogische Religionen zusammenfasst – dafür braucht man eigentlich jeweils schon Spezialisten. Und das haben wir in Deutschland nur ausnahmsweise."
"Ich sehe zwei große Aufgaben. Der eine Punkt ist, dass unsere Gesellschaft, was religiöse Bildung anbelangt, völlig heruntergekommen ist. Das zeigt, dass wir eine Aufgabe haben, nicht nur zur religiösen Bildung beizutragen. Da wir mittlerweile eine multi-religiöse Gesellschaft sind, ist es wesentlich, dass die Menschen genügend informiert sind über andere Religionen, damit sich keine falschen Vorstellungen, Vorurteile, Ängste oder auch Liebeserklärungen an Religion machen, sondern dass sie sachlich korrekt wissen, was die anderen machen. Wie sieht ihr Festkalender aus, was ist ihnen nicht erlaubt, was wünschen sie nicht? Das ist für ein friedliches Zusammenleben dringend erforderlich.
Die zweite große Aufgabe der Religionswissenschaft sehe ich darin, dass in die Religionen – man mag sie mögen oder nicht, man mag sie kritisieren – kulturelle Erfahrungen eingegangen sind, die zum Teil uralt sind. Es ist eine Weisheit drin, nicht nur, es gibt auch Fehler, aber in vielen liegt sie drin. Die sind aber in religiöser Sprache artikuliert. Eine Aufgabe der Religionswissenschaft sehe ich darin, diese zu übersetzen in eine allgemein verständliche Sprache, denn wir könnten vielleicht daraus etwas lernen. Und es mag uns dann in den Stand setzen zu sagen: Nee, damit wollen wir nichts zu tun haben - oder es ist vielleicht doch eine sehr kluge oder weise Einsicht gewesen."
"Theos logos" – griechisch Gott und Rede. Der spricht über seinen Gott. Die Religionswissenschaft kann diese Voraussetzungen überhaupt nicht akzeptieren. Religionswissenschaft spricht über die Vorstellungen, die Menschen sich von Gott und ihren Göttern – auch im Plural immer – machen. Das ist etwas ganz anderes. Und das kann ich empirisch erkunden. Ich kann sie fragen, wie sieht denn ihr Gott aus, erzählen sie mir das mal. Das kann ich dann zur Kenntnis nehmen. Ob der Gott wirklich so aussieht, wie sie ihn beschreiben, das ist eine ganz andere Frage, die interessiert die Religionswissenschaft nicht. Das heißt, Religionswissenschaft ist eine neutrale, religiös neutrale Wissenschaft. Sie teilt die religiösen Voraussetzungen des Glaubens nicht. Sie hat aber andere Voraussetzungen – das muss man dazu sagen. Nämlich zum Beispiel die Voraussetzung, dass alles in der Welt natürlich und rational zugegangen ist. Da sehe ich eine wichtige Aufgabe, denn – wie Sie wissen – sind ja 40 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik aus der Kirche ausgetreten. Und für eine Verständigung zwischen den Religionen ist so eine – ich nenne es mal – neutrale Position sicherlich sehr hilfreich."