"Verhaftet uns doch alle, wir sind alle Aktivisten", steht auf einem Banner zu lesen. Und "Wir sind alle Zefzafi", rufen die Menschen auf den Straßen von Al Hoceima. Der 39-jährige Aktivist Nasser Zefzafi, Leitfigur der Unruhen in Nord-Marokko, ist am Montag festgenommen worden. Wegen "Gefährdung der inneren Sicherheit". Seitdem halten die abendlichen Proteste in der Küstenstadt und anderen Gemeinden in der Berberregion an – nach dem Fastenbrechen gehen die Leute auf die Straße, tausende.
Der Vorwand für Zefzafis Festnahme war sein wütender Auftritt in der großen Moschee seiner Heimatstadt. Dient die Moschee Gott oder der Zentralmacht – mit diesen Worten unterbrach Zefzafi vor einer Woche die Predigt. König und Regierung warf er vor, nicht genug zu tun gegen die soziale Misere im Norden. Nach diesem Vorfall kam es zu Ausschreitungen.
Freilassung der Gefangenen gefordert
Rund 40 Festnahmen hat es seitdem gegeben, nach offiziellen Angaben. Ein Anwalt sprach von 70 Festgenommenen – Anlass für Streiks und weitere, bislang zumeist friedliche Proteste in Al Hoceima, bei denen die Demonstranten selbst dazu aufriefen, friedlich zu bleiben. Auch in Rabat und Casablanca gab es Versammlungen, die die Polizei rigide auflöste.
Die wichtigste Forderung der Bewegung ist jetzt die Freilassung der Gefangenen, allen voran ihrer Ikone Zefzafi. Nasser Zefzafi, seit Ewigkeiten arbeitslos, ist einer der Köpfe der Protestbewegung. Sie richtet sich gegen die jahrzehntelange Vernachlässigung des Berber-Rifs, eine der ärmsten Regionen Marokkos.
Kaum Jobs, kein richtiges Krankenhaus
Die Regierung hält die Lage für brisant, versprach im Frühjahr ein Milliarden-Investitionsprogramm. Doch noch ist davon nicht viel zu sehen. Kaum Jobs, kein richtiges Krankenhaus, oft nicht mal Strom oder Wasseranschluss – damit wollen sich viele in der Provinz Al Hoceima nicht mehr abfinden, erklärt Taib Madmad, Generalsekretär der marokkanischen Menschenrechtsvereinigung.
"Die Leute sind es leid, in der Misere zu leben und gleichzeitig zu sehen, wie öffentliche Gelder verschwendet werden. Sie brauchen Krankenhäuser, Straßen und Arbeit, um leben zu können."
Der Ton wird deutlich rauer
Seit November schon gibt es die Proteste, nachdem ein Fischverkäufer in einer Müllpresse ums Leben gekommen war. Er hatte versucht, seine beschlagnahmte Ware zu retten. Die Regierung suchte zunächst den Dialog. Der König selbst beorderte Regierungsvertreter in die Region, der Gouverneur wurde abgelöst.
Doch seit Nasser Zefzafis Auftritt in der Moschee und den folgenden Schlägereien wird der Kurs repressiver, wie nicht nur die jüngsten Festnahmen zeigen. Maroc Diplomatique, ein regierungsnahes Nachrichtenportal, nannte Zefzafi in dieser Woche einen Ayatollah der Schande und Söldner der Umstürzler – der Ton wird deutlich rauer in der öffentlichen Auseinandersetzung, die sich vor allem in den sozialen Netzwerken abspielt.
Zefzafi seinerseits nannte Marokko öffentlich eine Diktatur – das aber könnte als direkter Angriff auf das Staatsoberhaupt verstanden werden. Ein Schritt über die rote Linie – Mohammed VI. ist tabu – er wird von vielen Marokkanern als oberster Modernisierer gesehen. Doch an den Missständen im Rif hat sich in den jetzt 18 Jahren seiner Amtszeit wenig geändert, sagen die Demonstranten. Und die nun anstehenden Prozesse gegen Nasser Zefzafi und seine Mitgefangenen werden kaum geeignet sein, die Proteste abreißen zu lassen, da ist sich der Pariser Maghrebspezialist Kader Abderrahim sicher.
"Regierung muss auf Repression verzichten"
Wird Al Hoceima nun zum Keim eines zweiten arabischen Frühlings? So ein Szenario sei wenig wahrscheinlich sagt er im Radiosender RFI. "Marokko ist einer der ältesten Staaten der Welt und bestens ausgestattet, die Kontrolle zurückzugewinnen."
Die Regierung müsse dabei auf exzessive Gewalt und Repression verzichten, sagt der Forscher, und mit der sozialen Bewegung im Gespräch bleiben. Vor allem aber müsse sie ihre Beschwerden ernst nehmen.
Nasser Zefzafis Mutter hat nun den König angefleht, Gnade walten zu lassen, damit der Sohn frei kommt. Nach Informationen marokkanischer Medien hat der inhaftierte Aktivist bislang noch nicht einmal einen Anwalt gesehen.