Es ist 05:30 Uhr. In Asmara, der Hauptstadt von Eritrea, setzt sich eine alte behäbige Dampflok langsam in Bewegung. Das erste sanfte Licht der Dämmerung breitet sich am Horizont aus. Wir verlassen das Eisenbahndepot. Die dunklen Silhouetten entschlüsseln sich vor dem pastellfarbenen Himmel zu hohen Bergketten und Wäldern. Die Hochebene Eritreas, auf 2300 m gelegen, erwacht. Die Lok keucht vorbei an verrosteten Panzern und alten Verschlägen mit Einschusslöchern. Kahle Stellen auf den Berghängen wirken wie Narben, die der lange Befreiungskrieg in der Landschaft hinterlassen hat.
Seit Jahren gibt es auf dieser Strecke keinen regelmäßigen Zugverkehr mehr. Nur wenn Touristen kommen, werden die alten Lokomotiven aus den 20er-Jahren, die von den Italienern nach Eritrea gebracht wurden, angeheizt und stampfen die atemberaubende Strecke entlang. Diese Woche ist eine Reisegruppe aus Deutschland eingetroffen.
Die Gesichter der Zugenthusiasten sehen heute Morgen noch müde aus. Es wird noch nicht viel gesprochen. Doch wenn die alte Lok die ausgewählte Stelle erreicht hat, stehen alle angespannt und konzentriert auf ihrer Position, um ein möglichst perfektes Bild zu erhaschen. Funktionskleidung und hochwertige Kameratechnik kommen hier zum Einsatz. Sekunden zählen. Sekunden, in denen das Licht, die Position der Eisenbahn und die Einstellungen der Kamera stimmen müssen.
Rolf, Anfang 40, aus Bielefeld steht in Khaki Hose und blau Karierten Hemd mit 2 Kameras um den Hals bereit. Er ist erst seit kurzen vom Eisenbahnfieber ergriffen.
"Es ist so ähnlich wie bei einem Sportler. Wenn der Pfiff ertönt oder der Reiseleiter sagt Fotostopp, dann ist man... in Bereitstellung. So als wenn es lauten würde: Auf die Plätze, fertig, los. Dann geht der "run" auf die besten Plätze los. Die meisten sind so diszipliniert, dass sie mitdenken. Aber ein, zwei fallen immer aus dem Rahmen oder stehen im Weg. Die sind dann doch sehr egoistisch. Dann scannt man die Gegend. Schaut wo die Position ist, wo man hin will. Da rennt man hin. Und dann muss alles passen: Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund und die Lokomotive muss natürlich der Mittelpunkt des Bildes sein. Also ich bin jetzt kein verbissene Eisenbahner, der jetzt nur Bilder schießen muss. Ich hab auch Spaß am drum herum."
Die Zugenthusiasten mustern ihre Fotos, während die Lok sich zurück rollen lässt, damit bei der zweiten Anfahrt, noch bessere Fotos gemacht werden können. Die Sonne steigt majestätisch hinter dem gigantischen Bergpanorama hervor. Dies ist der wichtigste Augenblick. Das ideale Licht.
Die Zugenthusiasten stehen wie Gämsen am Berghang, gut getarnt, aufmerksam und voller Spannung. Es wird kaum gesprochen. Höchste Konzentration.
Das Wichtigste Morgenlicht ist vorbei. Nun wird es höchste Zeit für den ersten Wasserstopp der Lokomotive. Da alle Streckeneinrichtungen im Krieg zerstört wurden, behilft man sich mit einer einfachen Lösung. Auf einer steinernen Brücke fährt ein Tankwagen vor. Er lässt einen Schlauch herunter, er die unten stehende Lok mit Wasser versorgt.
Fasziniert von der simplen Idee schauen die Bildjäger zu und halten alles fotografisch fest. Die Eisenbahner scheinen daran gewöhnt zu sein. Herbert, ein gemütlicher Schweizer mit grauen Haaren und Vollbart hat genug fotografiert und packt gerade seine Kamera mit einem übergroß wirkenden Objektiv in seinen Rucksack. Er arbeitet für die Schweizer Bahn und ist schon auf vielen Zugreisen dabei gewesen.
"Es geht ja darum, dass wir Züge fotografieren können, die in Fahrt sind und zwar vorwärts und nicht rückwärts wenn möglich. Und das ist das was die Faszination ausmacht. und (wie du jetzt gesehen hast) auch mit Passagieren... Mit echten Passagieren. Wenn es auch nur gestellt ist. Aber es soll wenigstens so aussehen, als wenn der Zug noch im Regelbetrieb fahren würde. Wenn ich einen Regelzug fotografiere bei uns zu Hause. Dann kommt er einmal und dann ist er vorbei. Und hier fährt er einfach wieder zurück und kommt wieder und wenn die Fotos nichts geworden sind dann geht er nochmals zurück. Und so wiederholt sich das den ganzen Tag und so dauern die Tage 12 Stunden, fast ohne Unterbruch. Langsam hat man dann Hunger und Durst oder Lust auf ein Bier.
Jetzt sind schon etwa 3000 Bilder die ich gemacht habe in den fünf Tagen. Davon wird etwa schätzungsweise die Hälfte gelöscht. Das gibt tagelange Arbeit, die zu sichten und auszusortieren."
Der Reiseleiter Bernd Seiler aus Berlin ist zum sechsten Mal in Eritrea. Er kennt die unterschiedlichen noch existierenden Loks und die Zugmitarbeiter vor Ort sehr gut. Für seine Touristengruppen chartert er komplette Züge: Mal mit einheimischen Statisten an Bord und mal nur mit Güterwaggons. Alles soll möglichst authentisch wirken.
Bernd Seiler erinnert sich, wie seine Leidenschaft für Dampfloks angefangen hat, damals, als Kind:
"Die Dampflokomotive hat natürlich eine besondere Anziehungskraft. Besonders wenn man kleiner ist als die Treibräder einer Schnellzuglok, die bei einem Klassenausflug 1975 2 Meter maßen und ich vielleicht 1,50m oder 1,40m oder so was. Und da war es extrem beeindruckend, wie die Maschinen mit 120km/h über die Schienen gejagt ist. Und als wir abgekommen sind, stand sie eben noch vor dem Zug und da sind wir als kleine Jungs da vor gelaufen und haben die ganze Atmosphäre und die Geräusche und den Geruch der Dampflok aufnehmen können. Und das hat geprägt.
Die verhalten sich wie Lebewesen. An sich ist es eine ganz normale Maschine, die Züge ziehen soll. Aber genauso, wie andere Leute ihre Motorräder oder ihre Auto hätscheln gibt es eben Menschen, die von etwas größeren Maschinen fasziniert sind. Die auch nicht einheitlich sind, sondern sehr individuell.
Keine Dampflok verhält sich wie die andere. Manche fahren sich sehr sanft und weich. Andere eher rau und ruppig, die Lagerspiele sind unterschiedlich, die Einstellungen die man an den Reglern macht sind alles etwas unterschiedlich. Und die haben einen eigenen Charakter diese Maschinen. Sie verhalten sich wirklich anders."
Mit frisch gefüllten Wassertanks bewegt sich die alte Lok gemächlich auf der Strecke. ´Regelmäßig zischt ohrenbetäubend der Dampf aus den Achsen. Auf der rechten Seite geht es plötzlich etwa hundert Meter steil in den Abgrund. In den Tälern liegen noch dicke Wolkenteppiche, die sich mit Hilfe der Sonnenkraft gerade aufzulösen beginnen. Eine atemberaubende und scheinbar unberührte Landschaft erstreckt sich vor unseren Augen.
Überraschenderweise gibt es auch eine Frau in der Reisegruppe. Beate begleitet ihren Mann Lars und hat selbst vor kurzen mit dem Filmen begonnen.
"Meine Kollegen freuen sich, wenn ich erzähle wo ich hin fahre. Sie finden es auch faszinierend aber sie würde es selbst nie tun. Wir müssen kurz ruhig sein, der Zug kommt, ich möchte filmen."
"Mein Freund hat schon viele Touren vorher gemacht und ich fand das immer interessant was er für Bilder gezeigt hat. Er war in Regionen, wo man sonst als normaler Tourist nicht so hin kommt. Und da habe ich gesagt, ich möchte unbedingt nach Myanmar und da war ich dann das erste Mal auf so einer Eisenbahn Tour und hab Lunte gerochen. Für mich ist es eher das Reisen, die Länder zu sehen und dann hat es irgendwann Spaß gemacht zu fotografieren. Ich wollte nicht nur dabei stehen und zuschauen, sondern ich wollte auch die Eisenbahn fotografieren. Aber für mich ist das Reisen wichtiger als die Eisenbahn. Die Kombination ist schon interessant.
Es gibt authentische Züge in Eritrea und die Bahn ist noch nicht so zu gebaut mit neuen Stellwerken, wie das in Deutschland ist. Deswegen ist das hier ein interessantes Reiseland."
Nach und nach kommen immer mehr Kinder an die Aussichtspunkte der Zugenthusiasten. Sie kennen das Prozedere bereits und freuen sich über die skurrile Abwechslung zu ihrem Alltag. Die Armut dieses Landes fällt sofort ins Auge. Zerrissene Kleidung, viel zu kleine Schuhe, wenn man angesichts der Stoff- und Kunststoffreste an den Füßen überhaupt von Schuhen sprechen kann. Einige Kinder tragen nur eine zerrissene Unterhose.
Für die Kinder ist es etwas besonders, Touristen in ihrem Land zu sehen, denn bisher öffnet Eritrea kaum seine Tore zur Welt. Die Kinder freuen sich über kleine Stücke Schweizer Schokolade von Herbert oder Kugelschreiber, die Beate und ihr Freund Lars aus Deutschland mit gebracht haben. Nach Geld wird hier noch nicht gefragt.
Herbert ist zum zweiten Mal in Eritrea.
"Es gefällt mir noch besser, weil ich viele Leute wieder getroffen habe, die ich damals kennen gelernt habe und das ist ein schönes Erlebnis für mich und für die Leute auch. Ich habe ihnen Fotos mitgebracht. Und ich habe ihnen auch versprochen, dass ich ihnen die neuen Bilder schicke.
Meine Freunde können das also nicht so gut begreifen... Also einige. Die gehen lieber irgendwo in den Urlaub, wo man baden kann. Wo es nicht so exotisch ist, wie jetzt Eritrea."
Die meisten Teilnehmer der Gruppe sind zum ersten Mal in diesem weitgehend unbekannten afrikanischen Land. Einem Land, das nach einer wechselvollen Geschichte und nach 30 Jahren Befreiungskrieg gegen Äthiopien 1993 endlich unabhängig geworden ist. Die Eisenbahn verdankt es dem ehemaligen Kolonialherren Italien. Die Italiener machten Asmara zur Hauptstadt und verbanden sie durch die Eisenbahn mit der Handelsstadt Massawa am Roten Meer. Als die Briten die mittlerweile faschistischen Kolonialherren vertrieben, demontierten sie große Teile der Infrastruktur des Landes und verschifften sie in andere britische Kolonien. In den 60er-Jahren kam Eritrea per UN-Beschluss unter äthiopische Verwaltung. Damals gab es die Eisenbahn noch, auch wenn sie längst nicht mehr regelmäßig fuhr. Mit dem Beginn des Unabhängigkeitskrieges schien ihr Schicksal besiegelt.
"Die Eisenbahn wurde zwischen 1975 und 1990 nahezu komplett demontiert. Die Schienen wurden verwendet für den Bunkerbau im Befreiungskrieg und das Ganze Material war in alle Winde zerstreut. Nach der Unabhängigkeit (1991) hat die neue Regierung beschlossen diese Eisenbahn wieder aufzubauen und zwar mit dem vorhandenen Material. Und das haben sie geschafft, die rund 120 Kilometer von Massawa am Roten Meer bis zu Hauptstadt Asmara. Die Strecke ist einfach spektakulär. Sie kommt von Meereshöhe von Massawa und nach knapp 120 Kilometer hat man 2300 Meter Höhe erreicht. Sie windet sich also die Berghänge entlang, durch Tunnel und Schluchten. Ein Meisterwerk der damaligen Bauherren."
Diesen Wiederaufbau hat die Regierung als sogenanntes "Projekt der Nationalen Einheit" initiiert. Sie hat ehemalige Ingenieure, Lokführer und Weichengänger aus dem Ruhestand. Mittlerweile haben die Alten ihr Wissen an die jungen Menschen weiter gegeben.
Thomas, der junge Reiseleiter aus Eritrea, begleitet die Reisegruppe während ihres Aufenthaltes. Er koordiniert die Züge mit den Zugführern und kümmert sich um alle Fragen und Probleme der Reisenden. Mit seiner unglaublich geduldigen Art hat er ein Ohr für jeden. In der Zwischenzeit muss er still und leise immerzu den Spagat zwischen den Reisenden aus dem Westen und der Regierung überbrücken. Alles muss glatt laufen.
"Generally between 10 to 15 groups come to Eritrea and most of them are train enthusiasts. The Germans are crazy with photos. They take too much time taking photos."
Neben den Eisenbahnfahrten werden auch andere Ausflüge angeboten. Zum Beispiel auf den berühmten Viehmarkt von Keren. Auch hier klicken die Kameras und halten Kamele, Schafe, Ziegen und Pferde fest. Die Gruppe freut sich, dass Reiseleiter Bernd Seiler diesen Programmpunkt aufgenommen hat. Dass es geklappt hat, ist Thomas zu verdanken, tagelang hinter den Visa her telefoniert hat, die man für die zweistündige Fahrt von Asmara nach Keren benötigt.
"The government supports tourism in general... The government does the permit thing for the safety of the tourist in general. Since foreigners are spending money here, and time, the government wants each and every one of them on the save side and secure, with no problems. That´s why they do the permit restrictions."
Eritrea verhält sich in vielen Punkten widersprüchlich. Aus dem euphorischen Aufbruch in die Unabhängigkeit ist inzwischen ein fast völliger Stillstand geworden. Kontakte zur internationalen Gemeinschaft beschränken sich auf ein Minimum und sind nicht wirklich erwünscht. Klaus aus der deutschen Reisegruppe hat sogar Verschlechterungen festgestellt:
"Also ich bin jetzt das Zweite Mal in Eritrea, ich war 2003 schon mal hier und wollte mal sehen, wie sich die Dinge verändert haben. Und ich muss sagen, es hat sich eigentlich relativ wenig verändert und nicht unbedingt zum Besseren. 2003 hatte man mehr Freiheiten als heute. Reisefreiheiten. Um nach Keren zu fahren, brauchte man keine Erlaubnis. Das einzige ,was als restricted area angesehen wurde, war die Grenze zu Äthiopien. Aber das ist ja bekannt."
Auf der zweistündigen Rückfahrt nach Asmara überwindet der Bus sehr steile und enge Serpentinen. Nur langsam geht es voran. Unvorstellbar, dass es in diesem Teil früher eine Zugstrecke gegeben haben soll.
Wir halten auf einer weiten Ebene an einem Panzerfriedhof, wo alte Kriegsfahrzeuge langsam und still vor sich hin rosten. Der Wind weht durch die Schusslöcher der Fahrzeuge. Stille. Zerstörte Brücken und Schienen, die im Nichts enden, begegnen uns immer wieder.
"Man muss eindeutig trennen zwischen den normalen Leuten: zum Beispiel den Eisenbahnern und dem Hotelpersonal und der politischen Linie des Landes. Und wenn man das politische außen vor lässt,kann man damit sehr gut leben. Man sollte nicht als politischer Aktivist versuchen die Gegebenheiten dort zu ändern... Man muss, wenn man in diese Länder fährt, sich mit den Gegebenheiten arrangieren, sonst wird man nicht glücklich."
Am Checkpoint vor Asmara, wo eigentlich die Passiergenehmigung kontrolliert wird, steht am späten Abend keine Kontrollposten mehr. Niemand will unsere Permits sehen. Die Zugenthusiasten beginnen zu überlegen, wie viele Polizisten oder Soldaten sie eigentlich in der Woche in Eritrea gesehen haben. Sie lassen sich an einer Hand abzählen. Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache als die Berichterstattung in Deutschland vermuten lässt. Thomas aus Frankfurt ist wie fast alle hier von Freunden und Verwandten für verrückt erklärt worden, als er eine Tour nach Eritrea ankündigte:
"Das ist aber immer so bei den Leuten, die zuhause bleiben, die die Länder nur aus der Zeitung kennen. In der Regel waren die Länder immer am schönsten, wo die Leute am meisten vor gewarnt haben, da hinzufahren. Wenn man hört, was in Zeitungen steht, muss das Ganze Land hier von kampfeswütigen Partisanen verseucht sein. Ich merk davon nichts. Freundliche Menschen, alles ist gut. Eins der schönsten Länder, die ich kenne hier in Afrika."
Seit Jahren gibt es auf dieser Strecke keinen regelmäßigen Zugverkehr mehr. Nur wenn Touristen kommen, werden die alten Lokomotiven aus den 20er-Jahren, die von den Italienern nach Eritrea gebracht wurden, angeheizt und stampfen die atemberaubende Strecke entlang. Diese Woche ist eine Reisegruppe aus Deutschland eingetroffen.
Die Gesichter der Zugenthusiasten sehen heute Morgen noch müde aus. Es wird noch nicht viel gesprochen. Doch wenn die alte Lok die ausgewählte Stelle erreicht hat, stehen alle angespannt und konzentriert auf ihrer Position, um ein möglichst perfektes Bild zu erhaschen. Funktionskleidung und hochwertige Kameratechnik kommen hier zum Einsatz. Sekunden zählen. Sekunden, in denen das Licht, die Position der Eisenbahn und die Einstellungen der Kamera stimmen müssen.
Rolf, Anfang 40, aus Bielefeld steht in Khaki Hose und blau Karierten Hemd mit 2 Kameras um den Hals bereit. Er ist erst seit kurzen vom Eisenbahnfieber ergriffen.
"Es ist so ähnlich wie bei einem Sportler. Wenn der Pfiff ertönt oder der Reiseleiter sagt Fotostopp, dann ist man... in Bereitstellung. So als wenn es lauten würde: Auf die Plätze, fertig, los. Dann geht der "run" auf die besten Plätze los. Die meisten sind so diszipliniert, dass sie mitdenken. Aber ein, zwei fallen immer aus dem Rahmen oder stehen im Weg. Die sind dann doch sehr egoistisch. Dann scannt man die Gegend. Schaut wo die Position ist, wo man hin will. Da rennt man hin. Und dann muss alles passen: Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund und die Lokomotive muss natürlich der Mittelpunkt des Bildes sein. Also ich bin jetzt kein verbissene Eisenbahner, der jetzt nur Bilder schießen muss. Ich hab auch Spaß am drum herum."
Die Zugenthusiasten mustern ihre Fotos, während die Lok sich zurück rollen lässt, damit bei der zweiten Anfahrt, noch bessere Fotos gemacht werden können. Die Sonne steigt majestätisch hinter dem gigantischen Bergpanorama hervor. Dies ist der wichtigste Augenblick. Das ideale Licht.
Die Zugenthusiasten stehen wie Gämsen am Berghang, gut getarnt, aufmerksam und voller Spannung. Es wird kaum gesprochen. Höchste Konzentration.
Das Wichtigste Morgenlicht ist vorbei. Nun wird es höchste Zeit für den ersten Wasserstopp der Lokomotive. Da alle Streckeneinrichtungen im Krieg zerstört wurden, behilft man sich mit einer einfachen Lösung. Auf einer steinernen Brücke fährt ein Tankwagen vor. Er lässt einen Schlauch herunter, er die unten stehende Lok mit Wasser versorgt.
Fasziniert von der simplen Idee schauen die Bildjäger zu und halten alles fotografisch fest. Die Eisenbahner scheinen daran gewöhnt zu sein. Herbert, ein gemütlicher Schweizer mit grauen Haaren und Vollbart hat genug fotografiert und packt gerade seine Kamera mit einem übergroß wirkenden Objektiv in seinen Rucksack. Er arbeitet für die Schweizer Bahn und ist schon auf vielen Zugreisen dabei gewesen.
"Es geht ja darum, dass wir Züge fotografieren können, die in Fahrt sind und zwar vorwärts und nicht rückwärts wenn möglich. Und das ist das was die Faszination ausmacht. und (wie du jetzt gesehen hast) auch mit Passagieren... Mit echten Passagieren. Wenn es auch nur gestellt ist. Aber es soll wenigstens so aussehen, als wenn der Zug noch im Regelbetrieb fahren würde. Wenn ich einen Regelzug fotografiere bei uns zu Hause. Dann kommt er einmal und dann ist er vorbei. Und hier fährt er einfach wieder zurück und kommt wieder und wenn die Fotos nichts geworden sind dann geht er nochmals zurück. Und so wiederholt sich das den ganzen Tag und so dauern die Tage 12 Stunden, fast ohne Unterbruch. Langsam hat man dann Hunger und Durst oder Lust auf ein Bier.
Jetzt sind schon etwa 3000 Bilder die ich gemacht habe in den fünf Tagen. Davon wird etwa schätzungsweise die Hälfte gelöscht. Das gibt tagelange Arbeit, die zu sichten und auszusortieren."
Der Reiseleiter Bernd Seiler aus Berlin ist zum sechsten Mal in Eritrea. Er kennt die unterschiedlichen noch existierenden Loks und die Zugmitarbeiter vor Ort sehr gut. Für seine Touristengruppen chartert er komplette Züge: Mal mit einheimischen Statisten an Bord und mal nur mit Güterwaggons. Alles soll möglichst authentisch wirken.
Bernd Seiler erinnert sich, wie seine Leidenschaft für Dampfloks angefangen hat, damals, als Kind:
"Die Dampflokomotive hat natürlich eine besondere Anziehungskraft. Besonders wenn man kleiner ist als die Treibräder einer Schnellzuglok, die bei einem Klassenausflug 1975 2 Meter maßen und ich vielleicht 1,50m oder 1,40m oder so was. Und da war es extrem beeindruckend, wie die Maschinen mit 120km/h über die Schienen gejagt ist. Und als wir abgekommen sind, stand sie eben noch vor dem Zug und da sind wir als kleine Jungs da vor gelaufen und haben die ganze Atmosphäre und die Geräusche und den Geruch der Dampflok aufnehmen können. Und das hat geprägt.
Die verhalten sich wie Lebewesen. An sich ist es eine ganz normale Maschine, die Züge ziehen soll. Aber genauso, wie andere Leute ihre Motorräder oder ihre Auto hätscheln gibt es eben Menschen, die von etwas größeren Maschinen fasziniert sind. Die auch nicht einheitlich sind, sondern sehr individuell.
Keine Dampflok verhält sich wie die andere. Manche fahren sich sehr sanft und weich. Andere eher rau und ruppig, die Lagerspiele sind unterschiedlich, die Einstellungen die man an den Reglern macht sind alles etwas unterschiedlich. Und die haben einen eigenen Charakter diese Maschinen. Sie verhalten sich wirklich anders."
Mit frisch gefüllten Wassertanks bewegt sich die alte Lok gemächlich auf der Strecke. ´Regelmäßig zischt ohrenbetäubend der Dampf aus den Achsen. Auf der rechten Seite geht es plötzlich etwa hundert Meter steil in den Abgrund. In den Tälern liegen noch dicke Wolkenteppiche, die sich mit Hilfe der Sonnenkraft gerade aufzulösen beginnen. Eine atemberaubende und scheinbar unberührte Landschaft erstreckt sich vor unseren Augen.
Überraschenderweise gibt es auch eine Frau in der Reisegruppe. Beate begleitet ihren Mann Lars und hat selbst vor kurzen mit dem Filmen begonnen.
"Meine Kollegen freuen sich, wenn ich erzähle wo ich hin fahre. Sie finden es auch faszinierend aber sie würde es selbst nie tun. Wir müssen kurz ruhig sein, der Zug kommt, ich möchte filmen."
"Mein Freund hat schon viele Touren vorher gemacht und ich fand das immer interessant was er für Bilder gezeigt hat. Er war in Regionen, wo man sonst als normaler Tourist nicht so hin kommt. Und da habe ich gesagt, ich möchte unbedingt nach Myanmar und da war ich dann das erste Mal auf so einer Eisenbahn Tour und hab Lunte gerochen. Für mich ist es eher das Reisen, die Länder zu sehen und dann hat es irgendwann Spaß gemacht zu fotografieren. Ich wollte nicht nur dabei stehen und zuschauen, sondern ich wollte auch die Eisenbahn fotografieren. Aber für mich ist das Reisen wichtiger als die Eisenbahn. Die Kombination ist schon interessant.
Es gibt authentische Züge in Eritrea und die Bahn ist noch nicht so zu gebaut mit neuen Stellwerken, wie das in Deutschland ist. Deswegen ist das hier ein interessantes Reiseland."
Nach und nach kommen immer mehr Kinder an die Aussichtspunkte der Zugenthusiasten. Sie kennen das Prozedere bereits und freuen sich über die skurrile Abwechslung zu ihrem Alltag. Die Armut dieses Landes fällt sofort ins Auge. Zerrissene Kleidung, viel zu kleine Schuhe, wenn man angesichts der Stoff- und Kunststoffreste an den Füßen überhaupt von Schuhen sprechen kann. Einige Kinder tragen nur eine zerrissene Unterhose.
Für die Kinder ist es etwas besonders, Touristen in ihrem Land zu sehen, denn bisher öffnet Eritrea kaum seine Tore zur Welt. Die Kinder freuen sich über kleine Stücke Schweizer Schokolade von Herbert oder Kugelschreiber, die Beate und ihr Freund Lars aus Deutschland mit gebracht haben. Nach Geld wird hier noch nicht gefragt.
Herbert ist zum zweiten Mal in Eritrea.
"Es gefällt mir noch besser, weil ich viele Leute wieder getroffen habe, die ich damals kennen gelernt habe und das ist ein schönes Erlebnis für mich und für die Leute auch. Ich habe ihnen Fotos mitgebracht. Und ich habe ihnen auch versprochen, dass ich ihnen die neuen Bilder schicke.
Meine Freunde können das also nicht so gut begreifen... Also einige. Die gehen lieber irgendwo in den Urlaub, wo man baden kann. Wo es nicht so exotisch ist, wie jetzt Eritrea."
Die meisten Teilnehmer der Gruppe sind zum ersten Mal in diesem weitgehend unbekannten afrikanischen Land. Einem Land, das nach einer wechselvollen Geschichte und nach 30 Jahren Befreiungskrieg gegen Äthiopien 1993 endlich unabhängig geworden ist. Die Eisenbahn verdankt es dem ehemaligen Kolonialherren Italien. Die Italiener machten Asmara zur Hauptstadt und verbanden sie durch die Eisenbahn mit der Handelsstadt Massawa am Roten Meer. Als die Briten die mittlerweile faschistischen Kolonialherren vertrieben, demontierten sie große Teile der Infrastruktur des Landes und verschifften sie in andere britische Kolonien. In den 60er-Jahren kam Eritrea per UN-Beschluss unter äthiopische Verwaltung. Damals gab es die Eisenbahn noch, auch wenn sie längst nicht mehr regelmäßig fuhr. Mit dem Beginn des Unabhängigkeitskrieges schien ihr Schicksal besiegelt.
"Die Eisenbahn wurde zwischen 1975 und 1990 nahezu komplett demontiert. Die Schienen wurden verwendet für den Bunkerbau im Befreiungskrieg und das Ganze Material war in alle Winde zerstreut. Nach der Unabhängigkeit (1991) hat die neue Regierung beschlossen diese Eisenbahn wieder aufzubauen und zwar mit dem vorhandenen Material. Und das haben sie geschafft, die rund 120 Kilometer von Massawa am Roten Meer bis zu Hauptstadt Asmara. Die Strecke ist einfach spektakulär. Sie kommt von Meereshöhe von Massawa und nach knapp 120 Kilometer hat man 2300 Meter Höhe erreicht. Sie windet sich also die Berghänge entlang, durch Tunnel und Schluchten. Ein Meisterwerk der damaligen Bauherren."
Diesen Wiederaufbau hat die Regierung als sogenanntes "Projekt der Nationalen Einheit" initiiert. Sie hat ehemalige Ingenieure, Lokführer und Weichengänger aus dem Ruhestand. Mittlerweile haben die Alten ihr Wissen an die jungen Menschen weiter gegeben.
Thomas, der junge Reiseleiter aus Eritrea, begleitet die Reisegruppe während ihres Aufenthaltes. Er koordiniert die Züge mit den Zugführern und kümmert sich um alle Fragen und Probleme der Reisenden. Mit seiner unglaublich geduldigen Art hat er ein Ohr für jeden. In der Zwischenzeit muss er still und leise immerzu den Spagat zwischen den Reisenden aus dem Westen und der Regierung überbrücken. Alles muss glatt laufen.
"Generally between 10 to 15 groups come to Eritrea and most of them are train enthusiasts. The Germans are crazy with photos. They take too much time taking photos."
Neben den Eisenbahnfahrten werden auch andere Ausflüge angeboten. Zum Beispiel auf den berühmten Viehmarkt von Keren. Auch hier klicken die Kameras und halten Kamele, Schafe, Ziegen und Pferde fest. Die Gruppe freut sich, dass Reiseleiter Bernd Seiler diesen Programmpunkt aufgenommen hat. Dass es geklappt hat, ist Thomas zu verdanken, tagelang hinter den Visa her telefoniert hat, die man für die zweistündige Fahrt von Asmara nach Keren benötigt.
"The government supports tourism in general... The government does the permit thing for the safety of the tourist in general. Since foreigners are spending money here, and time, the government wants each and every one of them on the save side and secure, with no problems. That´s why they do the permit restrictions."
Eritrea verhält sich in vielen Punkten widersprüchlich. Aus dem euphorischen Aufbruch in die Unabhängigkeit ist inzwischen ein fast völliger Stillstand geworden. Kontakte zur internationalen Gemeinschaft beschränken sich auf ein Minimum und sind nicht wirklich erwünscht. Klaus aus der deutschen Reisegruppe hat sogar Verschlechterungen festgestellt:
"Also ich bin jetzt das Zweite Mal in Eritrea, ich war 2003 schon mal hier und wollte mal sehen, wie sich die Dinge verändert haben. Und ich muss sagen, es hat sich eigentlich relativ wenig verändert und nicht unbedingt zum Besseren. 2003 hatte man mehr Freiheiten als heute. Reisefreiheiten. Um nach Keren zu fahren, brauchte man keine Erlaubnis. Das einzige ,was als restricted area angesehen wurde, war die Grenze zu Äthiopien. Aber das ist ja bekannt."
Auf der zweistündigen Rückfahrt nach Asmara überwindet der Bus sehr steile und enge Serpentinen. Nur langsam geht es voran. Unvorstellbar, dass es in diesem Teil früher eine Zugstrecke gegeben haben soll.
Wir halten auf einer weiten Ebene an einem Panzerfriedhof, wo alte Kriegsfahrzeuge langsam und still vor sich hin rosten. Der Wind weht durch die Schusslöcher der Fahrzeuge. Stille. Zerstörte Brücken und Schienen, die im Nichts enden, begegnen uns immer wieder.
"Man muss eindeutig trennen zwischen den normalen Leuten: zum Beispiel den Eisenbahnern und dem Hotelpersonal und der politischen Linie des Landes. Und wenn man das politische außen vor lässt,kann man damit sehr gut leben. Man sollte nicht als politischer Aktivist versuchen die Gegebenheiten dort zu ändern... Man muss, wenn man in diese Länder fährt, sich mit den Gegebenheiten arrangieren, sonst wird man nicht glücklich."
Am Checkpoint vor Asmara, wo eigentlich die Passiergenehmigung kontrolliert wird, steht am späten Abend keine Kontrollposten mehr. Niemand will unsere Permits sehen. Die Zugenthusiasten beginnen zu überlegen, wie viele Polizisten oder Soldaten sie eigentlich in der Woche in Eritrea gesehen haben. Sie lassen sich an einer Hand abzählen. Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache als die Berichterstattung in Deutschland vermuten lässt. Thomas aus Frankfurt ist wie fast alle hier von Freunden und Verwandten für verrückt erklärt worden, als er eine Tour nach Eritrea ankündigte:
"Das ist aber immer so bei den Leuten, die zuhause bleiben, die die Länder nur aus der Zeitung kennen. In der Regel waren die Länder immer am schönsten, wo die Leute am meisten vor gewarnt haben, da hinzufahren. Wenn man hört, was in Zeitungen steht, muss das Ganze Land hier von kampfeswütigen Partisanen verseucht sein. Ich merk davon nichts. Freundliche Menschen, alles ist gut. Eins der schönsten Länder, die ich kenne hier in Afrika."