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Unter den Teppich gekehrt

Ein jahrzehntelanges Komplott zwischen Politik und Militär habe es gegeben, um die Verbrechen der Nationalsozialisten in Italien zu vertuschen - das wirft der Historiker Filippo Focardi den Behörden vor. In seinem Buch weist er mit stichhaltigen Dokumenten nach, wie ein geheimes Abkommen zwischen Rom und Berlin dazu führte, dass etliche Kriegsverbrechen ungestraft blieben.

Von Thomas Migge | 11.05.2008
    "Es hat nach dem Krieg über 2000 Ermittlungsverfahren gegeben, die allerdings im Laufe der Zeit versickert sind, bewusst von der Militärjustiz unter den Teppich gekehrt."

    Ein schwerer Vorwurf. Vorgetragen von Lutz Klinkhammer, einem der angesehensten Faschismusforscher. Der am deutschen historischen Institut in Rom arbeitende Historiker ist davon überzeugt, dass Kriegsverbrechen, die von der Wehrmacht und der Waffen-SS in Italien während der deutschen Besatzung verübt worden sind, ganz bewusst vertuscht worden sind.

    "Es war ein Partisanenkrieg, der auch zu grausamen Übergriffen in der Zivilbevölkerung geführt hat, darunter dem Massaker von Marzabotto, dem Massaker von Sant' Anna di Stazzema, die paradoxerweise, und das ist eine italienische Anomalie, erst sehr spät vor Gericht gekommen sind."

    Wer hat die Verbrechen vertuscht? Warum interessierten sich die Italiener nicht für deutsche Kriegsverbrechen an tausenden ihrer Landsleute? Fragen, auf die es erst jetzt erste Antworten gibt.

    Lutz Klinkhammer schrieb das Vorwort zu einer Aufsehen erregenden Studie, die in diesen Tagen unter dem Titel, zu deutsch: "Kriegsverbrecher in Freiheit" erschienen ist, verfasst von dem an der Universität Padua lehrenden Zeitgeschichtler Filippo Focardi:

    "In meinem Buch weise ich nach, dass es 1950 zu einem geheimen Abkommen zwischen Italien und der Bundesrepublik gekommen ist, damit deutsche Kriegsverbrechen an Italienern unter den Tisch gekehrt werden, um die endlich wieder guten Beziehungen beider Staaten nicht zu belasten. Dieses Abkommen führte dazu, dass alle bereits verurteilten und in Italien einsitzenden Kriegsverbrecher freikamen und nach Deutschland abgeschoben wurden; ohne dass davon die Öffentlichkeit etwas erfuhr. Die Existenz dieses Abkommens habe ich anhand deutscher und italienischer Dokumente rekonstruieren können."

    1950 reiste Heinrich Höfler, ein enger Parteifreund des deutschen Kanzlers Adenauer, nach Italien. Dort traf er sich mit Vittorio Zoppi, einem hohen Beamten des italienischen Außenministeriums. Im Anschluss an dieses Treffen wurde ein Geheimabkommen unterzeichnet, das, wie Filippo Focardi nachweist, von Staatspräsident Luigi Einaudi und Verteidigungsminister Randolfo Pacciardi gegengezeichnet wurde.

    Unter den wenige Monate später ausgewiesenen Kriegsverbrechern befanden sich vier hohe Militärs der sogenannten Rhodos-Gruppe. Einer von ihnen war General Otto Wagener, Hauptverantwortlicher für die Erschießung italienischer Kriegsgefangener, die auf der griechischen Insel in einem Lager einsaßen. Die Ausweisung dieser Männer sollte auf Wunsch der italienischen und deutschen Regierung unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden.

    Lutz Klinkhammer: "Es kam dennoch was zum Vorschein. Drei Jahre später gab es eine Anfrage im italienischen Parlament. Die kommunistische Partei hatte etwas läuten hören und fragte an, ob es seine Richtigkeit damit habe, was dann zu einem flammenden Appell für die Bestrafung von deutschen Kriegsverbrechen in Italien führte; wobei juristisch allerdings fast nichts mehr passierte."

    Der italienischen Militärgerichtsbarkeit gelang es jahrzehntelang, mögliche Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher zu unterbinden. Nur einige wenige prominente Deutsche, wie zum Beispiel Erich Priebke, wurden vor Gericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Sonst geschah nichts.

    Interessant sei, meint Lutz Klinkhammer, dass auch die Nachkommen und Verwandten der Opfer von Massakern nichts unternommen hätten, damit es zu Prozessen kam. Sie gaben sich mit der Aburteilung von Priebke und einigen wenigen anderen zufrieden. Erst mit dem Auffinden des sogenannten Schranks der Schande 1995 änderte sich das.

    Dieser Schrank, verstaubt und vergessen in den Kellern des Justizministeriums, enthielt Dokumente, die über 700 deutsche Kriegsverbrechen in Italien nachweisen, mit Daten, Ortsangaben und Namen. Wie jene Massaker in der Toskana, bei denen in verschiedenen Ortschaften Hunderte von Menschen brutal ermordet wurden, selbst Kinder und Neugeborene. Dazu der Historiker Filippo Focardi:

    "Die Dokumente wurden von einer parlamentarischen Kommission untersucht, die zu dem Ergebnis kam, dass die Unterlagen schlichtweg vergessen worden seien. Von einem bewussten Unter-den-Teppich-Kehren seitens der Militärjustiz könne keine Rede sein. Darüber hinaus, so die Kommission, habe es nie ein Geheimabkommen mit Deutschland gegeben, um Ermittlungen zu stoppen."

    Focardi weist genau das Gegenteil nach: mit stichhaltigen Dokumenten. Die Wahrheit in punkto ungesühnter deutscher Kriegsverbrechen an Italienern ist die, dass es einen jahrzehntelangen Komplott zwischen Politik und Militär gab, mit dem Ziel Deutsche davonkommen zu lassen.