Der Gebirgszug des Ural in Russland ist für Wald- wie Klimaforscher gleichermaßen interessant. Seine Natur ist, anders als in den Alpen, wenig vom Menschen geprägt. So lassen sich Veränderungen, die durch den Klimawandel ausgelöst werden, leichter identifizieren.
"Uns liegen alte fotografische Dokumente vor, dass die Waldgrenze im Vergleich zu heute etwa 40 bis 60 Höhenmeter tiefer lag, Anfang des letzten Jahrhunderts. Wir können also daher beobachten, dass die Waldgrenze aufgrund günstigerer Klimaverhältnisse nach oben wandert."
Frank Hagedorn ist Geoökologe an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf bei Zürich. Gemeinsam mit russischen Wissenschaftlern erforscht er die Folgen des Klimawandels im Ural. Pro Jahrzehnt steigt dort die Baumgrenze um vier bis acht Meter, haben die Wissenschaftler herausgefunden. Auf der Suche nach den Ursachen entdeckten sie einen unerwarteten Zusammenhang.
"Das überraschende unserer Studie war eigentlich, dass es weniger die Sommertemperatur war, die für diesen Anstieg verantwortlich war, sondern vor allem wärmere und vor allem schneereichere Winter."
Schnee schützt junge Bäume im Winter
Im Sommer ist es im Ural in den vergangenen 100 Jahren im Durchschnitt nicht nennenswert wärmer geworden. Die Wintertemperaturen sind aber um zwei Grad von minus 18 auf minus 16 Grad Celsius angestiegen. Wärmere Tiefdruckgebiete bringen dann mehr Niederschläge in die Berge. Im Ural fällt heute bis zu doppelt so viel Schnee wie noch vor 100 Jahren. Und das wirkt sich auf die Baumgrenze aus.
"An der Waldgrenze ist das Überleben der Bäume im Winter vor allem durch den Schnee geschützt. Wenn der Wind Schneekristalle über die Tundra bläst, dann rasiert er quasi neue Bäume ab. Und wenn die Schneedecke dicker wird, dann können die Bäume im Schutz dieser Schneedecke größer werden, und sozusagen überleben."
Die schützende Wirkung des Schnees zeigt sich nicht nur anhand der verschobenen Baumgrenze. Auch der Wuchstyp der Bäume ist ein anderer geworden.
"Früher sind die Bäume in sogenannten Rotten gewachsen, wo mehrere Stämme sozusagen ein Cluster gebildet haben – als eine Anpassung an diese Winterverhältnisse und Windverhältnisse, wo im Schutz dieser kleinen Bäume andere groß geworden sind. Und heute sieht man, dass die Waldgrenze vor allem aus einzelnen Bäumen besteht. Das ist ein deutliches Indiz, dass die Bäume nicht mehr den Schutz der anderen Bäume benötigen, um größer zu werden."
Sogar im Sommer wirken die größeren Schneemassen nach den Erkenntnissen der Forscher noch nach. Da die hohe Schneeauflage im Winter den Boden gegen strenge Kälte isoliert, friert der Boden nicht mehr durch. So laufen darin auch im Winter noch biologische und chemische Prozesse ab. Sie setzen Nährstoffe frei, die dann im Sommer wiederum das Wachstum der Bäume fördern.