Ann-Kathrin Büüsker: Über die Ausweitung der US-Sanktionen und die deutsche Kritik daran möchte ich jetzt mit Roderich Kiesewetter sprechen, Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss. Guten Morgen!
Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Frau Büüsker!
Büüsker: Herr Kiesewetter, sehen Sie auch so düster, was die Folgen der Sanktionen angeht?
Kiesewetter: Nein, ich glaube, da wird einiges überhöht. Ich denke, dass Deutschland und auch die Europäische Union zunächst mal den wirklich starken übergreifenden Konsens im Kongress anerkennen sollten, denn der Kongress hat Trump zu einer ganz engen Absprache mit der EU geradezu verpflichtet. Es gibt mehrere Formulierungen, die drinstehen, wo es heißt, dass Trump auf engste Zusammenarbeit mit den Europäern mögliche Sanktionen erlassen sollte. Das, glaube ich, geht in unserer deutschen Diskussion völlig unter.
Büüsker: Aber Brüssel argumentiert, dass diese Zusammenarbeit bislang nicht in dem Maße stattgefunden hat, die man sich gewünscht hätte.
Kiesewetter: Ja, das sind aus meiner Sicht Krokodilstränen, weil bis zum ersten Entwurf – im Juni wurde ja der erste Entwurf verabschiedet im Senat – von europäischer Seite kaum Einfluss genommen wurde auf die Texte. Erst als der erste Entwurf im Juni, am 15. war es, verabschiedet wurde, wurden europäische Stimmen laut. Da hätte man deutlich früher aktiv werden müssen von europäischer Seite, das ist gelungen. Der Sprecher des Auswärtigen Amts hat ja klargemacht, dass es auch deutschem Einfluss zu verdanken ist, dass der Text des US-Senats deutlich abgeschwächter ist als im Vorfeld.
"Ich halte das jetzt wirklich für unklug, wenn die Europäer und die Amerikaner sich spalten lassen"
Büüsker: Trotzdem droht Brüssel jetzt tatsächlich mit möglichen Gegensanktionen – halten Sie das für realistisch?
Kiesewetter: Ich halte das jetzt wirklich für unklug, wenn die Europäer und die Amerikaner sich spalten lassen, denn die Ursache der Sanktionen ist ja nicht Trump, sondern die Ursache der Sanktionen ist die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim, ist die Destabilisierung der Ostukraine, und da ist schon auch der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft aufgerufen, Ursache und Wirkung zu erkennen, und hat ja schon sehr früh noch unter Cordes die Sanktionen kritisiert. Ich glaube, dass auch die deutsche Wirtschaft ihren Beitrag zu Rechtsstaatlichkeit leisten muss und nicht nur die Handelsabkommen sehen darf.
Büüsker: Also ist die Kooperation beziehungsweise das Signal an Russland wichtiger als die deutschen Wirtschaftsinteressen?
Kiesewetter: Ich denke, zunächst mal ist es wichtig, auch gegenüber der deutschen Bevölkerung und überhaupt weltweit, dass sich Deutschland und die EU an das internationale Recht, an regelbasierte Beziehungen halten und nicht vorrangig Wirtschaftsinteressen sehen. Das gilt natürlich auch für andere Regionen der Welt, wo sich Deutschland daran hält, aber aus meiner Sicht sollten wir noch mal sehr klar herausarbeiten, dass der Kongress Trump Zügel angelegt hat – das sieht man auch, dass da nur ganz wenige dagegen gestimmt haben. Und wir sollten und ich möchte – Sie haben es noch nicht angesprochen – auch sehr gezielt Nord Stream 2 ansprechen, das von deutscher Seite immer wieder als ein reines Wirtschaftsprojekt gesehen wird. Dieses Projekt ist hoch politisch und sollte jetzt in der Art und Weise, wie die USA das sehen, auch ein Weckruf an uns Europäer sein, dass wir unsere Energieaußenpolitik auch als Teil der Sicherheitspolitik sehen und strategische Interessen zu mehr Unabhängigkeit Europas sehen und nicht eine einseitige Kooperation mit Russland.
Büüsker: Können wir gleich vielleicht noch ein bisschen genauer drüber sprechen. Ich würde gern noch mal zurück auf den Beitrag, den wir ja eben im Vorfeld gehört haben, wo wir gehört haben, dass die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen gerade wieder besser, dass da mehr gehandelt wird. Jetzt sagen Sie, eigentlich ist es aber wichtig, Russland zu zeigen, dass es mit Blick auf die Krim und die Ostukraine etwas falsch gemacht hat und eben nicht so agieren kann, wie es will. Wie passt denn das zusammen? Einerseits fordern Sie, ein Zeichen setzen, auf der anderen Seite läuft es wirtschaftlich gerade viel, viel besser.
Kiesewetter: Ja, dass es mit Russland wirtschaftlich wieder besser läuft, ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes, weil natürlich durch Handel auch eine bessere Kooperation möglich ist, oder wie es früher auch hieß, Wandel und Handel. Aber es ist nicht das oberste Ziel, dass die Wirtschaftsbeziehungen gut sind, sondern das oberste Ziel ist, dass Russland sich wieder an Recht und Gesetz hält und nicht die Besetzung, die völkerrechtswidrige, der Krim legitimiert. Der Gesetzestext bedeutet ja nicht automatisch, was jetzt die Amerikaner verabschiedet haben, bedeutet ja nicht automatisch Sanktionen gegen europäische Unternehmen, sondern aus meiner Sicht wird da die Aufregung etwas hochgespielt. Sanktionen gegen europäische Unternehmen würden ja nur dann stattfinden, wenn der US-Kongress beziehungsweise wenn Trump die gesamten Abkommen, die dort geschlossen wurden, einseitig auslegen würde. Aber es gibt umgekehrt Möglichkeiten – und das ist, glaube ich, für die Bundesregierung auch sehr wichtig –, dass der Entwurf der US-Regierung beziehungsweise des US-Senats auch entsprechende Abschwächungen, also sogenannte Waiver zulässt. Also ich denke, dass das zu hochgespielt wird und dass Europa viel besser beraten wäre, auch Juncker, im engeren Schulterschluss mit den USA vorzugehen. Das würde auf keinen Fall die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen beeinflussen, sondern so, was wir jetzt machen, arbeitet ja Putin in die Hände, er zeigt jetzt der Welt, wie uneinig sich Europäer und Amerikaner sind. Wir Europäer sollten einfach besser mit den USA verhandeln, denn die Zügel hat ja der US-Kongress beziehungsweise der US-Senat dem Trump angelegt. Und das ist doch ein gutes Zeichen, dass die Amerikaner ihn einhegen und an Recht und Gesetz binden.
Projekt Nord Stream 2 - "Die Auswirkungen auf unsere Nachbarn im Osten ist sehr kritisch"
Büüsker: Herr Kiesewetter, Sie argumentieren jetzt, alles gar nicht so schlimm, der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, der befürchtet tatsächlich schwerwiegende Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft gerade auf das von Ihnen angesprochene Projekt Nord Stream 2. Sie machen sich da gar keine Sorgen?
Kiesewetter: Nun, ich sehe das Nord-Stream-2-Projekt sehr kritisch, weil es die Sicherheitsinteressen der Ukraine, des Baltikums und Polens außer Acht lässt. Hier wird nämlich eine Erdgasverbindung zwischen Russland und Deutschland entwickelt und dabei parallel die Erdgasverbindung zwischen Russland und der Ukraine gekappt. Für Deutschland hat das keine Auswirkungen, außer dass wir unmittelbar mit Russland zusammenarbeiten. Aber die Auswirkungen auf unsere Nachbarn im Osten ist sehr kritisch, weil die sagen, schaut mal, das ist ja fast wie ein zweites Rapallo, Deutschland und Russland arbeiten wieder zusammen. Da sollten wir sehr vorsichtig sein. Hier hat die Wirtschaft und Schröder als früherer SPD-Bundeskanzler einen tollen Deal gemacht zulasten der östlichen Nachbarschaft.
Büüsker: Also wäre das aus Ihrer Sicht gar nicht so schlimm, wenn dieses Projekt angeschlagen werden würde?
Kiesewetter: Nord Stream 2 ist aus meiner Sicht zurzeit nicht nötig. Es kann mittelfristig dazu führen, dass Europa seine Energieversorgung auf eine breitere Basis stellt, aber es darf nicht zulasten der Ukraine oder Osteuropas geschehen. Und zweitens sollte Europa sehr sorgfältig diversifizieren, also seine Energieversorgung auf breitere Basis stellen und nicht ausschließlich auf das russische Gas abstellen, denn in den Niederlanden wie auch in Norwegen sind die Felder fast erschöpft. Wir sollten also schauen, wo wir aus Afrika, um bessere Handelsbeziehungen herzustellen, aber auch aus den USA mehr Widerstandsfähigkeit, also Resilienz erreichen für unsere Energieversorgung. Das Nord-Stream-2-Projekt untergräbt das Ganze und macht Deutschland abhängiger vom russischen Gas, als wir das heute vielleicht ahnen. Und deswegen bin ich da sehr kritisch. Es ist kein reines Wirtschaftsprojekt.
Büüsker: Herr Kiesewetter, Kritiker unterstellen den USA ja, dass sie mit diesen neuen Sanktionen Marktanteile für eigenes Flüssiggas sichern wollen. Ich verstehe Sie da richtig, dass Sie das dann eigentlich für eine ganz gute Entwicklung halten würden.
Kiesewetter: Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die Lieferung des russischen Gases über die Ukraine, die Jamal-Leitung, kann ja ohne Weiteres bleiben, und wenn jetzt ein weiterer internationaler Akteur auf den Markt tritt – das sind ja die Amerikaner noch nicht, Flüssiggasterminals werden in Europa erst gebaut –, dann dürfte insgesamt das Preisgefüge gut bleiben, es dürfte nicht zu einseitigen Monopolen führen in Europa, da ist Diversifizierung gut. Also Europa muss schauen, dass es aus einem breiten Angebot auswählen kann. Konkurrenz belebt ja das Geschäft, und das würde eine einseitige Nord-Stream-2-Fokussierung nicht beleben.
"Deutschland hat wenigstens seit Juni jetzt Einfluss auf dieses Sanktionsgesetz genommen"
Büüsker: Dieses Gesetz des Kongresses macht ja eine Position klar, nämlich dass große Teile der US-Politik Russland als einen Gegenspieler sehen. Ist das eine richtige Wahrnehmung, oder anders gefragt, wie beurteilen Sie diese Wahrnehmung der USA? Ist Russland ein Gegner?
Kiesewetter: Es ist zumindest ein intensiver strategischer Wettbewerb, der sich nicht an Recht und Gesetz hält, entscheidend ist aber die amerikanische Perspektive: Es ist nachgewiesen, dass Russland – zumindest hat Putin es nicht verhindert – sehr massiv Einfluss auf die US-Wahlen genommen hat, und dass der Kongress sich jetzt so eindeutig für weitere Sanktionen gegen Russland ausspricht, ist eine Folge der Einflussnahme auf die Wahlen in den USA. Das müssen wir nachvollziehen. Deutschland hat wenigstens seit Juni jetzt Einfluss auf dieses Sanktionsgesetz genommen, und aus unserer Sicht – also zumindest aus Sicht meiner Kollegen aus der Union und mir – ist es äußerst hilfreich, dass in diesem Sanktionsgesetz engere Zusammenarbeit zwischen EU und USA angemahnt wird. Damit sind Trump die Hände gebunden. Trump ist in einem Dilemma: Würde er keine Sanktionen machen, könnte ihm der Kongress US-Nähe vorwerfen, würde er die Sanktionen machen, dann liefe er Gefahr, Europa zu isolieren. Deswegen war es gut, dass jetzt in diesem Sanktionsgesetz eine viel engere Zusammenarbeit mit der EU angemahnt wird, bevor Sanktionen erlassen werden.
Büüsker: Sagt Roderich Kiesewetter, Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss. Vielen Dank für das Interview heute Morgen im Deutschlandfunk!
Kiesewetter: Ja, alles Gute, tschüss, Frau Büüsker!
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