Stephanie Rohde: Amerika verhängt Strafzölle, andere Staaten in Europa ziehen nach, ein Handelskrieg bricht aus, in den folgenden Jahren geht der Welthandel um zwei Drittel zurück – so war das in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, genauer gesagt: von 1930 bis 1933. Zur gleichen Zeit erlebten Populisten in Europa einen Aufschwung unter anderem in Italien und in Deutschland. Populismus und Handelskrieg, zwei Phänomene, die in diesen Tagen wieder sehr aktuell sind, besonders auch, nachdem in Italien Populisten Wahlgewinner sind und der amerikanische Präsident Strafzölle erhoben hat und ein größerer Handelskrieg droht. Ist das Gespenst der 30er-Jahre also wieder da oder taugt dieser Vergleich überhaupt nicht – darüber spreche ich jetzt mit dem Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld. Hallo!
Werner Abelshauser: Guten Tag, Frau Rohde!
Rohde: Der Ökonom Dennis Snower warnt, wir erleben ein gefährliches Déjà-vu der 30er-Jahre. Hat er recht?
Abelshauer: Ja, vielleicht, wenn man es ganz weit herholt, ja. Insoweit hat er recht, als die Schutzzollmauer, die die Amerikaner damals aufgebaut haben 1930 und dem Binnenmarkt Vorrang geben sollte, eine populistische Strömung war gegen den Präsident Hoover, der dann ja auch die Wahlen verloren hat und für die sozusagen protektionistische Stimmung in den USA vor dem Hintergrund eines sich anbahnenden Problems im Welthandel, nachdem ja dieser Börsencrash 1929 war und sich so allmählich eine Weltwirtschaftskrisenstimmung eingestellt hat, da haben die Amerikaner, jedenfalls in den Hinterbänken des Kongresses, gesagt, wir konzentrieren uns einfach auf unseren großen Binnenmarkt, und was der Rest der Welt macht, ist deren Sache. Also insoweit, ja, bis zu einem gewissen Grad kann man das vergleichen, aber das ist ja nicht im Augenblick das Szenario.
"Damals ging es gut aus. Die Stahlindustrie konnte sich modernisieren"
Rohde: Na ja, aber wir stecken ja schon in einer Zeit, also wenn wir das vergleichen mit den 30ern, es gibt Schutzzölle, um die Industrie zu schützen, andere Länder wie Frankreich und Großbritannien haben damals hohe Importzölle selbst auch verhängt. Ist das nicht genau die Dynamik, in der wir gerade stecken?
Abelshauer: Na ja, das könnte so ausgehen, nur im Augenblick handelt es sich ja um ein ganz anderes Muster, nämlich, das ebenso klassische Schutzzollproblem. Sie wissen, dass Friedrich List, einer der bekanntesten deutschen Ökonomen im 19. Jahrhundert, diese Schutzzölle gefördert hat, um zu verhindern, dass der Freihandel große Teile der eigenen Wirtschaft kaputtmacht, und das war zum Beispiel der Hintergrund für die berühmte Schutzzollpolitik Bismarcks 1878, 79, da ist der Vergleich sehr viel enger zu den Amerikanern heute, weil nämlich diese Zeit eine Zeit der Globalisierung war im 19. Jahrhundert und es den Aufstieg einer wirtschaftlichen Qualität in Deutschland gab mit der Großchemie, der Elektrotechnik, dem Maschinenbau, Branchen, die heute noch wichtig sind natürlich, und dieser Aufstieg kam natürlich Deutschland zugute, Deutschland profitierte von der Globalisierung, aber es gab auch Verlierer der Globalisierung, und das waren nun mal die Stahlindustrie und die Eisenindustrie und die ostelbische Landwirtschaft. Die verloren ihre Märkte, und das hat immerhin 40 Prozent der Arbeitskräfte, der Arbeitnehmer betroffen, und ähnlich ist das ja heute in den USA. Die Westküste floriert, die Ostküste floriert, die IT-Wirtschaft der USA profitiert von der Globalisierung, aber dazwischen, zwischen der Ost- und der Westküste, da gibt es jede Menge Verlierer, und was Trump jetzt macht, ist im Prinzip nichts anderes als das, was Bismarck 1878 gemacht hat: Er erhebt einfach Schutzzölle, um die betroffenen, dem Untergang geweihten Branchen, zu stärken.
Rohde: Und ist das clever, wenn Trump jetzt von Bismarck lernt?
Abelshauer: Ja, ich weiß es nicht. Damals ging es gut aus. Die Stahlindustrie konnte sich modernisieren. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass heute die amerikanische Stahlindustrie in irgendeiner Weise wieder wettbewerbsfähig werden könnte, sondern das ist ein Spiel, das die USA eigentlich nur verlieren können, denn auf dem Gebiet der Stahlindustrie ist heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Also von daher denke ich, hinkt der Vergleich dann doch wieder, Geschichte wiederholt sich nicht.
Sonderfall Italien
Rohde: Herr Abelshauser, lassen Sie uns schauen auf den Zusammenhang von Wirtschaftspolitik und Populismus. Wir haben ein aktuelles Beispiel: Italien. Also wenn wir uns anschauen in der Vergangenheit, es gab eine Bankenkrise, eine Rezession, dann hohe Arbeitslosigkeit, gefolgt von Versuchen, die Staatsfinanzen wieder zu sanieren durch Steuererhöhung beispielsweise, dazu gab es dann einen Aufstieg von populär-autoritären Parteien, die auch einen Hang zum nationalen Alleingang haben. All das gab es doch auch schon mal vor gut acht Jahrzehnten, ja?
Abelshauer: Ja klar, das ist immer eine Möglichkeit. Also Italien ist ein Sonderfall.
Rohde: Inwiefern?
Abelshauer: Ich warne davor, das zu verallgemeinern, weil in Italien eine wirklich strikte Grenze zwischen dem Norden und dem Süden ist und die Rolle des Staates in Süditalien eine ganz schwache ist, und von daher dann Vereinigungen wie die Mafia und Ähnliches entstanden sind, um dieses Schwäche des Staates zu beseitigen, und deswegen ist ja auch der Faschismus in Italien so früh an die Macht gekommen, weil der Staat einfach schwach war, und man glaubte, mithilfe faschistischer Methoden, also der Selbstverwaltung der Wirtschaft, dem Staat sozusagen eine neue Qualität zu vermitteln, zu stabilisieren. Das ist nicht gelungen, weil diese Grenze zwischen Nord- und Süditalien dermaßen groß ist, dass sie bis heute nicht überwunden ist. Also kurzum, in Italien gibt es seit vielen hunderten von Jahren diese Spaltung zwischen Nord und Süd, und das hat natürlich enorme Konsequenzen für die Politik, und da können Ideologen, sei es Separatisten, sei es Populisten, die im Süden alles versprechen und dann doch nicht halten können, da können die natürlich davon profitieren.
Schutzzoll für Stahl und für Aluminium heute nicht mehr sinnvoll
Rohde: Ich würde trotzdem noch mal ganz kurz ein anderes Beispiel anbringen: Der renommierte Wirtschaftshistoriker Christopher Meisner, der hat in den USA eine Studie veröffentlicht und hat gesagt, man hat untersucht in den 30er-Jahren, warum Leute sich für die Nazis interessiert haben, also die Nazis gewählt haben, und sie haben festgestellt, dass dort, wo die Sparpolitik eben besonders streng betrieben wurde, das der Fall war, also wo vor allem Rentenkürzungen die Menschen betroffen haben. Ist das etwas, was wir heute wieder zu befürchten haben?
Abelshauer: Also ich glaube, auch der Vergleich zu den Nationalsozialisten, der funktioniert auch nicht, weil nämlich die Nationalsozialisten die einzigen waren im Deutschen Parlament, im Reichstag, die diese sehr moderne Strategie des Keynesianismus, also der Bekämpfung von konjunkturellen Krisen durch Staatsausgaben, betrieben haben. Also die haben nicht gespart, sondern die haben den Keynesianismus praktiziert und haben vier Milliarden Mark in den Markt gepumpt und damit die Weltwirtschaftskrise als eine der ersten Länder in Europa überwunden. Also das haut alles nicht hin, dass man da solche Vergleiche mit der Geschichte zieht. Ich glaube, der beste Vergleich, den wir im Augenblick haben, ist die Problematik des Schutzzolls, und da ist der Bismarck-Fall gar nicht schlecht. Die Frage ist nur, ob die Methode, nämlich den Schutzzoll für Stahl und für Aluminium, ob die noch funktioniert. Die ist, glaube ich, heute nicht mehr sinnvoll, heute müsste man sehen, dass man dieses Erfolgsmodell der amerikanischen IT-Wirtschaft eben nicht nur an der Ostküste und an der Westküste praktiziert, sondern Wege findet, es sozusagen durch den ganzen Kontinent zu ziehen.
Rohde: Das sagt der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld. Danke für das Gespräch!
Abelshauer: Danke auch!
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