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Van Aken zu G20-Krawallen
"Die Rote Flora hat in Hamburg eine wichtige Funktion"

Bei den Krawallen beim G20-Gipfel in Hamburg habe es sich um völlig sinnentleerte Gewalt gehandelt, sagte der Linken-Politiker Jan van Aken im Dlf. Als Konsequenz aber die Rote Flora schließen zu wollen - wie von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz vorgeschlagen - sei "völliger Quatsch".

Jan van Aken im Gespräch mit Christine Heuer |
    Jan van Aken (Die Linke) lächelt ein wenig.
    Jan van Aken (Die Linke) (dpa, Paul Zinken)
    Christine Heuer: Am Telefon begrüße ich den Linken-Bundestagsabgeordneten Jan van Aken. Er ist außenpolitischer Sprecher und er hat selbst die größte Demonstration gegen den G20-Gipfel in Hamburg organisiert. Guten Abend, Herr van Aken.
    Jan van Aken: Einen schönen guten Abend.
    Heuer: Sie wohnen selbst in St. Pauli. Wie haben Sie die Nächte der Gewalt in Hamburg persönlich erlebt?
    van Aken: Es fing ja am Anfang noch alles ganz schön an: Am Sonntag die Protestwelle, dann am Dienstag hatten sich die Nachbarn in St. Pauli im Schanzenviertel verabredet, draußen zusammen zu reden, sich kennenzulernen, über und gegen den G20 zu reden und ein Bier zu trinken, und da fing ja die Eskalation schon so ein bisschen an, weil da unnötigerweise schon sehr viel Polizei aufgefahren war. Und dann ist es über die Tage, eigentlich über den Donnerstagabend, wo diese "Welcome to Hell"-Demo war, die auseinandergenommen wurde von der Polizei, dann wirklich grenzenlos erst mal eskaliert.
    Heuer: Was waren da für Leute unterwegs? Wer ist eigentlich der schwarze Block? Wenn Sie mit denen ein bisschen Bier getrunken haben, können Sie es uns ja aus eigener Anschauung sagen.
    van Aken: Das mit dem Bier trinken, das waren eher die Nachbarn in St. Pauli. Die jungen Leute nennen so was "Cornern", einfach an der nächsten Straßenecke zusammen ein Bier trinken und reden. Das haben wir gemacht.
    Der schwarze Block – ich glaube, da muss man wirklich unterscheiden zwischen denen, die die Demonstration organisiert haben und da waren, und dann das, was da nachts am Freitagabend im Schanzenviertel an Krawall war. Ich glaube, das sind wirklich zwei unterschiedliche Dinge.
    Bei uns auf der ganz großen Demonstration am Samstag, wo wir 76.000 Leute waren, das haben ja viele verschiedene Organisationen mit organisiert, da waren auch die Autonomen mit dabei. Wir haben uns gemeinsam auf ein Vorgehen verständigt, das hat wunderbar geklappt. Wir haben uns auf Deeskalation geeinigt. Alle haben mitgemacht und insofern ist diese Demonstration auch ganz wunderbar zu Ende gegangen.
    Ich glaube, das was am Freitagabend da im Schanzenviertel passiert ist, ich versuche immer noch rauszukriegen, wer da eigentlich so randaliert hat. Es waren mit Sicherheit auch viele Jugendliche aus den Vorstädten dabei, die einfach mal die Gelegenheit zum Plündern genutzt haben, und dann waren es wohl auch kleinere organisierte Gruppen aus verschiedensten Ländern. Aber ob die politisch unterwegs waren oder nur auf Krawall aus, kann ich gar nicht bewerten.
    Zerstörte Straßenschilder und Mülleimer liegen auf der Straße.
    Zerstörte Straßenschilder und Mülleimer liegen nach neuerlichen Krawallen im Schanzenviertel auf der Straße. (Axel Heimken, picture alliance / dpa)
    Heuer: Herr van Aken, ich würde das jetzt aber auch gerne ein bisschen besser verstehen. Gibt es gute und schlechte Autonome?
    van Aken: Wissen Sie, es gibt auch gute und schlechte Linke, und ich glaube, auch in der CDU gibt es Gute und Schlechte. Sie meinen wahrscheinlich irgendwie, ob man da unterscheiden kann. Das kann man ganz klar. Nehmen Sie am Samstag diese Demonstration, mit den Autonomen zusammen organisiert. Wir haben uns ganz klar auf ein Vorgehen verständigt und alle haben gesagt, wir tun alles, damit das von Anfang bis Ende geht, wir werden nicht eskalieren, von uns geht nichts aus, und da haben sich auch alle dran gehalten. Insofern: das funktioniert.
    Die große Frage: Wer war das?
    Heuer: Aber ich verstehe es immer noch nicht. Wie ist es dann dazu gekommen, dass Freitagnacht ein halbes Stadtviertel in Hamburg fast in Flammen aufging, dass private Gegenstände verbrannt wurden, Autos verbrannt wurden, dass Geschäfte geplündert wurden, dass Menschen vor allen Dingen auch angegriffen wurden? Wie passt das in das, was Sie uns gerade versuchen zu schildern? Wie passt das da rein?
    van Aken: Ich glaube, es sind unterschiedliche Menschen. Es waren ja selbst welche aus der Flora, die am Abend noch gesagt haben, das hat mit Politik ja nichts zu tun, das ist sinnentleerte Gewalt, und deswegen ist die große Frage, wer genau war das. Es sind mit Sicherheit auch politische anarchistische Gruppierungen - ich selbst habe Italiener gehört an dem Freitagabend – unterwegs gewesen. Das hat aber nichts mit, sage ich mal, einem politischen Protest zu tun, aus meiner Sicht, sondern das ist reine Krawallmacherei.
    Heuer: Aber aus deren Sicht schon, Herr van Aken. Die nennen sich ja nicht umsonst Linksautonome und denen geht es auch um den Kapitalismus, um die Globalisierung, die wollen auch ein Zeichen setzen gegen globale Ungerechtigkeit.
    van Aken: Waren das wirklich die am Freitagabend? Die, die ich Freitagabend gesehen habe, da ist ja dann in der "taz" ein schönes Beispiel davon. Dann steht da irgendwie "Tod allen Polizisten", auf Spanisch geschrieben. Ich meine, "Tod allen Polizisten" ist für mich weder links, noch irgendein politisches Programm. Das ist einfach nur Hass und Krawall.
    Heuer: Aber Rechte waren das jedenfalls nicht.
    van Aken: Nee! Aber links ist ja eine politische Kategorie und ob das wirklich politisch war, ich habe da meine große Frage. Aus meiner Sicht ist es völlig sinnentleerte Gewalt gewesen und mit solchen Leuten – das haben wir auch am Samstagfrüh untereinander noch mal klar gemacht -, die sind auch auf unserer Demonstration nicht willkommen. Für mich hat das auch nichts mit links zu tun.
    "Die Rote Flora hat eine wichtige Funktion"
    Heuer: Sie haben die Flora erwähnt, die Rote Flora nämlich, das Autonomenzentrum in Hamburg, sehr berühmt. In dessen Umkreis wurde zum Teil – ich formuliere das jetzt vorsichtig – Sympathie selbst für Randalierer geäußert. Nun denkt Olaf Scholz darüber nach, und nicht nur er übrigens, die Rote Flora zu schließen. Denken Sie auch über so einen Schritt nach?
    van Aken: Nein, das ist völliger Quatsch. Die Rote Flora hat eine ganz wichtige Funktion in Hamburg. Wissen Sie, vor jeder Bundestagswahl beklagen sich die Parteien immer darüber, dass die Jugend heutzutage so unpolitisch ist. Nun ist die Flora mal ein richtig politisches Jugendzentrum. Das können doch eigentlich alle begrüßen, auch wenn da natürlich irgendwie auch Strömungen und Personen mit bei sind, die der etablierten Politik nicht gefallen. Aber die zu schließen wäre, glaube ich, das Schlimmste, was man tun kann. Bei Olaf Scholz ist es doch nur jetzt ein Versuch, seine Haut zu retten. Er muss jetzt vor der Bundestagswahl zeigen, SPD kann auch law and order, kann auch hart durchgreifen. Das ist keine vernünftige Reaktion auf das, was am Wochenende passiert ist.
    Der Schriftzug «No G20» leuchtet am 05.07.2017 in Hamburg auf dem Dach des autonomen Kulturzentrums Rote Flora im Schanzenviertel.
    Der Schriftzug «No G20» leuchtet am 05.07.2017 in Hamburg auf dem Dach des autonomen Kulturzentrums Rote Flora im Schanzenviertel. (dpa picture alliance/ Christian Charisius)
    Heuer: Aber, Herr van Aken, Hamburg gilt als Hochburg der linken Autonomen. Es gibt in Hamburg die Rote Flora. Und selbst nach der Randale – ich sage das noch mal – war aus diesem Milieu Verständnis zu hören, selbst für die Randalierer. Mit anderen Worten: Es ist genau das passiert, womit gerechnet werden musste. Da kann man doch kein Verständnis mehr zeigen.
    van Aken: Ich finde, für diejenigen, die Verständnis für das haben, was am Freitagabend passiert ist, für die habe ich wiederum kein Verständnis. Denn ich war vor Ort am Freitagabend. Ich war ja die ganze Woche als parlamentarischer Beobachter immer da, wo es schwierig wurde, habe mir das angeguckt. Das hatte wirklich mit Politik gar nichts mehr zu tun. Da habe ich null Verständnis dafür. Und sie haben richtig gesagt: Das sind Teile aus der Flora, die so was wie Verständnis geäußert haben. Andere haben völlig klar gesagt, das hat mit Politik, mit ihrer Politik gar nichts zu tun. Da muss man, glaube ich, wirklich differenzieren, genauso wie wir ja auch ein bisschen CDU und CSU differenzieren. Da jetzt alles, was schwarze Klamotten an hat, über einen Kamm zu scheren, ist, glaube ich, nicht wirklich zielführend.
    Heuer: Es gibt erste Rücktrittsforderungen gegen den Ersten Bürgermeister Olaf Scholz von der SPD. Schließen Sie sich dem an?
    Neuer Hamburger Innen- und Sportsenator ist Andy Grote.
    Neuer Hamburger Innen- und Sportsenator ist Andy Grote. (dpa/picture-alliance/Axel Heimken)
    van Aken: Ich finde, dass der Innensenator Andy Grote gehen muss. Das fängt ganz vorne an, dass unter Innensenator Grote wirklich demokratische Grundrechte ausgehebelt wurden. Der hat Camps behindert, der hat zweitägige großflächige Demonstrationsverbote verhängt, bis hin eben auch zu dem Angriff Donnerstagabend auf eine Demonstration, wo sich auch die beteiligten Journalisten, mit denen ich da ja gemeinsam vor Ort direkt daneben stand, einig sind, das war völlig unnötig, diese Eskalation. Also der Grote hat alles verbockt, was zu verbocken war. Deswegen müsste der sofort zurücktreten.
    "Aus der Demonstration heraus ist nichts passiert"
    Heuer: Auch da möchte ich aber noch mal einhaken, Herr van Aken. Dass die Polizei am Anfang versucht hat, den schwarzen Block von friedlichen Demonstranten zu isolieren, das war doch aber richtig, wenn man sich anschaut, wie die Autonomen in der Nacht darauf gewütet haben.
    van Aken: Noch mal: Nicht jeder CDUler ist ein Rechtsradikaler. Es gibt aber auch welche in der CDU. Ich war direkt vor Ort und ich habe auch mitbekommen, wie der NDR, der Norddeutsche Rundfunk dort live berichtet hat und auch gesagt hat, das versteht hier kein Mensch mehr. Die Autonomen wurden von der Polizeiführung aufgefordert, die Vermummung abzulegen. Sie haben sie größtenteils abgelegt. Ich würde mal sagen 90 Prozent. Daraufhin waren sich auch die Journalisten vor Ort einig, jetzt kann man diese Demonstration doch ziehen lassen. Es ist aus dieser Demonstration heraus nichts geworfen worden, es ist nichts passiert. Die hatten sich darauf geeinigt, sie wollen das nicht eskalieren. Dann ist die Polizei reingegangen und was dann geflogen wurde, das kam von den Zuschauern am Rand. Da flogen dann oben von den Dächern plötzlich Flaschen. Aus der Demonstration ist nichts passiert. Das muss man einfach auch mal so stehen lassen. Das waren andere Leute, die Freitagabend in der Flora gezündet haben.
    Heuer: Nämlich wer?
    van Aken: Haben wir am Anfang ja besprochen. Ich glaube, da waren viele Event-Jugendliche aus den Vorstädten dabei, die einfach mal die Gelegenheit genutzt haben, rechtsfreier Raum war für ein paar Stunden, wir plündern jetzt mal. Und dann waren das sicherlich auch einzelne kleinere organisierte Gruppierungen, die aus Prinzip Gewalt machen. Aber mit Links hat das nichts zu tun.
    Heuer: In der Nacht darauf wurde der Polizei dann vorgeworfen, sie sei nicht rasch genug eingeschritten und hätte die Plünderungen stundenlang im Schanzenviertel einfach zugelassen. Kann man zur Bilanz dieses G20-Gipfels und der Proteste gegen ihn festhalten, die Polizei konnte es eigentlich nur falsch machen?
    van Aken: Ich würde mich diesem Vorwurf gar nicht anschließen, weil dazu fehlt mir dann auch der Gesamtüberblick der Lage. Das ist jetzt eher so eine Kritik von der CDU, dass die Polizei nicht hart genug durchgegriffen hat. Vielleicht hätte sie es anders machen können, vielleicht auch nicht. Das kann ich polizeitaktisch gar nicht bewerten. Ich glaube, es gibt viele Polizisten, die haben auch was richtig gemacht. Ich selbst war auch bei Szenen dabei, Straßenblockaden am Freitagfrüh. Die wurden so wie sich das gehört, sage ich mal aus Polizeisicht, vorsichtig abgetragen. Ich habe aber auch sehr viele Polizeieinsätze gesehen, wo die Polizeiführung einfach nur auf Eskalation gesetzt hat, und das kritisiere ich.
    Heuer: Jan van Aken, Linker-Bundestagsabgeordneter, außenpolitischer Sprecher seiner Partei und Organisator der größten Anti-G20-Demo in Hamburg am vergangenen Wochenende. Herr van Aken, haben Sie Dank für das Gespräch.
    van Aken: Ich bedanke mich bei Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.