Für viele Menschen ist Vegetarismus und auch Veganismus, also der Verzicht auf sämtliche tierische Produkte, eine Erscheinung der säkularen Moderne. Heutzutage gibt es Tofu-Burger in hippen Restaurants, Sojamilch in dutzenden Geschmacksrichtungen, vegane Gummibärchen. Mit der Bibel verbinden dies die wenigsten. Doch schon direkt zu Beginn des Alten Testaments wird fleischlose Ernährung gepredigt, sagt der katholische Theologe Rainer Hagencord:
"Die Bibel beginnt mit dem Siebentagewerk, und dann kommt die wunderbare Erzählung aus dem Garten Eden. Und in beiden Teilen ist Vegetarismus klar empfohlen."
Im Paradies essen Adam und Eva keine Tiere, sie ernähren sich nur von Pflanzen und Früchten. Der Leiter des Instituts für theologische Zoologie in Münster isst ebenfalls kein Fleisch. Auch bei den Paradiesbeschreibungen der Propheten, so sagt er, sei das vegetarische Motiv präsent.
"Das berühmte Jesaja-Wort, wonach Bärin und Kalb sich anfreunden und auch der Löwe Stroh frisst. Das sind visionäre, utopische Bilder, wonach klar wird: Letztlich geht es darum, Gewalt zu vermeiden."
Vor allem in den USA berufen sich verschiedene christliche Gruppen auf Fleischverzicht als religiöse Pflicht. Die Mormonen und die Siebenten-Tags-Adventisten mit ihren insgesamt rund 30 Millionen Mitgliedern rufen beispielsweise dazu auf, nur selten Fleisch zu essen. Sie argumentieren, der Körper sei ein Geschenk Gottes, und müsse entsprechend möglichst rein und gesund gehalten werden. Fleisch gilt hierbei vor allem vielen Adventisten als unrein und schädlich für den Körper. Einer Studie zufolge lebt daher mehr als ein Drittel der Adventisten streng vegetarisch.
Doch aus der Bibel heraus sei der Verzicht auf Fleisch nicht zu begründen, meint der Methodist Sebastian Moll. Er ist Dozent an einer theologischen Akademie im rheinischen Bingen. Er betont, das Neue Testament erlaube es explizit, verschiedenste Arten von Fleisch zu konsumieren. Moll hat dazu ein Buch geschrieben: "Jesus war kein Vegetarier".
"Wenn immer er über das Essen spricht, und das tut er relativ häufig, dann spricht er über die jüdischen Speisegebote. Also reine und unreine Speisen. Und da wehrt er sich vehement dagegen."
Im Judentum sind viele Tiere für den Verzehr verboten, auch der Islam kennt spezielle Verbote und Vorschriften für den Fleischgenuss. Anders im Christentum. In Markus 7.15 wird Jesus zitiert mit den Worten:
"Es gibt nichts, was von außen in den Menschen hinein geht, das ihn unrein machen könnte. Sondern was aus dem Menschen herauskommt, das ist's, was den Menschen unrein macht."
Eine Pflicht für einen Verzicht auf Fleisch könne man daher aus dem Christentum kaum religiös begründen, sagt Theologe Sebastian Moll.
"Ich würde sagen, auch heute gehört diese Freiheit zu den wichtigen Merkmalen des Christentums, und das sollte man als Christ auch selbstbewusst vertreten."
Eine ganz andere evangelische Position nimmt dazu Pfarrer Friedrich Laker aus Dortmund ein. Er ernährt sich vegan. Denn auch Tiere seien spirituelle Wesen.
"Das Tier hat genauso eine Würde wie der Mensch. Das Tier ist beseelt wie der Mensch. Aus Gottes Sicht, aus Sicht des Schöpfers, ist das zunächst alles erstmal gleichwertig. Sind es unterschiedliche Fähigkeiten und Begabungen, die die Lebensarten haben und zum Leben beitragen."
Seine größeren intellektuellen Fähigkeiten gäben dem Menschen keinen höheren spirituellen Wert. Somit seien das zentrale christliche Motiv der Nächstenliebe und das Gebot "Du sollst nicht töten" auch auf Tiere zu beziehen.
"Die Frage ist ja: Wer ist eigentlich unser nächster? In der Bibel wird das natürlich auf den Menschen bezogen. Wir leben aber längst in einer Zeit wo wir wissen, der Mensch gefährdet das Leben insgesamt, im Endeffekt auch sich selbst, weil er Leben ausrottet."
Man müsse von einem Herrschaftsgedanken des Menschen über die Tierwelt, der zu einer Bedrohung der gesamten Schöpfung führe, hin zu einer parallelen, gleichberechtigten Existenz. Aus einer solchen spirituellen Parallelität ergebe sich der Vegetarismus als Schonung gleichberechtigten Lebens dann fast zwangsläufig. Theologe Sebastian Moll sieht für eine solche Parallelität von Mensch und Tier aber kein Fundament im christlichen Glauben – eher das Gegenteil. Moll:
"In Psalm Acht. Das ist ein wunderbarer Schöpfungspsalm, wo die Schöpfung besungen wird, und da heißt es: 'Du hast den Menschen wunderbar geschaffen. Es fehlte nicht viel, und er wäre wie du'. Wie du heißt: Wie Gott. Also der Mensch hat eine besondere Stellung im Rahmen der Schöpfung."
Es sei nichts gegen Vegetarismus an sich einzuwenden. Aber es sei bedenklich, dass einige Christen mehr Nächstenliebe für Tiere zeigten als für Menschen.
Es sei nichts gegen Vegetarismus an sich einzuwenden. Aber es sei bedenklich, dass einige Christen mehr Nächstenliebe für Tiere zeigten als für Menschen.
"Das beste Beispiel dafür ist immer, wenn wir in der Einkaufsstraße sind und dort Bettler sehen. Wir wissen, dass es so ist, dass wenn ein Bettler einen Hund dabei hat, das Spendenaufkommen der Passanten viel größer ist. Da scheint also das Mitleid mit dem Tier größer zu sein als mit dem Mensch, und das sehe ich mit Sorge, ja."
Rainer Hagencord vom Institut für theologische Zoologie sieht dies ganz anders. Wer die gottgegebene Würde von Tieren achte, achte auch die Würde von Menschen. Denn wer für Geschöpfe sensibilisiert sei, die ihren Willen gegenüber den Menschen nur eingeschränkt artikulieren können, der höre bei anderen Menschen erst recht genauer zu. Er weist darüber hinaus darauf hin, dass der Fleischkonsum in unserer Gesellschaft auch aus anderen Gründen problematisch ist:
"Wer heute Fleisch isst, der macht mit in einem System der industriellen Tierhaltung. 98 Prozent des Fleisches kommen daher. Und ob die Würde der Tiere da noch in irgendeiner Weise gewahrt wird, ist ja wohl zu befragen."
Mensch und Tier sind aus seiner Sicht von Gott beseelt. Um dies zu achten, sei ein vegetarischer Lebensstil nicht zwingend der einzige, aber ein plausibler Weg, mein Hagencord. Mit dem Verzicht auf Fleisch mindere man nicht nur das Leid der Tiere, sondern erspare auch dem Planeten die Begleiterscheinungen der Fleischproduktion: die Verschwendung von Wasser, das Abholzen von Regenwäldern und den Ausstoß von Treibhausgasen. Doch was ist mit dem biblischen Satz "Macht Euch die Erde untertan!"? Wird hier dem Menschen nicht vom Schöpfer die Berechtigung gegeben, über den Planeten und die Tiere zu herrschen? Dies sei eine Fehlinterpretation, widerspricht Hagencord.
"Tiere sind seelenlose Automaten, sagt Descartes, und darum können wir mit ihnen machen was wir wollen. Und das wird dann vermeintlich mit der Bibel begründet und ist in manchen vermeintlich christlichen Kreisen auch als Dogma festgesetzt. Davon müssen wir uns aber dringend verabschieden. Das tut der Papst in seiner Enzyklika übrigens auch, er sagt die Bibel ist keine Berechtigung für einen despotischen Anthropozentrismus."
Den Menschen also nicht mehr alleine in die Mitte der Schöpfung stellen – so könnte man die theologische Position von Hagencord und Laker für eine vegetarische Ernährung zusammenfassen. Ob Vegetarismus aber Christenpflicht ist, bleibt weiterhin umstritten – sowohl in evangelischen als auch katholischen Kirchenkreisen. Die religiöse Argumentation für Fleischverzicht findet aber Widerklang in einer Gesellschaft, in der es immer mehr Vegetarier und Veganer gibt.