Es ist ein Bild, das schwer zu ertragen ist: Kinder mit aufgeblähten Köpfen auf der neurochirurgischen Station der Klinik Jose Manuel de los Rios. Diagnose: Hydrocephalus, so genannter "Wasserkopf". Die Kinder haben Schläuche im Kopf, um Hirnflüssigkeit abzuleiten. Unter normalen Bedingungen würde ihnen eine so genannte "subkutane Drainage" gelegt und der Hirndruck über ein implantiertes Ventil reguliert. Doch solche Ventile gibt es nicht in Venezuela, erzählt eine Mutter, die ihr Kind an der Brust hält.
Eine andere hat ihrer Vierjährigen ein buntes Stirnband angezogen, damit sieht der aufgeblähte Kopf nicht ganz so erschreckend aus. Dorielys bekommt jetzt ein Mittel gegen Epilepsie. Bei ihrer Tochter sei zuerst Meningitis festgestellt worden, in Maracaibo aber habe man nichts machen können. Sie hoffe, dass man ihr hier helfen könne, sagt Dorielys' Mutter. Das Medikament sei sehr teuer, und man bekomme es nur mit viel Glück, hier im Krankenhaus sowieso nicht.
Verlassene Stationen, leere Schränke
Die Klinik-Apotheke verfügt nicht darüber, obwohl "J. M.", wie es landläufig heißt, als das beste Kinder-Hospital in Venezuela gilt. Danach sieht es allerdings gar nicht aus, wie ein Besuch – abseits der Sicherheitskontrollen - zeigt: Verlassene Stationen, leere Schränke für Atemmasken, undichte Toiletten, blank liegende Kabel.
Die Ventile, die die hydrocephalen Kinder bräuchten, sind nicht verfügbar, denn die sozialistische Regierung von Nicolas Maduro kontrolliert den gesamten Import und lässt wegen fehlender Devisen kaum medizinische Geräte, Medikamente und Nahrungsmittel ins Land. Die katholische Kirche fürchtet bereits, dass sie Suppenküchen, Häuser für Straßenkinder und Seniorenheime schließen muss: Mehl, Reis und Zucker seien auf dem Markt kaum mehr zu kaufen.
In der Inneren Abteilung der Klinik "J.M." liegt ein Junge, er sieht aus wie zehn, ist aber 15 Jahre alt. Er leidet an Nierenversagen im 5. Stadium, medizinisch gesehen also im letzten Stadium. Er müsste dringend zur Blutwäsche, aber es gibt kein funktionierendes Dialysegerät.
Kinder bekommen abgelaufene Medikamente
Eigentlich sollte ihr Sohn wenigstens Antibiotika bekommen, klagt seine Mutter. Aber es gebe kaum welche. Als sie sich beschwert habe, dass man ihm abgelaufene Medikamente gebe, habe die Schwester nur gesagt: 'Entweder die, oder er behält seine Bakterien'.
Zu viert schlafen die Mütter in den Zimmern der Kinder: Plastikmatratzen, aus denen schmuddeliger Schaumstoff quillt. Cucarachas, Küchenschaben, seien da rausgekrabbelt, beschwert sich eine Mutter. In einer ausgebrannten Station habe es sogar Ratten gegeben, berichtet die Kinderärztin Osleidy Carnejo.
Das einzige, was noch funktioniere, seien Geräte in der Hämatologie. Chemische Blutuntersuchungen könnten sie zum Beispiel wegen fehlender Antigerinnungsmittel nicht mehr machen. Eltern müssten deshalb Privatlabore beauftragen, viele hätten dafür aber nicht das nötige Geld. Für Chemotherapie gebe es nur sporadisch Medikamente. Eine durchgängige Behandlung krebskranker Kinder sei nicht mehr möglich.
Hoffnung auf Hilfe aus dem Vatikan
Vor wenigen Wochen haben Ärzte, Krankenschwestern und Apotheker vor der Apostolischen Nuntiatur demonstriert, der Vertretung des Vatikans in Caracas, und gefordert: der Papst und die Kirche sollten sich bei der Regierung Maduro dafür einsetzen, dass endlich Medikamente ins Land gelassen werden.
Doch auch die Bischöfe und die Caritas sind hilflos, wie Janeth Marquez sagt, die Caritas-Direktorin. Es gebe viele unterernährte Kinder. Und die Zahl der inzwischen Verstorbenen, deren Todesursachen nicht einmal mal mehr dokumentiert würden, sei bereits unüberschaubar. Bei einigen Krankheiten sei die Sterblichkeitsrate um 10 Prozent gestiegen. Die Caritas hätte Notprogramme, doch auch ihre Medikamenten-Vorräte seien aufgebraucht. Sie erreichten nicht einmal fünf Prozent dessen, was eigentlich nötig wäre.
Ein Container mit 75.000 Arzneimitteln, eine Großspende aus Chile für die Caritas Venezuela hat seit August im Zoll gestanden. Kürzlich ist die Lieferung vom Staat beschlagnahmt worden. Pressekommentare bezeichneten den Vorgang als "Raub". Der Sekretär von MUD, Jesus Torrealba, ist erzürnt. MUD steht für "Mesa de la Unidad Democrática", einem Bündnis von 32 Oppositionsparteien. Seit Anfang November sitzt Jesus Torrealba am Runden Tisch mit der Regierung, vermittelt vom Vatikan und einigen Ex-Präsidenten Lateinamerikas.
Regierung fürchtet laut Opposition um ihr Image
Die Regierung verweigere den Bürgern die Hilfe und erlaube nicht, dass andere helfen. Sie fürchte sich um ihr internationales Image nach dem Motto: 'Wenn wir humanitäre Hilfe hereinlassen, müssten wir ja zugeben, dass es eine humanitäre Krise gibt.' - Aber die könne man doch nun wirklich nicht mehr wegreden, erregt sich Torrealba.
Er und das Oppositionsbündnis haben den Runden Tisch in der vergangenen Woche vorerst platzen lassen. Der sozialistischen Regierung Maduro werfen sie vor, dass sie weder - wie vereinbart - politische Gefangene freilasse noch ernsthaft über Neuwahlen verhandeln wolle. Für die Ärztin Osleidy Carnejo sind indes die Würfel längst gefallen - eine Meinung, die vielfach zu hören ist:
Die Venezolaner befänden sich doch bereits in einer Diktatur. Leider könne man mit den regierenden Sozialisten keinen Dialog führen. Was jetzt nur noch helfen könnte, wären die Vereinten Nationen oder ähnliche Institutionen. Es reiche! Schon so viele Jahre gehe das so. Die Revolution habe ihr, Osleidy, jedenfalls alle Lebensträume zerstört.