Es ist halb Fünf am Nachmittag. Im Glaskasten neben dem Großraumbüro der Zeitung "El Nacional" sitzen zehn Redakteurinnen und Redakteure um einen Konferenztisch. Chefredakteurin Cenovia Casas zählt die Themen der morgigen Ausgabe auf und gemeinsam besprechen sie die Aufteilung. Viel Platz haben sie nicht in ihrer Zeitung. Denn seit Anfang des Jahres ist "El Nacional" nur noch ein sehr dünnes Blatt.
"Wegen des Papiermangels haben wir den Umfang reduzieren müssen von vier Zeitungsbüchern mit insgesamt 32 Seiten auf ein einziges Buch mit acht oder - wie heute - 14 Seiten."
Auch die Druckauflage haben sie heruntergefahren und Beilagen eingestellt, sagt die Chefredakteurin. Denn seit fast einem Jahr kann "El Nacional", wie eine Reihe anderer Zeitungen auch, kein Papier mehr kaufen. In Venezuela gibt es eine strikte Währungskontrolle. Wer Produkte importieren will, muss bei der Regierung ausländische Devisen beantragen. Dass "El Nacional" die nicht bekommt, ist für den Herausgeber Miguel Henrique Otero volle Absicht.
"Es gibt eine ganz klare Diskriminierung der unabhängigen Zeitungen. Últimas Noticias etwa, das ist ein staatsnahes Blatt, konnte vor zwei Wochen ohne Probleme 4500 Tonnen Papier kaufen. Das ist der Vorrat für ein ganzes Jahr."
Zeitungen aus Kolumbien haben den Hilferuf aus Venezuela erhört. 52 Tonnen Papierrollen wurden auf den Weg gebracht, für "El Nacional" und zwei weitere Blätter. Die LKW-Lieferung ist diesen Freitag in Caracas angekommen. Es ist aber mehr ein symbolisches Geschenk. Denn es reicht nur für gut eine Woche. Mitte Mai ist dann der gesamte Restvorrat aufgebraucht, rechnet Otero vor.
Feindliche Übernahme
Kritische Medien haben seit Jahren ein Problem. Die venezolanische Regierung hat Sendefrequenzen nicht verlängert und Medienhäuser mit Prozessen überzogen. Die neueste Strategie neben dem Papierentzug: die feindliche Übernahme.
"Die Strategie sieht so aus, dass du einfach das gesamte Medium kaufst. Seien es Verbündete der Regierung, die das machen oder die Regierung selbst, so genau weiß man das nicht. Dann bestimmst du selbst die redaktionelle Linie und brauchst gar niemanden mehr, der unliebsame Informationen ausmerzt."
Tamoa Calzadilla arbeitete 15 Jahre für "Últimas Noticias", mit einer Auflage von mehr als 200.000 ist das die größte Zeitung des Landes. Zuletzt war sie Leiterin der Rechercheredaktion. Nachdem die Zeitung im vergangenen Jahr verkauft wurde, habe sich deren Ausrichtung deutlich gewandelt, sagt sie.
"Es kam ein neuer Herausgeber, der eine regelrechte Kampagne starten wollte gegen die Oppositionsstudenten, die gegen die Regierung protestieren."
Ihr neuer Chef habe auch gleich Inhalte für einen Artikel vorgegeben. Diese seien aber nicht durch ihre Recherchen gedeckt gewesen. Sie kündigte. Vor vier Wochen war das.
"Últimas Noticias" war unter dem alten Eigentümer alles andere als ein oppositionelles Kampfblatt. Die Zeitung bemühte sich um eine ausgewogene Berichterstattung und versuchte, sich der Polarisierung zu entziehen. Jetzt ist die Regierungsnähe in jeder Ausgabe offensichtlich.
Tamoa Calzadilla überlegt nun, eine eigene Medienplattform zu starten. Denn in der etablierten Medienlandschaft Venezuelas, sagt sie, gebe es einfach keinen Platz mehr für kritischen und möglichst objektiven Journalismus.
Kündigung vor laufender Kamera
Auch auf die TV-Journalisten ist in letzter Zeit großer Druck ausgeübt worden, zum Beispiel beim bis vor einem Jahr noch äußert regierungskritischen Sender Globovisión.
Viele Journalisten haben dem Sender den Rücken gekehrt, einige reichten vor laufender Kamera ihre Kündigung ein, seitdem Globovisión einen neuen, regierungsfreundlichen, Eigentümer bekam.
Dabei war Globovisión auch vorher nicht gerade ein journalistisches Vorbild. Der Sender hat zuletzt nur noch auf die Regierung eingedroschen. Auf der anderen Seite haben sich die staatlichen Sender ganz der aggressiven Regierungspropaganda verschrieben. Die wenigen verbliebenen Privaten sind entweder regierungstreu geworden oder betreiben nur noch Verlautbarungsjournalismus.
Hinterfragen, aufdecken, kritisieren: Wer als Journalist einfach seinen Job machen will, der hat es in Venezuela heute sehr schwer.